Der dunkelblaue Rumpf der Christophe Colomb schlägt im regelmäßigen Rhythmus der Wellen an die Kaimauer am Containerterminal Burchardkai im Hamburger Hafen. Sie ist ein gigantischer Stahlkoloss: 365 Meter lang, 51 Meter breit.
Die Christophe Colomb ist eines der größten Containerschiffe, die regelmäßig den Hamburger Hafen anlaufen. Sie gehört zur Flotte der französischen Reederei CMA CGM: Oben an Deck flattert die Drapeau Tricolore, Frankreichs blau-weiß-rote Flagge, im Wind. Die Christophe Colomb befährt im Rundreisedienst die French-Asia-Route. Sie sticht im Heimathafen Le Havre in See, läuft dann die Häfen Rotterdam, Hamburg, Shanghai und Singapur an.
An Deck stapeln sich die Container wie bunte Legosteine, hoch wie Mehrfamilienhäuser. Ob DVD-Rekorder aus Taiwan oder Herrenhemden aus dem Perlflussdelta, Löwenbräu für die Seychellen oder Limousinen für Shanghai – in den vielfarbigen Stahlboxen hat alles Platz. Über 13.000 dieser Transportbehälter kann die Christophe Colomb pro Fuhre transportieren – 13.000 Lkw-Ladungen. Am Containerterminal Burchardkai der HHLA, der Hamburger Hafen und Logistik AG, wird der Überseeriese be- und entladen.
Große Containerbrücken, die aussehen wie gigantische Kräne – fahren, von einem Steuermann dirigiert, über die Schiffsladung. Greifarme heben die Container einzeln vom Schiff: Das Entladen der Frachtriesen nennt man "Löschen". Nach rund 24 Stunden ist die Christophe Colomb wieder zum Ablegen bereit. 3600 Container haben die fünf Hochleistungsbrücken der HHLA bis dahin umgeschlagen. Das entspricht in diesem Fall rund 5300 Containereinheiten TEU. 2,2 Millionen solcher Standardcontainer wurden bereits im ersten Quartal dieses Jahres im Hamburger Hafen umgeschlagen, ein Plus von 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch wenn das keine zweistellige Wachstumsrate ist, wie in den Vorquartalen üblich, angesichts der weltweiten Konjunkturabschwächung zeigt sich die Chefin der Hafen-Marketingsgesellschaft, Claudia Roller, mit dieser Steigerung sehr zufrieden.
"Angesichts der momentanen wirtschaftlichen Themen glaube ich, ist ein moderater Ausblick, wie wir ihn gewährt haben, eigentlich schon äußerst positiv. Wenn ich das vergleiche mit anderen Wirtschaftszweigen – fünf bis sechs Prozent Wachstum, was wir prognostizieren, ist außergewöhnlich gut."
Doch Fakt ist: im internationalen Vergleich ist Hamburg inzwischen abgeschlagen. Lange Zeit war der Hafen der Hansestadt unter den Top Ten der Welt. Mittlerweile ist er auf Platz 14 abgerutscht. Das geht aus einer Statistik des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ISL hervor. Die größten Containerhäfen liegen fast alle in Asien: Platz eins belegt Shanghai mit einer Umschlagsleistung von 31,4 Millionen TEU pro Jahr, gefolgt von Singapur, dann Hongkong. Allein die beiden größten Häfen der Welt schlagen dreimal mehr Container um als der Hamburger Hafen. Eine eigene Liga. Die direkte Konkurrenz für die Hansestadt liegt in Europa:
"Die Hauptwettbewerber für Hamburg sind natürlich Rotterdam und Antwerpen. Da spielen halt ganz andere Regeln eine Rolle."
Sagt Wolfgang Michalski, lange Jahre Chef des Planungsstabes der OECD und emeritierter VWL-Professor der Universität Hamburg. Aber auch hier hat Hamburg Boden verloren - ist beim Containerumschlag von Platz zwei auf Platz drei in Europa gefallen. Ein Grund dafür ist nach Meinung vieler Experten vor allem die eingeschränkte Erreichbarkeit des Hafens. Die mache auch ihnen zu schaffen, sagt Michiel Messchaert, Senior Director bei Maersk, der größten Containerreederei der Welt. Für das dänische Unternehmen sei Hamburg als Standort sehr wichtig –
"Leider gibt es hin und wieder mal ein paar Beschränkungen, die uns auf andere Häfen haben ausweichen lassen. Zum Beispiel der Access über die Elbe. Das ist natürlich ein langer, langer Weg. Und mit Tide und Tiefgang auch nicht immer einfach ..."
Schiffe, die den Hamburger Hafen anlaufen, dürfen derzeit einen maximalen Tiefgang von 13,5 Metern haben. Dann sind sie allerdings Tide-abhängig. Das heißt, nur bei Flut können sie mit der Welle hineinfahren. Beim Verlassen des Hafens bleibt den Dampfern nur ein knappes Zeitfenster von rund einer Stunde.
