"Wenn der Begriff Tour de France, Tour der Leiden, irgendwo seine Gültigkeit hat, dann hier im Fegefeuer des Mont Ventoux. Es ist unmenschlich, was hier von den Fahrern verlangt wird."
Tour de France 1967, 13. Etappe, von Marseille nach Carpentras in der Provence. Oberhalb der Baumgrenze, auf dem letzten Stück vor dem Gipfel, waren die Tour-Teilnehmer Temperaturen von über 50 Grad Celsius ausgesetzt. Alle Kraftreserven mussten mobilisiert werden. Willensstärke war gefragt und viel Flüssigkeit. Heutzutage kein Problem, aber damals durften aus den Begleitfahrzeugen keine Getränke gereicht werden, erklärt der ehemalige Kölner Radprofi Rolf Wolfshohl, auch bei der Tour de France 1967 mit von der Partie.
"Man musste halt eben irgendwie sehen, wenn die Trinkflaschen leer waren, irgendwo etwas zu organisieren. Und am Streckenrand, da sitzen halt eben die Franzosen, picknicken, und da wurden denen halt eben die Getränke, die auf dem Tisch standen weggenommen und man hat sich dann da bedient. Und da hat man teilweise auch mal nach einer Rotweinflasche gegriffen und hat sich das reingeschüttet."
"Et tout le monde avant les dix derniers kilomètres, à gauche Jiménez, sur sa gauche Poulidor, Simpson est là, derrière."
Zehn Kilometer vor dem Gipfel befand sich auch der 29-jährige Tom Simpson in der Spitzengruppe. Er wollte unbedingt als erster Engländer das weltweit bedeutendste Straßenrennen gewinnen. Der charmante Bergarbeitersohn aus Nordengland war überaus beliebt beim Publikum und unter den Rennfahrern.
"Tom war ein Engländer, der französisch geprägt war, hat ja in Belgien und danach in Frankreich gelebt. Und er war wirklich ein aufgeschlossener Typ, der lustig war, der das Leben geliebt hat. Und ansonsten, er war ehrgeizig, was den Radsport anbelangte, er hatte alle Qualitäten, die ein guter Mensch haben kann."
Simpson war Nummer Eins in Großbritannien
Schon in den 50er-Jahren war Simpson die Nummer Eins in Großbritannien gewesen. 19-jährig hatte er in Melbourne die olympische Bronzemedaille im Mannschaftsverfolgungsfahren auf der Bahn gewonnen. Doch auf der Insel war mit Radsport kein Geld zu verdienen. Der weltoffene Brite wechselte mit 21 Jahren und 100 britischen Pfund in der Tasche auf den europäischen Kontinent und war erfolgreich. 1965 wurde er Straßenradweltmeister und Sportler des Jahres in Großbritannien.
"Du bist 300 Tage auf dem Rad und legst so etwa 30.000 bis 40.000 Kilometer im Jahr zurück."
Seine siebte Tour de France sollte 1967 die Krönung der Karriere werden. Doch die schwere 13. Etappe am Mont Ventoux wurde Tom Simpson zum Verhängnis.
"Anderthalb Kilometer vor dem Gipfel sahen wir rechts an der Straße den ehemaligen Weltmeister Tom Simpson aus England, völlig zusammengebrochen liegend, er erhielt eine Sauerstoffdusche."
Amphetamine, Aufputschmittel und Alkohol im Blut
Mit ausdruckslosem Gesicht, völlig kraftlos und dehydriert war Simpson vom Fahrrad gekippt, hatte sich wieder in den Sattel heben lassen, um nach einem kurzen Zickzackkurs erneut zu Boden zu sinken. Die Wiederbelebungsversuche des Tour-Arztes waren vergebens. Im Krankenhaus von Avignon konnten die Ärzte am Nachmittag des 13. Juli 1967 nur noch Simpsons Tod feststellen.
In den Trikottaschen des Engländers entdeckte man mehrere Röhrchen mit Amphetaminen. Auch in seinem Körper fanden die Ärzte Spuren von Aufputschmitteln sowie Alkohol.
Mehrere Faktoren seien für den Tod verantwortlich gewesen, schreibt Simpson-Biograf William Fotheringham. Aber die Amphetamine hätten dabei eine ganz zentrale Rolle gespielt.
"Die Aufputschmittel sorgten dafür, dass seine Körpertemperatur anstieg. Sie beeinträchtigten die Fähigkeit seines Organismus, mit der Situation umzugehen. Und sie hinderten ihn selbst daran, sich seiner Lage bewusst zu werden."
"Er hat nicht mehr gedopt als andere. Doping war eine Art sozialer Kitt, wer nicht dopte, war Außenseiter. Wolltest du im Tour-de-France- und Rennsportzirkus bestehen, warst du praktisch gezwungen, zu dopen", erklärt der französische Fachjournalist Philippe Brunel.
Als erster Dopingtoter der Tour de France erlangte Tom Simpson 1967 dabei traurige Berühmtheit. Abgeschreckt hat das kaum jemanden. Es wurde weiter gedopt. Zahlreiche prominente Radrennfahrer wie etwa Jan Ulrich konnten des Dopings überführt werden. Zuletzt auch der vermeintlich unschlagbare Amerikaner Lance Armstrong, dem 2012 alle sieben Tour-Siege aberkannt wurden.