Peter Kapern: Seit fünf Jahren steigt die Zahl der Touristen, die nach Mallorca kommen, von Rekord zu Rekord. Mehr als elf Millionen sind es auch dieses Jahr wieder. Die meisten Besucher stammen aus Deutschland, aber jetzt setzen sich die Einwohner Mallorcas gegen die Touristeninvasion zur Wehr. Tourismus schön und gut, schließlich leben sie davon, aber so wie derzeit kann es wohl nicht weitergehen, und deshalb protestieren und demonstrieren sie, gegen Sauftouristen aus Deutschland, gegen grölende Nazi-Banden, gegen steigende Mieten, gegen den drohenden Verkehrskollaps, und nicht zuletzt auch gegen die Mülllawine, die der Tourismus zurücklässt.
Olivia Neuroth berichtet
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Und in Palma de Mallorca am Telefon ist Alexandra Wilms, die Sprecherin des Tourismusministers der Balearen. Guten Morgen, Frau Wilms!
Alexandra Wilms: Schönen guten Morgen, Herr Kapern!
Kapern: Frau Wilms, wann waren Sie eigentlich das letzte Mal in Arenal am Ballermann, im "Bierkönig" oder im "Oberbayern"?
Wilms: Das ist schon einige Jahre her, muss ich ehrlich sagen.
"Es sind sicherlich auch Problemherde für den Sauftourismus"
Kapern: Das sind nun die Orte, die hier in Deutschland immer wieder im Zentrum der Berichterstattung stehen, weil man nirgendwo sonst so viel Grund für Mitleid mit den Mallorquinern haben kann, die diese deutschen Touristen ertragen müssen. Wie würden Sie diese Touristen und diese Orte denn beschreiben?
Wilms: Das ist schwierig. Also zuerst einmal, das Mitleid mit den Mallorquinern ist sicherlich gerechtfertigt, aber im "Bierkönig" finden Sie, glaube ich, sehr wenige von den Einheimischen tatsächlich vor Ort. Es sind Orte, in denen viele Deutsche, die bei vielen Deutschen legendär sind, um Urlaub zu verbringen, was sicherlich auch okay ist, wenn man das irgendwie in Maßen macht. Aber es sind sicherlich auch Problemherde für den Sauftourismus, der in diesem Jahr mal wieder in den Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit gerückt wurde.
Kapern: Nicht zuletzt, weil der Bürgermeister von Palma selbst die Leute, die dort ihren Urlaub auf die Art verbringen, wie sie das nun mal tun, als "Abschaum" bezeichnet hat.
Wilms: Ich glaube, er hat das auch sehr schnell relativiert und gesagt, dass das ein ganz kleiner Teil der Besucher ist, die wir hier empfangen. Aber es ist natürlich schon so, dass eben die Schlagzeilen in diesem Jahr nicht dafür gesorgt haben, dass das Verständnis und die Toleranz in Richtung dieser Art von Besuchern wirklich gewachsen ist.
"Wir haben mit der Flughafenverwaltung leider überhaupt nichts zu tun"
Kapern: Man ist so als Beobachter, Frau Wilms, ein wenig hin und her gerissen – wenn man beispielsweise Videos sieht über das Benehmen deutscher Touristen an diesen Orten, die wir gerade genannt haben, dann lernt man, was der Begriff "fremdschämen" bedeutet.
Andererseits muss man aber doch sagen, jedes Hotel, das da auf Mallorca betrieben wird, hat eine Lizenz Ihrer Regierung, genauso wie jede Kneipe und jede Diskothek. Und jedes Flugzeug, das Touristen ranbringt, hat eine Landeerlaubnis der mallorquinischen Behörden. Da ist es doch jetzt eigentlich etwas seltsam, dass man mit dem Finger auf die Touristen zeigt, oder?
Wilms: Da muss ich gleich mal an einem ganz wichtigen Punkt einhaken: Nicht jedes Flugzeug hat eine Erlaubnis der mallorquinischen Behörden. Ganz im Gegenteil, das ist eine seit Jahren andauernde Forderung der Regionalregierung hier. Wir haben mit der Flughafenverwaltung leider überhaupt nichts zu tun. Wir haben keinerlei Mitspracherecht über die Zahl der Slots, also der Landeerlaubnisse, die vergeben werden. Das wird ausschließlich von Madrid aus geregelt, und das ist natürlich ein Problem, wie Sie sich vielleicht vorstellen können, wenn die halb privatisierte Betreibergesellschaft, die in Madrid sitzt, natürlich großes Interesse daran hat, diesen Flughafen und seine Kapazitäten bis zum Maximum auszureizen.
Kapern: Aber auch dieses Problem kann man doch den deutschen Touristen schlecht anhängen, oder?
Wilms: Das ist doch auch gar nicht der Fall. Nein, auf gar keinen Fall. Ich glaube, das wird ein bisschen aufgebauscht in den deutschen Medien, und das wird auch zu persönlich genommen. Das ist sicherlich ein Problem, das die Politik hier lange Jahre ignoriert hat, dass man eben einfach nur weiter wachsen wollte und nicht daran gedacht hat, was das vielleicht in der langen Konsequenz heißt.
Wir gehen das Problem an, wir nehmen die Sorgen der Leute ernst. Wir haben in der vergangenen Woche ein Gesetz verabschiedet, das zum allerersten Mal die Zahl der Betten, der vorhandenen Touristenplätze wirklich limitiert. Das heißt nicht, dass wir wollen, dass jetzt weniger Leute kommen. Das heißt einfach, dass die mittlerweile vorhandenen ungefähr 430.000 Touristenplätze auf Mallorca nicht weiter wachsen können. Es ist ein Kontingent von ungefähr 40.000 weiteren Plätzen vorhanden, die noch vergeben werden können für Hotels oder für Ferienvermietung, aber danach ist Schluss, und danach gibt es keine weiteren Touristenplätze mehr.
