In die Höhe ist ein Muss vor der Tour. Wer bei der Tour de France erfolgreich sein will, geht ins Höhentraining. Das gilt nicht nur für Siegkandidaten wie Tadej Pogacar und Primoz Roglic. Auch deren Helferriege nutzt die Höhe wegen der besonderen Bedingungen: Alle wollen durch die Sauerstoffarmut in der Atemluft – im Fachjargon Hypoxie genannt – ihre Körper zu einem erhöhte Sauerstofftransport stimulieren. Das kann zu besseren Ausdauerleistungen führen.
„Also ich bin ja in der Höhe viel unterwegs, auch als Bergsteiger. Deswegen ist das Training in Hypoxie schon etwas, was ich seit vielen Jahren verfolge. Wo es wirklich belastbar ist, ist natürlich die Erhöhung der roten Blutkörperchen und generell die Adaptation von dem ganzen Organismus."
Beschreibt Matthias Baumann den Zusammenhang. Der Unfallchirurg ist Verbandsarzt des Bundes Deutscher Radfahrer, zugleich Chef der medizinischen Kommission des Radsportweltverbandes UCI, und außerdem noch selbst passionierter Bergsteiger.
Extreme Höhen seien kontraproduktiv
Den Sportlerinnen und Sportlern seiner Verbände empfiehlt er allerdings Höhen weit unterhalb des Niveaus der Himalaya-Gipfel. 2.000 bis 2.400 Meter seien völlig ausreichend. Es mit der Höhe zu übertreiben, in der Hoffnung, den Körper noch mehr herauszufordern, bringe nichts. Das bestätigt Tour de France-Veteran Simon Geschke.
"Wenn man zu hoch geht, merkt man es dann wieder, dass der Schlaf nicht so gut ist, weil der Puls einfach durch den geringeren Sauerstoff sich erhöht. Deshalb muss das Herz ein bisschen mehr pumpen, um den Körper mit Sauerstoff zu versorgen oder die Muskulatur und dann schläft man einfach nicht mehr so gut.“
Hotelzimmer wird zur Höhenkammer
Geschke hielt sich vor der Tour anderthalb Wochen lang auf gut 2.200 Meter Höhe auf. Zehn bis 13 Tage haben sich für ihn als idealer Zeitraum herausgestellt. Der Hämatokritwert, der Aufschluss über den Anteil der roten Blutkörperchen gibt, stieg dabei um drei Punkte. Das führte schon beim Giro d‘ Italia zu prächtiger Form.
Für diese besondere Vorbereitung musste Geschke nicht einmal reisen. Statt in die Alpen zu fahren, blieb er ganz in der Nähe seines Wohnhauses in Freiburg. Dort ließ der Radprofi Hotelzimmer zu Höhenkammern umrüsten:
„Also ich habe auf 2100 angefangen. Jetzt bin ich auf 2.300 und ein bisschen höher gehe ich wahrscheinlich auch noch,“ teilte er per Telefon direkt aus seinem Höhenzimmer mit. Präzise Angaben, wie sehr der Aufenthalt in dünner Luft die Blutwerte verbessert, und wieviel Watt mehr das auf die Pedale bringt, gibt es allerdings nicht.
„Das ist natürlich für jeden Organismus ganz verschieden. Wir haben ja auch in der Höhenmedizin gemerkt, das gilt genauso für das Höhentraining, dass jeder Organismus anders reagiert. Also man kann jetzt nicht sagen, ich bin soundso lang auf der Höhe, dann geht mein HB um zwei, drei Punkte nach oben,“ bezieht sich Baumann auf die Kenngröße Hämoglobin.
Wahl zwischen sleep high, train high und sleep high, train low
Um die Angelegenheit noch ein bisschen komplizierter zu machen, gibt es in Sachen Höhentraining verschiedene Ansätze. Einer ist sleep high, train high – also in der Höhe schlafen und auch dort trainieren. Weil man auf 2.000 Meter Höhe den Organismus aber nicht so stark belasten kann, weil es ihm an Sauerstoff aus der Umgebungsluft fehlt, kam die Variante sleep high, train low ins Spiel. Das bedeutete, in der Höhe zu schlafen, um vom Effekt auf das Blut zu profitieren. Zum Training ging es aber hinunter auf Meeresspiegelhöhe für eine bessere Belastung der Muskulatur. Der jüngste Trend ist nun wieder der alte: oben schlafen und oben trainieren.
Eine Schweizer Studie aus dem Jahr 2020 jedenfalls kam zu dem Schluss, dass kurze Sprintintervalle in einer simulierten Höhe von 3.300 m zu einer acht- bis zehnprozentigen Steigerung von Wattwerten führten.
„Es hat immer wieder gewechselt. Das zeigt ja, dass sich da die Wissenschaft immer noch nicht ganz sicher ist und es wird bestimmt auch noch mal wechseln", meint Mediziner Baumann ganz pragmatisch.
Viel Ausprobieren ist angesagt, zumal jeder Organismus unterschiedlich auf den Reiz reagiert. Hinzu kommen praktische Aspekte.
Höhenkammern machen das Training logistisch einfacher
„Die meisten Athleten machen das jetzt mit dem sleep High, train Low eigentlich nicht mehr, weil es ja auch logistisch viel, viel aufwendiger ist. Da muss man jeden Abend mit der Seilbahn nach oben fahren, schläft dann da oben, da ist dann meistens kein gutes Hotel, fährt dann wieder am nächsten Morgen runter.“
Simon Geschkes Idee ist eine Lösung des Problems: Eine Anlage zum Schlafen bei individuell regulierbarer Höhenluft. Trainieren kann man dann draußen auf Normalhöhe oder indoor auf der Rolle ebenfalls in Höhenluft. Vier Zimmer ließ Geschke im Bike Hotel Freiburg bereits so ausstatten.
„Der Generator schafft aber sechs. Man braucht da nicht nur den Generator. Auch müssen die Leitungen in die Zimmer gelegt werden. Und die Steuereinheiten sind wichtig. Und da gucken wir mal, ob wir noch auf sechs erhöhen.“
Etwa 80.000 Euro hat Geschke bisher in die Anlage investiert. Er will sie gern anderen Athleten zur Verfügung stellen. Einige Olympia-Athleten haben das Angebot bereits angenommen. Vor seinem Etappensieg beim Giro d’italia nutzte Radprofi Georg Steinhauser die Anlage. Und Geschke selbst ist gespannt, ob ihn die heimatlichen Höhenluft nun bei dieser Tour de France ebenfalls zu einem Etappensieg trägt.