Es herrscht Aufregung in dem kleinen Ort 25 de Febrero. Rund 40 Gemeindemitglieder haben sich versammelt. Einige sitzen auf Klappstühlen, andere lehnen an der Wand. In der Halle steht die Luft, es ist ein schwül-heißer Tag in der Regenzeit. Dunkle Wolken sind am Himmel aufgezogen, die ersten Regentropfen fallen.
"Wir können den Tren Maya noch stoppen. Wir müssen uns nur alle zusammenschließen. Die Baufahrzeuge sollen abziehen. Sie sollen wissen, dass wir was wert sind", sagt ein Landwirt aufgebracht. Er springt von seinem Stuhl auf.
Durch den kleinen Ort im Bundesstaat Campeche soll in Zukunft der Maya-Zug fahren. Die neuen Schienen, die dafür schon bald verlegt werden sollen, würden die Gemeinde genau in der Mitte durchschneiden. Der Ort lebt von Landwirtschaft, Honigproduktion und Viehzucht.
Anfang des Jahres waren Mitarbeiter des Entwicklungsfonds für Tourismus "Fonatur" in das Dorf gekommen. Das staatliche Unternehmen soll das Mega-Projekt im Auftrag der mexikanischen Regierung umsetzen. Sie haben viel versprochen, erzählen die Bewohner, eine rosige Zukunft für den Ort.
Indigene fühlen sich übergangen
Wir fühlen uns betrogen, sagt José del Carmen, der Vorsteher für die Landwirtschaftsgemeinschaft: "Wir haben ursprünglich für den Tren Maya gestimmt – auf der Grundlage der Informationen, die sie uns damals präsentiert haben. Es hörte sich so an, als würden wir tatsächlich davon profitieren. Jetzt sehen wir, dass die Aussichten ganz anders sind. Wir machen uns Sorgen."
Der Zug wird lediglich durch den Ort hindurchfahren, eine Station wird es nicht geben. Die Bewohner hatten Forderungen gestellt – sie wünschen sich Bahnübergänge, damit die Kinder die Schulen auf beiden Seiten besuchen können. Und es gebe auch nur auf einer Seite ein Krankenhaus, sagt José del Carmen: "Die Bauern, die von dem Trassenbau betroffen sind, wissen nicht, ob sie entschädigt werden, generell was mit ihnen in Zukunft passiert. Wir brauchen Unterstützung für ein Entwässerungssystem, damit das Land in der Regenzeit nicht geflutet wird. Es gibt viele Unsicherheiten. Wir bekommen keine Antworten auf unsere Fragen. Am Ende wollen sie doch einfach nur ihre Schienen bauen. Die Arbeiten haben ja bereits begonnen."
Der "Maya-Zug" ist das touristische Prestigeprojekt des mexikanischen Präsidenten. Er soll die archäologischen Stätten im Süden des Landes verbinden. Doch der Bau der 1.500 Kilometer langen Zugstrecke stößt bei vielen Indigenen auf Widerstand.
Unweit der Halle sind bereits schwere Fahrzeuge aufgefahren, Bauarbeiter prüfen den Boden. Dabei hatte der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador immer wieder betont, dass die Leute vor Ort von dem Tren Maya profitieren sollen, kritisiert José del Carmen.
Jetzt würde die Indígena-Gemeinde einfach übergangen. Der mexikanische Präsident sieht sich selbst gerne als Vertreter der Armen.
Prestigeprojekt für den Präsidenten
Der Tren Maya ist das Lieblingsprojekt von López Obrador, das er auch während des Höhepunkts der Pandemie stoisch vorangetrieben hat.
Während die Bevölkerung im Lockdown zu Hause bleiben sollte, ist der Präsident in den Süden nach Yucatán getourt, um den Startschuss für die Bauarbeiten zu geben: "Es ist viel Zeit vergangen, in der diese Region nicht berücksichtigt wurde. In den letzten 40 Jahren ist nur Cancún gewachsen, die Riviera Maya. Der Rest der Region lag brach. Deswegen sind die Menschen weggegangen. Mit diesem Projekt wollen wir die Entwicklung fördern und viele neue Arbeitsplätze schaffen. Mit dem Zug wird man die Möglichkeit haben, die alten archäologischen Maya-Stätten und gleichzeitig die neuen Städte in der Region kennenzulernen."
Neue Siedlungen sollen drumherum wachsen, mehr als 80.000 Arbeitsplätze durch den "Tren Maya" entstehen und der Tourismus angekurbelt werden. Gleichzeitig soll er als Güterzug und Transportmittel für die lokale Bevölkerung dienen.
