Viele Bundesbürger haben ihren Sommerurlaub wegen der Coronakrise bereits abgeschrieben, auch weil derzeit eine weltweite Reisewarnung besteht. Spanien, Italien oder Österreich: Reisen ins Ausland scheinen zu riskant. Selbst überregionale Tagesausflüge sind aktuell auf der schwarzen Liste der Virologen. Sollte es aber ganzheitliche Konzepte unter Beteiligung der entsprechenden Behörden, der Unternehmer und natürlich unter Einbeziehung der Kunden, könnte man sich die Reisefreiheit Schritt für Schritt wieder erkämpfen, sagte Michael Rabe, Generalsekretär des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft.
Stefan Heinlein: Herr Rabe, der Bundesaußenminister ist überzeugt: Eine normale Urlaubssaison wird es in diesem Sommer nicht geben. Teilen Sie die Meinung von Heiko Maas?
Rabe: Ja, eine normale Saison wird es nicht geben. Sie haben gerade die Rahmenbedingungen beschrieben, die im Moment in aller Munde sind, Einreisebeschränkungen regional, sprich, Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel hat eine solche ausgesprochen, aber auch natürlich in Europa von Land zu Land und von anderen Ländern nach Deutschland. Insofern: Von Normalität kann keine Rede sein.
Heinlein: Herr Rabe, viele Familien fragen sich ja derzeit: Wohin kann man überhaupt in diesem Sommer fahren? Macht es Sinn, etwas zu buchen? Würden Sie konkret jetzt 14 Tage Tunesien für den Schnäppchenpreis im Juli, August buchen?
Rabe: Ich würde erst mal in dem Nahbereich anfangen wollen, zu denken. Wir fangen an, unsere direkte Nachbarschaft erst mal in den Blick zu nehmen, und dieser Prozess der Reisefreiheit, den wir natürlich am Ende anstreben, wird ein Prozess in Schritten sein. Und erst geht es mal darum, die regionalen Beschränkungen aufzuheben und zu überwinden. Und das setzt halt voraus, dass eingeübt wird, das, was allenthalben besprochen wird, dass jeder seine Verantwortung – der Unternehmer, der Konsument, alle Beteiligten – wahrnimmt und wir lernen, mit Corona zu leben. So lange es keinen Impfstoff gibt, wird das die Herausforderung sein, dass jeder seine Verantwortung wahrnimmt, und wir werden auf Sicht fahren müssen, und das heißt, wir werden uns diese Freiheiten Schritt für Schritt, in Anführungszeichen, erkämpfen müssen.
Klassische Sommerdestinationen sind weitgehend gebucht
Heinlein: Urlaub im Nahbereich, Herr Rabe, also der Sommerurlaub wird in diesem Jahr für die meisten Familien wahrscheinlich eher in Deutschland stattfinden. Rechnen Sie mit einem Boom von der Ostsee bis an die Alpen?
Rabe: Es ist ja nach wie vor so, dass die Destinationen, die klassischen Sommerdestinationen weitgehend gebucht sind. Das heißt, wenn die Reisebeschränkungen fallen und die Hotels auch wieder touristischen Verkehr erlaubt bekommen und die Restaurants öffnen, dann wird die Nachfrage sofort da sein. Also sie ist gegeben. Die Frage ist nur, wie das gesteuert wird und wie wir mit allen Beteiligten in diesem Prozess in einen konkreten Dialog kommen, dass wir Schutzkonzepte entwickeln, die eine Eröffnung der Hotels und Gaststätten und anderer touristischer Infrastrukturen unter gewissen Bedingungen ermöglicht.
Heinlein: Sind denn diese Schutzkonzepte, Herr Rabe, bereits in den Schubladen der Tourismusinstitutionen, Hotels, Gaststätten et cetera?
Rabe: In allen Bereichen wird darüber diskutiert, ob das der Flug ist, der Freizeitpark oder das Hotel oder die Gastronomie nebenan, überall werden die diskutiert. Es muss halt ein ganzheitliches Konzept sein unter Beteiligung der entsprechenden Behörden, der Unternehmer und natürlich unter Einbeziehung der Kunden, weil nur im Zusammenspiel von allen Beteiligten haben solche Konzepte eine Realisierungschance, die auch nachhaltig ist.
"Wir reden hier von Verlustminimierung"
Heinlein: Wenn man auf die Abstandsregeln achtet, die Hygieneregeln, die Sie gerade erwähnt haben, Herr Rabe, einhält: Lohnen sich denn Ferienflieger, die nur zur Hälfte gefüllt sind, oder Hotels dann mit dünner Belegung?
Rabe: Das ist eine schwierig zu beantwortende Frage. Natürlich lohnt es sich nicht in dem Sinne, dass unter bisherigen Gesichtspunkten das zu einer Gewinnsituation führt, aber wir reden hier von Verlustminimierung, und wir reden natürlich nicht nur über Gewinn, sondern auch von der Sehnsucht der Menschen nach Begegnung. Also es lohnt sich in mehrererlei Hinsicht, die Schritte zur Normalität hin zu wagen. Und inwieweit das im Hinblick auf jetzt rein ökonomische Gesichtspunkte der flankierenden Hilfsmaßnahmen des Staates bedarf, das ist noch eine ganz andere Frage.