"Das ist ein Wettbewerbsnachteil natürlich der Anfahrt. Wenn sie die anderen Häfen, hauptsächlich Rotterdam und Bremerhaven, die liegen ja im Access zum Meer. Das ist ganz schnell und tief."
Auch der neue Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven, der im August an den Start gehen soll, erhöht den Konkurrenz-Druck auf Hamburg. Zumal die Schiffe immer größer werden. Für die Reedereien ist die Rechnung simpel: Mehr Ware pro Schiff senkt die Transportkosten. War 2009 noch ein Containerschiff mit einem Ladevolumen von 8000 TEU das Maximum, haben die großen Linienreedereien mittlerweile Schiffe mit Kapazitäten von 18.000 TEU im Bau. Das sind rund 20 Prozent mehr, als derzeit heute auf die größten Containerfrachter passen. Maersk hat 2011 20 Schiffe in Auftrag gegeben – zehn davon werden voraussichtlich 2013 und 2014 fertig. Voll beladen haben die einen Tiefgang von bis zu 18 Metern. Dass diese Meeresgiganten jemals Hamburg anlaufen werden, schließt Maersk-Manager Messchaert derzeit aus:
"Ich glaube nicht, dass die nach Hamburg kommen könnten. Auch die 15.500-Schiffe, die E-Klasse, die wir im Moment haben, das wäre zu viel gefragt. Im Moment noch."
Friedlich fließt die Elbe durch das idyllische Alte Land, vorbei am malerischen Städtchen Jork, 40 Kilometer vor den Toren Hamburgs. Begrünte Deiche verdecken den Blick auf die dahinterliegenden weitläufigen Obstplantagen und reetgedeckte Fachwerkhäuser.
Ab und an zerschneidet das Horn eines Containerschiffs die Stille. Der Frachter ist auf dem Weg zum Hamburger Hafen – ein Anblick, den die Touristen lieben, aber den Anwohnern im Alten Land Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Die Elbe soll auf einer Länge von 136 Kilometern so vertieft werden, dass auch große Containerschiffe mit einem Tiefgang von 14 Meter 50, also einem Meter tiefer als bislang, den Hamburger Hafen erreichen können. Die Fahrrinnenanpassung sei absolut notwendig:
"Zunächst mal aus Wettbewerbsgründen. Damit der Hamburger Hafen als Universalhafen auch international wettbewerbsfähig ist. Auch für die großen Schiffe, damit sie Hamburg anlaufen können."
Betont Fritz Horst Melsheimer, Präses der Hamburger Handelskammer. In der Hansestadt sind sich Wirtschaft und SPD-Senat einig: Es gibt keine Alternative zur Fahrrinnenanpassung, soll die gesamte Metropolregion Hamburg weiter prosperieren. Über 160.000 Arbeitsplätze hängen laut Hamburger Senat direkt oder indirekt am Hamburger Hafen. Er ist damit der größte Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber in der Region. Die meisten Beschäftigten stammen aus der Metropolregion Hamburg – aus Niedersachsen oder Schleswig-Holstein – wie Wirtschaftssenator Frank Horch gerne verdeutlicht:
"Hamburg ist der größte deutsche Seehafen, Hamburg ist die Metropolregion Hamburg. Weit hineinreichend. Arbeitsplatzseitig, beschäftigungsseitig, entwicklungsseitig. Für Unternehmen – nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ich glaube auch, dass in der Bedeutung der zukünftigen Warenströme in einer arbeitsteiligen Welt der Hamburger Hafen eine ganz herausragende Rolle spielen wird. Nicht nur zum Wohle der Hansestadt, sondern eben des gesamten Raumes entlang der Unterelbe."
Doch viele Bewohner, Bürgerinitiativen, Deich- und Umweltverbände, die Obstbauern im Alten Land laufen Sturm. Befürchten sie doch gravierende ökologische Schäden durch das Ausbaggern des Flussbettes. Harald Zahrte, Vorsitzender einer Arbeitsgemeinschaft der Elbanlieger und Bürgermeister der Samtgemeinde Hadeln:
"Alle bisherigen Elbvertiefungen hatten sehr nachteilige Auswirkungen auf die Region, auf die Deichsicherheit. Auf die Häfen, die von uns, von den Kommunen bewirtschaftet werden. Die große Sturmflut aus 1962 ist noch nicht vergessen. Und es gibt dafür keine Akzeptanz von den Menschen, die an der Niederelbe leben."
