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Touristen verdrängen Einheimische
Rügen will kein neues Sylt werden

Urlaub an der Ostsee liegt im Trend: Zumindest gemessen an der Zahl der Übernachtungen ist Mecklenburg-Vorpommen deshalb inzwischen zum beliebtesten inländischen Reiseziel der Deutschen geworden. Doch der Tourismus bereitet vielen Einheimischen auch Sorgen.

Von Silke Hasselmann |
Ein selbst gebautes Holzschild in Klein Zicker auf der Insel Rügen, dass eine Ferienwohnung belegt ist
Auf Rügen verdrängen die Touristen zunehmend Einheimische (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
Anita Weidendorf sitzt in einem Café in Bergen auf der Insel Rügen, neben sich ein Fahrrad und eine Fotokamera. An diesem Sommertag hat sie schon etliche Kilometer in den Beinen, denn ihre Pension steht in Alt-Reddevitz.
"Alt-Reddevitz gehört zu Mönchgut und ist eine Halbinsel. Also es ist abgelegen und noch relativ ruhig. Noch. Bis auf einige neue Baustellen, die ich entdeckt habe. Zum Beispiel habe ich wieder mit Entsetzen festgestellt, dass ein Protzbau - so nenne ich das - nach dem anderen entsteht. Und entsteht an den schönsten und abgelegensten Stellen. Wir können froh sein, wenn wir hier nicht die ganzen Küsten zubauen. Es wird schon noch aufgepasst, aber wenn man lange nicht da war, dann denkt man immer wieder: Da und da – überall sitzt so ein super Hotel. Das ist das, worüber der Otto Normalverbraucher echt sauer ist."
Die "Verl-Syltung" von Rügen
Dabei wollte die knapp eintausend Quadratkilometer große Ostseeinsel nie werden wie die Nordseeinsel Sylt, sagt Bernhard Wildt. Er und seine Frau leben seit 15 Jahren in dem Mönchguter Dorf Groß Zicker und betreiben auf Rügen sowohl drei Ferienhäuser wie auch einige Dauerwohnungen. Laut Bernhard Wildt "eine gesunde Mischung", die aber längst nicht jeder Investor auf der Insel anstrebe. Die Folge:
"Ich denke, wir sind auf jeden Fall an die Grenzen des Wachstums gestoßen. Es sollte hier nicht noch weiter investiert werden, weil die Proportionen einfach nicht mehr passen. Also eines der Hauptprobleme ist, dass die Immobilienpreise sehr, sehr stark gestiegen sind und es deshalb für einheimische junge Familien nahezu unerschwinglich wird, die sich hier eine Existenz aufbauen wollen, hier überhaupt Eigentum zu erwerben. Also wenn hier im Dorf oder Mönchgut insgesamt Häuser verkauft werden, werden die in aller Regel an Auswärtige verkauft, die Ferienhäuser daraus machen. Ich nenne das 'Ver-Syltung': Das ist die gleiche Entwicklung, die wir auf Sylt vor einigen Jahren oder Jahrzehnten schon hatten."
So sieht es auch Andreas Meyer aus dem 700 Jahre alten Garz - Rügens älteste Stadt. Wie die meisten Rüganer lebt auch er vom Tourismus, denn er arbeitet im 24 Kilometer entfernten Ostseebad Sellin als Betriebsleiter der einzigen Großwäscherei auf der Insel. Deren Kunden: vor allem Hotels, Pensionen und private Ferienhausvermieter. Doch auch Andreas Meyer beklagt, dass "alles zugebaut" werde.
"Wir sind auf dem Weg, den Sylt vor vielen Jahren gegangen ist: Immer mehr Bauen. Immer mehr Luxus. Muss alles privatisiert werden. Und wenn ich mir überlege, wie viel Wohnungsnot wir überall eigentlich haben in diesem ganzen Land, und mir dann anschaue, dass da hunderte und tausende Ferienhäuser zum Anschaffungswert von einer Million oder wenigstens 750.000 Euro stehen, die nicht bewohnt werden dürfen, weil es der Gesetzgeber nicht hergibt, weil sie in einem Ferienhausgebiet stehen, dann muss man spätestens an der Stelle merken, dass irgendwas nicht ganz in die Richtung läuft, in die wir eigentlich wollten und die wir gehen müssen."
Wohnungen werden in Ferienunterkünfte umgewandelt
Doch der Tourismus ist eben auch der mit Abstand wichtigste Teil der Insel-Wirtschaft. Und wo die Nachfrage nach komfortablen Ferienunterkünften anhält wie auf Rügen, da würden eben weiterhin Dauerwohnungen in Ferienwohnungen umgewandelt oder Ferienhäuser gebaut, erklärt der Vorsitzende des Tourismusverbandes Rügen, Knut Schäfer, den Mechanismus.
"Man investiert einfach in Beton, und gerade in touristisch interessanten Gebieten in Küstennähe oder in der Nähe von Nationalparks etc. haben Sie natürlich durch touristische Nutzung die Möglichkeit einer schnellen Refinanzierung."
Mittlerweile sehen aber auch viele der 240 Mitglieder in seinem Tourismusverband die ungebremste Nachfrage nach Ferienwohnung und den damit verbundenen "Bettenwahn" kritisch, sagt Knut Schäfer.
"Der Bettenwahn ist ein Thema gerade jetzt auch. 'Betongold' ist in aller Munde und nachgefragt und ist ein Thema, das sich konträr zum Thema Qualität entwickelt. Qualität hat natürlich damit etwas zu tun, dass der Gast diese Produktversprechen, die wir ihm geben von 'unberührter Natur', von 'Stille', von 'Stränden abseits des Massentourismus' - diese Produktversprechen müssen wir natürlich auch halten. Und da kann es nicht sein, dass wir auch dünnbesiedelte Regionen oder nicht so stark frequentierte Regionen als touristische Hinterräume anfangen vollzupflastern."
Doch genau das passiert, meint Andreas Meyer aus Garz.
"Wenn Sie auf die Halbinsel Wittow fahren: Absolut fantastische Gegend, tausend schöne Meter Strände - und es entsteht eine Ferienhaussiedlung nach der anderen. Auf dem Bug, habe ich gehört, ist von 400 Ferienhäusern die Rede. Es ist krank, was im Moment passiert. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Blase nicht in absehbarer Zeit platzt. Denn das muss alles bewirtschaftet werden. Ich glaube, wir sind längst an dem Punkt, wo für die Einheimischen kein Platz mehr ist."
Doch auch auf Deutschlands größter Insel platzen so manche Investorenträume. So setzte die von Andreas Meyer mitgegründete Bürgerinitiative einen Bürgerentscheid durch. Der Garzer Bürgermeister will sich an das klare Abstimmungsergebnis halten und die die Baupläne für 44 Ferienhäuser auf dem Naturcampingplatz Rügen-Pritzwald stoppen.