"Das gelingt tatsächlich, mit diesen anderen Angeboten auch andere Gäste anzuziehen"
Kapern: Schauen wir noch mal ein wenig auf die politische Steuerung des Tourismus auf Mallorca. Wenn ich mich recht entsinne, dann ist vor Jahren eine Touristensteuer eingeführt worden, um den Charakter des Tourismus auf Mallorca zu ändern, also weg von diesem Billigimage. Diese Steuer wird jetzt tagtäglich kassiert. Aber hat sich an dem Image denn tatsächlich was geändert?
Wilms: Die Steuer, muss ich kurz erklären, wurde 2001 mal eingeführt von einer ebenfalls links-grünen Regierung, und im Jahr darauf, als die Konservativen wieder an die Regierung kamen, abgeschafft sofort. Wir haben die letztes Jahr wieder eingeführt zum 1. Juli. Das hat auch ganz problemlos geklappt, weil ich glaube, die ist relativ gering im Vergleich zu deutschen Kurtaxen beispielsweise wirklich vertretbar und stemmbar auch für Familien.
Hat sich was geändert? Ja und nein. Die Insel hat geschafft, was seit sehr langer Zeit auf der Agenda stand, die Saison zu verlängern. Und gerade Besucher, die in den ruhigen und viel angenehmeren Monaten wie März, April, Mai oder auch Oktober und November kommen, die haben auch eine ganz andere Insel vor Augen. Die wissen, dass die Insel ganz anders ist, und dass eben der Ballermann und der Bierkönig ein mini-kleiner Teil dieser Insel ist, dass Mallorca aus wunderschöner Natur besteht, die man entdecken kann, aus Gastronomie, die wirklich lecker ist, aus kleinen, süßen Dörfern – dass da ganz viel anderes da ist und insofern das gelingt tatsächlich, mit diesen anderen Angeboten auch andere Gäste anzuziehen.
Kapern: Aber nun beklagen sich die Einheimischen, das habe ich gelesen, darüber, dass so viele Privatwohnungen rechtswidrig als Ferienwohnungen vermietet werden. Wir kennen das alle, per Internet, Airbnb und so weiter. Und da kann man ja gut verstehen, den Protest, und den gibt es ja auch an anderen touristischen Hotspots. Und nun lese ich auch, dass es in Palma de Mallorca sage und schreibe 15 Kontrolleure gibt, die nachschauen sollen, ob bei der Ferienwohnungsvermietung alles mit rechten Dingen zugeht. Liegt da das Problem? Der Staat schaut eigentlich gar nicht genau genug hin?
Wilms: Das war sicherlich lange Zeit so. Dieses Problem wird ebenfalls in diesem Gesetz, das ich gerade schon erwähnt habe, das wir letzte Woche verabschiedet haben, angegangen. Das heißt, es gibt uns zum ersten Mal wirksame Mittel, da auch wirklich gegen dieses illegale Angebot vorzugehen. Wir hoffen sehr, dass man damit die Situation ein bisschen in den Griff kriegt. Weil wie Sie ja schon sagten, das ist ja ein weltumfassendes Problem. Da kämpft Berlin genauso mit wie Amsterdam. Wir haben da uns die gesetzlichen Regelungen in anderen Städten, in anderen Ländern angeguckt und hoffen, dass wir mit dem, was wir da verabschiedet haben in der vergangenen Woche, auch wirklich ein wirksames Mittel in der Hand haben, um da einzugreifen.
"Da ist wenig Lösung in Sicht"
Kapern: Haben Sie denn auch schon eine Lösung für ein anderes Problem, das erstaunt? Da lese ich, dass auf Mallorca 40.000 Mietautos registriert sind, aber tatsächlich 100.000 Mietautos unterwegs sind. Kein Wunder, dass da über Blechlawinen und Dauerstau gesprochen wird.
Wilms: Das ist sicherlich nicht hilfreich, dass diese Menge von Autos dazu kommt. Man muss aber auch sagen, es fahren ungefähr 800.000 Privatwagen auf Mallorca rum. Insofern muss man da auch wieder ein bisschen relativieren. Da ist wenig Lösung in Sicht tatsächlich, weil wir leben in einem Europa der Personen- und der Warenfreizügigkeit. Das heißt, wir können nicht die Zahl der Zahnbürsten bestimmen, die auf die Insel importiert wird, und auch nicht die Zahl der Autos, Mietwagen. Das geht tatsächlich nicht, die können wir nicht limitieren. Wir sind im Moment dabei, zu gucken, kann man das irgendwie über steuerliche Maßnahmen ein bisschen steuern. Das große Problem ist natürlich auch, dass die Mietwagenunternehmen ihre Flotten auf dem Festland zugelassen haben, wo die Steuern viel günstiger sind, und dann im Sommer hier rüberschiffen. Wir sind dran, da irgendwas zu finden, aber das ist tatsächlich durch europäische Rechtsprechung sehr schwierig.
Kapern: Alexandra Wilms, die Sprecherin des Tourismusministers der Balearen, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Frau Wilms, ich hoffe, Sie haben gutes Wetter auf Mallorca, ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Wilms: Wünsch ich Ihnen auch, danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.