Ab 2024 dürfte der Maya-Zug eine Strecke von rund 1.500 Kilometern abfahren und pro Jahr rund drei Millionen Touristen transportieren - die Bundesstaaten Chiapas, Yucatán, Campeche, Quintana Roo und Tabasco durchqueren. Vorbei an weißen Stränden, an archäologischen Ausgrabungsstätten der Maya-Kultur und auch durch Naturschutzgebiete führen.
Naturschützer schlagen Alarm
Auf der Strecke liegt auch die archäologische Stätte von Calakmul. Sie versinkt im dichten Regenwald. Hier arbeitet Claudio López. Er macht Führungen für Touristen. Dieses Natur-Juwel sei in Gefahr. Er läuft einen schmalen Pfad entlang, immer wieder muss er Zweige zur Seite biegen.
"Ich bin hier umgeben vom Regenwald", sagt Claudio López. "Ich bin stolz und froh darüber in dieser Region zu leben. Es ist einer der wichtigsten Regenwälder der Welt. Calakmul ist das größte Naturreservat von Mexiko. Die archäologische Stätte und das Reservat wurden zum Weltkulturerbe der UNESCO ernannt. Hier gibt es unglaublich viel Artenreichtum, Diversität. Die größte Raubkatze ist hier der Jaguar."
Nach dem Amazonas ist es die zweitgrößte Lunge des Kontinents. Volle 600 Hektar Regenwald würden von den neuen Bahntrassen durchpflügt. Der Naturschützer nähert sich einer Schlucht, die in eine Höhle mündet - Fledermausvulkan genannt. Jetzt in den Abendstunden verlassen Millionen von Fledermäusen die Höhle. Sie tanzen in der Luft, schrauben sich spiralförmig in den Himmel.
Auch sie würden durch den Bau der Schienen bedroht: "Der Fledermausvulkan ist einzigartig, eine Überraschung, die uns Mutter Natur hier beschert. Und all das ist in Gefahr. Selbst heftiger Regen hat schon zur Erosion geführt, der Boden ist hier sehr porös. Der Tren Maya wird sehr nah an der Höhle gebaut. Die Vibration könnte dazu beitragen, dass die Höhle nach und nach abrutscht und einstürzt."
Mit 160 Kilometern pro Stunde soll der moderne Hightech-Zug durch die Landschaft rasen. Claudio befürchtet außerdem, dass mit dem Tourismus sich auch das organisierte Verbrechen ansiedelt – so wie es in der Touristen-Hochburg Cancún der Fall ist.
Bislang sei die Region verschont geblieben: "Hier ist es noch friedlich, aber wenn die Touristen kommen, wird sich das ändern. Bisher bezahlt hier noch niemand Schutzgeld. Die Regierung wird das nicht kontrollieren können, die Situation wird ihnen entgleiten", befürchtet der Naturschützer. Das habe die Erfahrung der ersten beiden Jahre von Präsident López Obrador gezeigt. Die Regierung setze den kriminellen Banden nichts entgegen.
Hoffnung auf Arbeitsplätze
In Palenque, der ehemaligen Maya-Metropole und der heutigen Stadt, werden währenddessen Fakten geschaffen. Hier wird bereits gebaut. Es gibt schon eine Bahnstrecke. Hier sollen nun die alten rostigen gegen neue Schienen ausgetauscht werden.
Die Sonne brennt auf José Pérez Hernández herab. Er trägt Mundschutz, einen blauen Bauhelm, dicke Handschuhe. Er winkt seinem Kollegen zu, weist den Gabelstapler ein, der die neuen Bahnschwellen aufstapelt. "Das Projekt ist wirklich eine super Idee, die Leute werden hier in Chiapas davon profitieren. Die Arbeitslosigkeit ist groß. Durch den Tren Maya gibt es nun viel Arbeit. Vorher habe ich als Maurer gearbeitet, jetzt habe ich hier eine Chance bekommen. Ich verdiene ein bisschen mehr. 400 Pesos am Tag."
Das sind umgerechnet 15 Euro für harte Arbeit. Zwei Jahre lang wird er für den Tren Maya gebraucht, schätzt José, wie es danach weitergeht, weiß er nicht. Er wendet sich wieder den Bahnschwellen zu.
Einige Kilometer weiter im Zentrum von Palenque verkauft Anatolio selbstgemachte Tamales, gefüllte Maistaschen. "Es gab hier noch nie so ein großes Projekt. Ich werde meine Bewerbungsunterlagen einreichen, um auf dem Bau mitzuarbeiten. Es werden viele neue Jobs entstehen, das haben sie versprochen", so Anatolio. "Und wenn es nicht klappt, dann verkaufe ich halt weiter Essen auf der Straße."
