Der Branchenführer gibt auch auf psychologischem Terrain den Ton an. Bei Team Ineos, früher Team Sky, arbeitet seit der Gründung des Rennstalls der Sportpsychologe Steve Peters. Teamchef David Brailsford:
"Er wurde regulärer Mitarbeiter des Teams und er hatte einen sehr großen Wirkung auf uns, auf unser Wissen und auf unser Verständnis der mentalen Seite des Menschen, und nicht nur allein des Sportlers."
Peters trennt in seinen Büchern gern die mentale Struktur des Menschen in eine rationale "menschliche" Seite und eine emotionale Seite, die er die "Schimpansenseite" nennt. Beide Seiten ringen miteinander, und Peters fördert das Verständnis für diese beiden Seiten. Das kann helfen, emotionale Antriebe aufzuspüren, aber auch Gefühle, die bremsende Wirkung haben, zu erkennen und sie zu beherrschen lernen.
Der Psychologe Peters arbeitet nicht nur mit den Rennfahrern zusammen, sondern auch mit dem Staff, um ein entsprechend sensibilisiertes Umfeld zu schaffen. Dave Brailsford.
"Man muss sehr aufmerksam sein. Menschen erleben Höhen und Tiefen. Wenn man harte Zeiten durchlebt, muss man fähig sein, darüber zu reden und es nicht einfach wegstecken und sagen, ich bin ein harter Junge und sage nichts. Das ist eine der größten Gefahren."
Gerade im Radsport muss Schmerz weggedrückt werden
Gerade im Radsport. Denn Leitmotiv dieses Ausdauerspüort ist es, Schmerz zu unterdrücken und durchzuhalten. Dagegen setzt Brailsford eine ganz andere Perspektive.
"Es ist völlig ok, über mentale Probleme zu reden. Und einer dann harte Zeiten hat, helfen die anderen etwas. Und wenn du selbst mal harte Zeiten hast, dann weißt du, dass das Team fähig ist, dir zu helfen.
Es ist ein Idealbild, das Brailsford hier malt. Gegen Trainer im Team gab es in der Vergangenheit durchaus Vorwürfe machohaften Verhaltens. Man kann es allerdings auch positiv sehen und sagen: Das Problem wurde wenigstens benannt.
Im Rennen zeichnet sich Team Ineos jedenfalls durch eine ganz besondere mentale Stärke und Geschlossenheit aus.
Andere Teams verfolgen andere Ansätze. Emanuel Buchmann, Kapitän des deutschen Rennstalls Bora hansgrohe:
"Vom Team haben wir keine psychologische Betreuung."
Das überrascht etwas. Denn Buchmanns Vorgänger als Rundfahrtkapitän Dominik Nerz beendete seine Karriere auch aufgrund von Depressionen. Für Nerz war der Druck im Sport zeitweise einfach zu groß. Buchmann selbst sieht sich dagegen gewappnet.
"Ich glaube, das ist auch eine Typfrage, wie man mit dem Druck klarkommt. Ich glaube, beim Dominik war es das Problem, dass er doch relativ schlecht mit so viel Druck klargekommen ist. Und ich bin ja relativ langsam aufgebaut worden in dem Team, bin schon ein paar Mal die Tour gefahren als Kapitän."
Angebote psychologischer Betreuung gibt es aber bei Bora.
"Wir hatten jetzt im Trainingslager einen Sportpsychologen da, der aber nicht vom Team war, sondern einfach vorgestellt wurde. Und wenn man Interesse hat, konnte man privat mit ihm zusammenarbeiten. Ich denke, das ist auch besser, wenn man das nicht über das Team macht. Das sind ja nun Probleme, die man vielleicht nicht mit dem Team teilen will."
Kämna ging zur Sportpsychologin
Da hat Buchmann völlig Recht. Denn wem fühlt sich ein vom Team angestellter Psychologe zuerst verpflichtet? Dem Arbeitgeber, der ihn bezahlt? Oder dem Sportler, der sein Patient ist?
Einen eigenen Weg schlug Lennard Kämna ein. Der Sunweb-Profi fährt hier seine erste Tour de France. Er sollte eigentlich schon im letzten Jahr starten, aber dann lief die Saison nicht wie gewünscht.
"Ich habe halt eine Pause gemacht. Die war ungefähr sechs Wochen lang. Keine Rennen bin ich vier, fünf Monate gefahren. Ich hatte viel mit gesundheitlichen Problemen zu tun. Und klar, da war auch der Moment gekommen, wo ich sagte, ich brauche jetzt eine Pause und muss auch meinen Kopf resetten und einfach wieder richtig frisch sein."
Die Pause habe ihm gut getan, meint Kämna rückblickend. Er ging dabei auch zu einer Sportpsychologin.
Die etwas rustikalere Gangart ist bei Tour-de-France-Rennställen aber auch vertreten. Valerio Piva, sportlicher Leiter bei Team CCC:
"In psychologischer Hinsicht machen wir es so: Wir sind hier, den Rennfahrern die bestmögliche Leistung zu ermöglichen. Das ist eine Rundfahrt, die viel Stress erzeugt. Diese Situationen muss man meistern. Aber wenn du die Rennfahrer auswählst, musst du schon darauf achten. Ein erfahrener Rennfahrer hat hier Vorteile."
Modell 'harte Jungs'
Erfahrenere Rennfahrer sind stressresistenter, die nimmt man dann eher mit, lautet die Devise. Das klingt doch eher nach dem Modell 'harte Jungs'.
Piva, selbst ein einfühlsamer, aber auch pragmatischer Mensch, hat freilich in einem Punkt recht.
"Ich glaube nicht, dass wir hier einen Psychologen brauchen. Noch mehr Leute herzubringen erzeugt nur noch mehr Stress."
Wichtig ist vielmehr, die richtige Balance aus Betreuung und Eigenverantwortung zu schaffen. Die Tour de France-Teams sind hier zumindest auf der Suche.