Heinlein: Ich höre aus Ihren Worten mehrfach quasi einen Hilferuf an die Politik, sie solle für die Rahmenbedingungen sorgen. Was erhoffen Sie sich denn von der Politik, von der Bundes- und den Landesregierungen für die kommenden Tage und Wochen für Ihre Branche?
Rabe: Erst mal muss ich vorausschicken, dass die Politik in einem ersten Schritt unglaublich viel getan hat. Das ist wirklich bemerkenswert, was dort, als es erst mal um die Sicherung der Liquidität … Auch wenn das nicht in allen Bereichen unserer Branche zufriedenstellend gelungen ist, aber alle Versuche in die Richtung waren richtig und zielführend. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass unsere Branche zuerst in die Krise geraten ist und auch am längsten drin bleiben wird für Teilbereiche, … Nehmen Sie den Bereich Bustouristik zum Beispiel, da ist der Horizont der wirklichen Normalisierung irgendwann mal im nächsten Jahr anzusiedeln, das hält kein Unternehmen durch. Und insofern wird hier nicht nur Zur-Verfügung-Stellung von Liquidität die Unternehmen retten können, sondern die Überschuldung wird so groß sein, dass diese von Kleinstbetrieben und Mittelbetrieben gekennzeichnete Unternehmenslandschaft diese Schuldenlast wird nicht tragen können. Insofern werden direkte Beihilfen, also ich spreche von einem Entschädigungsfonds oder Notfallfonds Tourismus, dringend eingerichtet werden müssen, um diese Vielfalt, die einen wunderbaren Wettbewerb und damit auch Qualitäten im Tourismus gewährleistet, zu erhalten.
Große existentielle Sorgen
Heinlein: Sie haben in den letzten Tagen, Ihr Verband, einen Brandbrief an die Kanzlerin geschrieben, die Tourismuswirtschaft sei in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Herr Rabe, bedroht das Virus tatsächlich die Existenz weiter Teile Ihrer Branche?
Rabe: Ich mache es mal an dem Beispiel, von den Gaststätten und Restaurants war die Rede, dort hat man das erkannt, jetzt auch in der Politik, da gab es entsprechende, ich sage mal, Lippenbekenntnisse in den letzten Tagen, aber nehmen Sie ein Busunternehmen. Die haben da meinetwegen zehn Busse auf dem Hof stehen und der kostet irgendwas zwischen 300.000 und 600.000 Euro pro Bus und ist fremdfinanziert, wenn der ein Jahr lang nicht läuft und die Leasingraten zu bezahlen sind, dann können Sie sich leicht vorstellen, wie existenziell die Sorge ist. Und diese Infrastruktur ist ja nicht verzichtbar, wenn der Alltag wieder sich normalisiert, dann brauchen wir diese Busse, das ist ein nachhaltiges Verkehrskonzept, und Tourismus zum Beispiel in der Fläche ist ohne den Busunternehmer überhaupt nicht denkbar.
Heinlein: Aber warum, Herr Rabe, hat dieser Busunternehmer oder auch Hotels, große Hotels oder große Gaststätten in guten Zeiten keine ausreichenden Rücklagen gemacht, um diese Krise jetzt zu überstehen? Denn in guten Zeiten wird im Tourismus ja gut verdient.
Rabe: Das sagen Sie so. Erstens: Diese Form der Krise war nicht vorhersehbar, und insofern gab es kein unternehmerisches Gebot, für solche Extremsituationen vorzusorgen. Und Tatsache ist, dass die Umsatzmargen im Tourismus relativ gering sind. Wir haben ein vielfältiges, eben ein breites Angebot von Kleinst- und mittleren Unternehmen, das heißt, der Wettbewerb ist sehr intensiv und dementsprechend sind die Margen nicht sehr groß.
Für die Kleinen sind Kreditmittel schwer erreichbar
Heinlein: Wen trifft es denn aktuell härter, die Großen Ihrer Branche oder die kleinen Hotelbetreiber und Reiseveranstalter?
Rabe: Gleichermaßen. Die Großen sind vielleicht flexibler in der Frage der Inanspruchnahme von Krediten, im Hinblick auf die Finanzierung durch Banken et cetera, und es gibt ja den einen oder anderen Großen, der auch schon jetzt von staatlichen KfW-Mitteln profitiert hat. Das sind Mittel, die … Für die Kleinen, die diese Fazilitäten so nicht in Anspruch nehmen können, sind diese Mittel schwer erreichbar, weil die Hausbanken das Geschäftsmodell des Tourismus als risikogeneigt ansehen, die entsprechenden Unternehmensprognosen vor dem Hintergrund der Unsicherheit, die wir eingangs im Gespräch geschildert haben, eher negativ beurteilen und vor diesem Hintergrund sich die Kreditgewährung sehr schleppend zeigt.
Heinlein: Sie haben ein Hilfspaket gefordert, ganz kurz noch zum Schluss, Herr Rabe. Erhoffen Sie sich von der Politik auch ein anderes Signal, etwa, dass Campingplätze oder Ferienwohnungen jetzt wieder geöffnet werden können? Ganz kurz bitte.
Rabe: Das gilt genauso für Ferienwohnungen, Campingplätze. Es bedarf halt Schutzkonzepten und entsprechender Durchführungsvorstellungen, die Hygienemaßnahmen soweit sicherstellen, dass eben das Infektionsrisiko begrenzbar ist.
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