Er zuckt mit den Schultern. Hört man sich entlang der geplanten Zugstrecke um, setzten viele Menschen große Hoffnung in den Tren Maya.
Die mexikanische Regierung hat Anfang des Jahres eine Befragung durchgeführt. Daran haben rund 100.000 Menschen in 84 Ortschaften teilgenommen. 92,3 Prozent stimmten dem Bau der Zugstrecke zu.
Doch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Mexiko zweifelt das Ergebnis an. Die Umfrage hätte nicht den minimalen internationalen Standards entsprochen. Es sei lediglich über die positiven Effekte des Tren Maya informiert worden. Abgestimmt hätten lediglich Bürgermeister und Gemeindevorstände. Die Übersetzung in indigene Sprachen, die viele Maya-Nachfahren nach wie vor sprechen, sei ungenügend gewesen. Trotzdem haben sich 64 Indígena-Gemeinden allein im Bundesstaat Campeche zur Unterstützung des Vorhabens zusammengeschlossen.
Verschärfung der Wasserknappheit erwartet
Aber auch Protest formiert sich. Sechs Beschwerden wurden in den letzten Monaten gegen den Tren Maya eingereicht. Der Indigenen-Rat CRIPX hat auf einem Teilabschnitt sogar einen vorläufigen Baustopp erreicht – das Gericht hat Ramón López Diáz und 18 weiteren Mitstreitern, die die Beschwerde unterschrieben haben, Recht gegeben.
Ramón López Diáz kommt gerade vom Feld. Der 46-Jährige kultiviert Bäume für die Holzproduktion. Sein Hemd ist durchgeschwitzt. Er sitzt müde in der Hängematte vor seinem Haus. Er hat große Bedenken: "Wir könnten ein großes Wasserproblem bekommen. Hier gibt es jetzt schon nicht ausreichend Wasser. Was machen wir, wenn hier auf einmal 5.000 Touristen nach Calakmul kommen. Der Durchschnittstourist ist nicht gewohnt, mit wenig Wasser auszukommen. Davon werden wir betroffen sein. Ein Hotel wird nie ohne Wasser sein, dafür wird immer gesorgt. Aber die lokale Bevölkerung, die Familien – da kann es sein, dass sie Wochen ganz ohne Wasser dastehen."
Das bereits vorhandene Wasserproblem werde sich verschärfen. Diese Einschätzung teilt auch die Direktorin der Nichtregierungsorganisation Pronatura in Mérida, Maria Andrade: "Davon werden der Tourismus, die Landwirtschaft, die Wirtschaft in der Region betroffen sein. Wir kennen das aus dem Norden unseres Landes, welche Konflikte das Thema Wasser in sich birgt."
Sie sei nicht per se gegen den Zug, doch für sie hat das gegenwertige Konzept weder Hand noch Fuß. Von dem Tourismus würden die großen Unternehmen profitieren, nicht die Leute vor Ort. "Wir sehen keine klare Strategie, dass die lokale Bevölkerung auf den Tren Maya vorbereitet wird. Unsere Erfahrung ist, dass man erstmal in die Leute investieren muss. Sie müssen für den Tourismus ausgebildet werden. Die Sprache ist schon ein Problem, sie sprechen kein Englisch, die Nutzung der sozialen Medien, die man ja für den Tourismus braucht – dafür müssen sie geschult werden."
Kritik an Kritikern
Dem mexikanischen Präsidenten sind der Protest und die Kritik ein Dorn im Auge. Erst kürzlich warf er den Organisationen und den beteiligten Gemeinden vor, dass sie mit Hilfe von ausländischer Unterstützung den "Tren Maya" boykottierten: "Ich habe die Informationen über all die angeblich unabhängigen Organisationen der sogenannten Zivilgesellschaft erhalten, die Geld bekommen, einige davon aus dem Ausland, damit sie sich gegen den Tren Maya stellen. Sie verkleiden sich für Geld als Umweltschützer oder Menschenrechtler."
Der Vorwurf richtet sich auch gegen die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung, die Organisationen im Bereich Gender, Menschen- und Umweltrechte unterstützt. Darunter auch den Indigenen-Rat CRIPX, der einen Baustopp auf einem Teilabschnitt erreicht hat.
