Elf Uhr vormittags auf den Wallen, Rotlichtbezirk von Amsterdam. Rund um die Oude Kerk stehen wie immer Prostituierte hinter den roterleuchteten Fenstern. Zwischen Coffeeshops, Tante Emma-Lädchen und ganz normalen Cafés. Es gibt hier sogar eine Kita. Das macht die Wallen, den ältesten und malerischsten Teil von Amsterdam, so besonders.
Was fehlt an diesem Vormittag, sind die Touristen. Nur vereinzelt ertönt das Rattern eines Rollkoffers auf dem Kopfsteinpflaster. Dieser hier gehört dem 21-jährigen Ferdi, der gerade aus München eingetroffen ist. Und sich wundert:
"Ich dachte mir schon, ziemlich entspannt. Nicht so viel los."
Auf der anderen Seite der Gracht kommt ein Ehepaar aus Hamburg aus einer Seitengasse:
Er: "Der Tourismus ist glaub ich relativ eingeschränkt!"
Sie: "Was eigentlich ganz schön ist. Wir haben schon gesagt: Wir müssten jetzt eigentlich jede Stadt Europas bereisen."
Er: "Jetzt kann man hier am Vormittag ganz in Ruhe gehen, trifft alle zwei Minuten mal jemanden, der einem entgegenkommt."
Aufatmen im Grachtenhaus
Hoch über den beiden steht Teun van Hellenberg Hubar auf der Dachterrasse seiner Grachtenhauswohnung – ein grünes Paradies, von dem er normalerweise nicht viel hat, weil es zum draußen sitzen viel zu laut ist. Doch das war in den letzten Monaten ganz anders, Corona sei Dank.
"Die Menschen, die hier leben, konnten aufatmen! Wir brauchten uns nicht mehr den Weg nach Hause zu bahnen. Und meine Nachbarn unten, die brauchten bisher kein Sperrgitter aufzubauen, damit nicht in ihren Briefkasten gepinkelt wird. Herrlich war das, die Stadt gehörte wieder uns!"
Der 65-jährige Jurist gehört einer Bürgerinitiative an, zu der sich die Wallenbewohner bereits vor dem Corona-Lockdown zusammengeschlossen haben. "Stop de gekte", heißt sie, "Stoppt den Wahnsinn".
Ihr Ziel: die Zahl der Touristen von derzeit knapp 20 Millionen pro Jahr auf zwölf Millionen zurückzuschrauben. Dazu hat die Initiative einen ganzen Katalog an Maßnahmen zusammengestellt. Die wichtigsten: Eine drastische Erhöhung der Touristensteuer für Übernachtungen – auf über 20 Prozent.
Hasch-Pass und neues Erotik-Zentrum
Außerdem wollen die Wallenbewohner einen so genannten "Hasch-Pass" einführen, damit in den Coffeeshops nur noch einheimische Kiffer bedient werden. Und alle Prostituierten sollen umziehen in ein neu zu bauendes Erotikzentrum anderswo in der Stadt:
"Hier bei uns schieben sich ganze Familien durch die Gassen an den Fenstern der Prostituierten vorbei. Väter, ihre Kinder auf den Schultern, die Ehefrau an der Hand. Und alle gaffen, gaffen, gaffen. Manchmal werden die Frauen auch ausgelacht. Oder völlig zugekiffte und besoffene grölende junge Männer spucken an die Fenster."
Im Rathaus wird bereits über das Erotikzentrum nachgedacht. Auch bei Bürgermeisterin Femke Halsema ist der Vorschlag auf offene Ohren gestoßen.
Notfalls ein Referendum
Sie wolle keinesfalls die Prostitution aus der Stadt verbannen, so Halsema. Die Prostitution gehöre zu Amsterdam. Aber sie sei eine Touristenattraktion geworden, die Frauen würden erniedrigt werden. Das könne so nicht weitergehen.
In Kürze muss sich der Gemeinderat auch mit den anderen Vorschlägen der Bürgerinitiative befassen. Die dafür nötigen 12.000 Unterschriften haben die Wallenbewohner längst zusammenbekommen. Inzwischen sind es über 30.000. Das reiche sogar für ein Referendum, freut sich Jurist van Hellenberg Hubar: "Wenn die Politiker weiterhin drastische Maßnahmen scheuen, machen wir von diesem Mittel Gebrauch. Genug ist genug. Stoppt den Wahnsinn!"