Ihre Bilder der 1930er-Jahre sind rätselhaft und realistisch zugleich: eine Frau, kopfüber an einer Stange sich haltend, verschmilzt mit der porösen Wand. Oder: Ein Adler ohne Krallen, aber mit zarten Händen eines Menschen hockt auf einer mit Glasscherben gespickten Mauer. Die tschechische Malerin Toyen nahm im Kreis der Surrealisten in Paris einen besonderen Platz ein. Mit deren zentraler Gestalt, dem Schriftsteller André Breton, verband sie eine lange Freundschaft. Der Architekt Karel Honzik schrieb in seinen Erinnerungen:
„Toyen, in einem Kostüm mit Herrensakko und Herrenhemd, Baskenmütze, die Hände meist in die Taschen vergraben, ab und an eine Zigarette im Mundwinkel. Ihr lässig wiegender Gang schien zu sagen, was ihr von mir denkt, ist mir egal.“
Das Manifest des "Artifizialismus"
Am 21. September 1902 als Marie Čerminová in Prag geboren, verließ sie im Alter von
16 Jahren ihr Elternhaus. Im Herbst desselben Jahres wurde die Tschechoslowakische Republik gegründet, in der Gleichheit unabhängig von Geschlecht und Profession gelten sollte. Marie studierte an der Kunstgewerbeschule und arbeitete in einer Fabrik. Auf einer Reise nach Dalmatien lernte sie den Künstler Jindrich Štyrský kennen, mit dem sie knapp 20 Jahre zusammenarbeiten sollte. 1926 verkündeten sie das Manifest des sogenannten Artifizialismus:
16 Jahren ihr Elternhaus. Im Herbst desselben Jahres wurde die Tschechoslowakische Republik gegründet, in der Gleichheit unabhängig von Geschlecht und Profession gelten sollte. Marie studierte an der Kunstgewerbeschule und arbeitete in einer Fabrik. Auf einer Reise nach Dalmatien lernte sie den Künstler Jindrich Štyrský kennen, mit dem sie knapp 20 Jahre zusammenarbeiten sollte. 1926 verkündeten sie das Manifest des sogenannten Artifizialismus:
„Der Artifizialismus ist die Identifikation des Malers mit dem Poeten. Sein Interesse gilt der Poesie, welche die Lücken zwischen realen Formen füllt und dabei der Wirklichkeit selbst entstammt. Auf die Poesie, die den realen Formen innewohnt, antwortet er mit beständiger Bereitschaft.“
Zwischen Kubismus und Surrealismus
Toyens Malstil wandelte sich mehrfach. Aus naiven Figurenzeichnungen wurden kubistische Landschaften und facettenreiche Abstraktionen, aus ineinanderfließenden Farblandschaften surreale Szenen. Es ging ihr nicht um die Malerei als solche. Sie habe immer nach dem Wunderbaren gespäht, das jederzeit in einem kleinen Detail auftauchen könnte, das für alle anderen unsichtbar sei, sagte die Schriftstellerin Annie Le Brun einmal über Toyen. Und der tschechische Dichters Jindrich Heisler widmete ihr den Band „Auf den Nadeln dieser Tage“. Darin heißt es:
"Vielleicht beginnen angeschwollene Adern unter der Erde die Ruhe zu stören, und die bebende Erde wischt langsam den schweren Staub. Vielleicht sind es die Finger dieser Tage, die die monströsen Knoten lösen, deren verschlungene Wollknäuel von den Wellen zerzaust werden und mit Seegras verflochten den Blick freigeben in ihrem unermesslichen Raum der Hoffnung.“
Das Duo Toyen -Heisler
Toyen versteckt ihren jüdischen Freund Heisler von 1941 bis 1945 in ihrer Prager Wohnung vor den deutschen Besatzern. Der Dichter zeichnete mit Worten surreale Bilder und Toyen ritzte poetische Bilder in Kupferplatten. Eine ihrer Druckgrafiken zeigt eine weite Ebene, bedeckt mit sich im Wind beugenden Gräsern und Bäumen, deren Stämme verknotet sind, wie der lange Hals eines Vogels. Der tritt als Skelett auf und deutet mit einem Flügel auf das tote Astwerk. Die Kunsthistorikerin Annabelle Görgen-Lammers:
„Für mich macht diese Faszination dieser Zeichnungszyklen aus, dass sie erstmal surrealistisch daherkommen und gleichzeitig surreal sind, und dabei aber versuchen das festzuhalten, was ja sämtliche surrealistischen und realen Albträume übertrifft, nämlich die Realität. Das Absurde ist ja, dass in der Zeit die Realität wie ein absoluter Albtraum ist, und sie versucht, diese Vernichtungsmaschinerie des Krieges in ihrer Präzision zu übersetzen in diese Zeichnungen, die eben genauso präzise jetzt dieses absolut unwahrscheinliche Grauen versuchen festzuhalten.“
Als die Kommunisten 1946 in der Tschechoslowakei stärkste Kraft wurden, reisten Toyen und Heisler nach Paris aus. Sie nahmen an den Treffen der Surrealisten teil, unterstützten ihre politischen und künstlerischen Aktivitäten. 1980 starb Toyen im Alter von 78 Jahren in Paris. Aus der verträumten Rebellin war eine souveräne Künstlerin geworden. Jede Form des Totalitarismus betrachtete sie als Angriff auf die künstlerische Freiheit. Nicht umsonst war ihr Name Toyen – der, wie sie sagte, von dem französischen Wort Citoyen, Bürger, abgeleitet war.