Der Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung Dawid Bartelt sieht die wachsende Gefahr, dass der Raum für kritische Stimmen gegen AMLO – wie der mexikanische Präsident kurz genannt wird - immer mehr eingeschränkt wird: "In der Tat ist es nicht das erste Mal, dass er gegen - wie er immer sagt - die sogenannte Zivilgesellschaft oder Pseudoambientalisten, hat er letztens auch noch mal in seiner Regierungserklärung gesagt, dass er gegen die vorgeht. Das war bisher vor allen Dingen rhetorisch, das tut AMLO, weil diese ihm sehr unbequem sind, weil sie ihn kritisieren, als ob Opposition per se verboten sei, als ob vom Ausland Geld zu bekommen, per se verboten sei, schon Vaterlandsverrat ist, das hat er nahegelegt."
Die mexikanischen Organisationen hätten schnell reagiert, so Bartelt: "Es gab eine gemeinsame Erklärung von über 1000 Organisationen unterzeichnet, auch Menschenrechtsorganisationen und auch andere, die auch in anderen Bereichen tätig sind, die sich sehr massiv gegen das verwehrt haben, genau deswegen, weil sie auch gespürt haben, das kann uns bei einer nächsten Gelegenheit genauso treffen und betreffen. Und deswegen müssen wir auch jetzt schon ganz klar sagen: Präsident, hier gehst Du zu weit - das ist nicht in Ordnung, und wir werden das auch so nicht hinnehmen."
"Weniger Geld für den Gesundheitssektor"
Genauso wurden unliebsame Journalisten regelmäßig von López Obrador kritisiert, beobachtet der politische Analyst Macario Schettino. "Er hat in der Vergangenheit immer wieder seine Kritiker öffentlich diskreditiert. Er akzeptiert letztlich keine Opposition zu seinen Projekten, seinen Wünschen."
Dass es dem Präsidenten weiterhin sehr ernst mit dem Tren Maya ist, zeige sich auch an dem gerade veröffentlichten Haushalt für das nächste Jahr, erklärt der Politikwissenschaftler am Telefon: "Die Staatsausgaben für den Tren Maya wurden für 2021 sogar noch einmal erhöht. Das sind durchaus bemerkenswerte Mittel, die da freigegeben werden. Für das nächste Haushaltsjahr werden 1,5 Milliarden Euro in das Mega-Projekt fließen – ungeachtet der Kritik von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen und der indigenen Gemeinden."
Schettino hält den Bau der Bahnstrecke in einer sich immer weiter zuspitzenden Wirtschaftskrise in Pandemie-Zeiten für eine Fehlentscheidung: "Ressourcen in ein Projekt wie den Tren Maya zu stecken, bedeutet weniger Geld für den Gesundheitssektor. Wir könnten die Ressourcen, die nun für das Projekt vorgesehen sind, besser für dringendere Dinge ausgeben. Und am Ende scheint ja noch nicht einmal klar, ob der Tren Maya, so wie geplant, ein Gewinn ist."
"Uns gehört das Land"
In der Zentrale des staatlichen Entwicklungsfonds für Tourismus "Fonatur" in Mexiko-Stadt empfängt der Direktor Besuch in einem Sitzungsaal. An den Wänden hängen Pläne für das Zugprojekt, Fotos von archäologischen Maya-Stätten. Hier wird die Zukunft skizziert.
24 Stunden am Tag halte ihn das Mega-Projekt auf Trab, sagt Rogelio Jímenz Pons grinsend. Bei dem Vorwurf, dass die Planung intransparent sei, entgegnet er nur: "Wir haben zweifelsohne ein Kommunikationsproblem, aber uns fehlen die Mittel, um die Leute korrekt zu informieren."
Einige Gemeinden würden schließlich auch wirklich weit weg leben. Er hebt die Hände, als sei er hilflos. Der Zeitdruck sei groß, schließlich müsse der Zug in den verbleibenden vier Jahren Amtszeit des Präsidenten zum Laufen gebracht werden, ansonsten wäre alles umsonst, meint Pons.
Mexikanische Präsidenten verewigen sich gerne mit Mega-Projekten. Alle zehn Tage trifft Pons Andrés Manuel López Obrador, um Bericht zu erstatten. Und auch er wird nicht müde zu betonen: "Das Projekt diene der Entwicklung der Region, auf die gerechteste Art und Weise für die lokale Bevölkerung."
Es sind Sätze wie diese, die die Bewohner des kleines Ortes 25 de Febrero erzürnen. Auf der Versammlung in der Dorfhalle bringt es eine Frau im pinken T-Shirt auf den Punkt. Auf den Regenschirm gestützt empört sie sich: "Nur weil wir arm sind, denken sie, dass sie das mit uns machen können. Sie haben Geld, haben studiert. Wir sind zwar nur Indígenas, aber uns gehört das Land. Wenn sie uns nicht anhören, dann sagen wir: Adiós Tren Maya."