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Tracking von Handydaten
Philosoph warnt vor "Maßnahmen einer soften Cyberdiktatur"

Dass zur Bekämpfung des Coronavirus auch das Tracking von Handydaten genutzt werden soll, hält der Philosoph Markus Gabriel für gefährlich. Vor der Krise sei man sich schließlich weitestgehend einig gewesen, dass diese Maßnahme "moralisch verwerflich" sei, sagte er im Dlf.

Markus Gabriel im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
Die Freiwilige Corona-App app.coronapp.eu läuft auf einem Smartphone, im Hintergrund ist die Website des Robert Koch Instituts zu sehen.
Die Corona-App app.corona.eu sollen Nutzer sich freiwillig installieren (imago)
Es sei bemerkenswert, dass über 90 Prozent der Deutschen die Maßnahmen gegen das Coronavirus befürworten, sagte Markus Gabriel, Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit in Bonn, im Dlf. "In einer Demokratie ist es eigentlich verdächtig, wenn solche Einigkeit herrscht." Es gebe eigentlich eine Pflicht dazu, widerstreitende Meinungen einzuholen. Doch durch die hohe Gefahr würden nun andere Regeln gelten. Diese Einigkeit birge aber Gefahren, denn es sei ja durchaus möglich, dass die derzeitigen Maßnahmen auch das Gesundheitssystem gefährdeten. Gesundheitliche Präventionsmaßnahmen blieben schließlich auf der Strecke und auch die wirtschaftlichen Folgen könnten sich im Gesundheitssystem niederschlagen.
Coronavirus
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Es sei daher sehr zu begrüßen, dass in den vergangenen Tagen auch vermehrt kritische Stimmen zu den Maßnahmen aufgetaucht sind. Eine Maßnahme, die Gabriel selbst für sehr gefährlich hält, ist das Tracking von Handydaten: "Warum tun wir etwas, das wir vorher eigentlich für moralisch verwerflich hielten, nämlich Maßnahmen einer soften Cyberdiktatur einführen?" In einigen Staaten, wie zum Beispiel Ungarn, sei bereits klar zu sehen, dass der Ausnahmezustand als Deckmantel für undemokratische Maßnahmen genutzt werde.
Nicht nur ein medizinisches Problem
Man dürfe das Coronavirus zudem nicht nur als ein medizinisches Problem begreifen – auch wenn es das natürlich hauptsächlich sei. Denn das Virus sei auch ein hochkomplexes soziales Problem, das alle Dimensionen des Menschsein anspreche. Es brauche daher auch sozial- und geisteswissenschaftliche Methoden zur Untersuchung. Wenn man die Perspektiven dieser wissenschaftlichen Schulen ausklammere, dann laufe man Gefahr, dass "wir uns als Menschen nur noch sehen als potenzielle Virenträger und das wäre natürlich ein gefährlich einseitiges Menschenbild."
Ein Jugendlicher steht mit Mundschutzmaske auf einem S-Bahnsteig in Berlin und blickt auf sein Handy.
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Man könne politische Entscheidungen nicht alleine naturwissenschaftlich oder technisch rechtfertigen. Ein derartiger "Wissenschaftsglauben" sei genauso falsch wie die vollkommen überzogene Wissenschaftsskepsis von Populisten wie Donald Trump. "Wie müssen Subjektivität und Objektivität ins richtige Verhältnis setzen, und das kann man nicht durch die Wissenschaft alleine", sagte Gabriel.