Besonders die Obstbauern im Alten Land haben Angst um ihre Existenz, erklärt Jorks Bürgermeister Gerd Hubert:
"Das Grundwasser im Alten Land wird versalzen. Es steht ja fest, dass die Brackwasserzone sich weiter Richtung Hamburg schiebt. Und das dringt in das Grundwasser ein; und das ist so etwas wie Brunnenvergiftung."
Die Liste der ökologischen Schäden ist lang. Über 7000 Einwendungen von Bürgern und Verbänden wurden während des Projektfeststellungsverfahrens eingereicht, diskutiert und eingearbeitet. Denn bei der Elbvertiefung handelt es sich um ein Projekt in einem sogenannten Flora-Fauna-Habitat-Gebiet, das nach EU-Recht besonders geschützt werden muss. Die Folge: Für jeden Eingriff müssen zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden. Sah es lange so aus, dass auch die EU-Kommission sich auf die Seite der Elbvertiefungsgegner schlägt, gab es Anfang Dezember 2011 eine Überraschung. Brüssel sprach sich für die Vertiefung der Fahrrinne aus. Die Kommission erklärte, das Projekt sei von überragendem öffentlichen Interesse ohne wirkliche Alternativen. Damit ist die politische Marschrichtung vorgegeben. Hamburg hatte bereits seit Jahren versucht, für das Projekt auch in Berlin zu werben. Erst die Lobbyarbeit von SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und Wirtschaftssenator Frank Horch, so scheint es, hat den Durchbruch gebracht und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, einen Bayern, zu der Aussage bewegen können:
"Die Elbvertiefung ist ein Projekt von in der Tat nationaler Bedeutung."
Hamburgs erster Bürgermeister, der die Elbvertiefung zur Chefsache gemacht hat, ergänzt:
"Der Hamburger Hafen ist wichtig für Baden-Württemberg, für Hessen, für Bayern, für Österreich, für Tschechien, für die Slowakei. Für viele, viele Länder Mittel- und Osteuropas. Und deshalb ist das eine Frage, die sich nicht nur auf die regionalen Interessen konzentriert, wenn wir uns darum bemühen, dass Deutschland die Infrastruktur, die es benötigt, für seine eigene Wirtschaftskraftentfaltung auch selber mit fördert."
Dieser "schlagkräftigen Argumentation" musste sich schließlich auch Niedersachsen beugen: Anfang April stimmte das niedersächsische Kabinett einer Elbvertiefung zu – nach jahrelangen Verhandlungen habe man nun keinen Anlass mehr gesehen, das Einverständnis zu verweigern, erklärte Stefan Birkner, der FDP-Umweltminister von Niedersachsen:
"Ich denke, wir haben die niedersächsischen Interessen gut in das Verfahren eingebracht und sehen sie auch durch verschiedene Verträge, die begleitend abgeschlossen worden sind, auch durch die Berücksichtigung der Interessen, insbesondere des Obstbaus, der Landwirtschaft, aber auch der Deichverbände und Industrieunternehmen in der Region hinreichend gewahrt."
Die Elbvertiefung ist also politisch abgesegnet. Der 2400 Seiten starke Planfeststellungsbeschluss ist noch bis zum siebten Juni öffentlich einzusehen. Innerhalb eines Monats haben dann die Gegner der Fahrrinnenanpassung die Möglichkeit, vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage einzureichen. Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND Hamburg:
"Wenn wir denn das Werk durchgesehen und mit unseren Juristen bewertet haben, dann werden wir eine Klage überlegen."
Ähnliches haben Bürgerinitiativen aus dem Alten Land angekündigt. Hamburgs erster Bürgermeister Olaf Scholz gibt sich gelassen:
"Ich sehe keine juristischen Gefahren. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass diejenigen, die es immer tun, auch jetzt die Gerichte bemühen werden. Aber das wird den Prozess, der notwendig ist für Hamburg, für Norddeutschland, für Europa – dass wir den auch zu Ende kriegen."
Zumindest die Obstbauern im Alten Land sind erst einmal beruhigt. Rund 20 Millionen Euro werden ausgegeben, um Süßwasserspeicherbecken und Leitungen zu bauen, damit das Obst beregnet und das Vieh getränkt werden kann. Hamburg wird daran den Löwenanteil von 13 Millionen übernehmen. Die Gesamtkosten für die Vertiefung sind ungleich größer: War bislang von 385 Millionen Euro die Rede, rechnen die Beteiligten zwischenzeitlich mit über 500 Millionen Euro. Da die Elbvertiefung eine Bundeswasserstraße betrifft, trägt der Bund davon zwei Drittel, Hamburg ein Drittel. Sollten die Bauarbeiten jedoch noch in diesem Jahr beginnen, hätte die Bundesregierung ein Problem. Denn laut Bundesverkehrsministerium sind lediglich 25 Millionen Euro für die Elbvertiefung im Bundeshaushalt 2012 eingestellt. Das reicht gerade einmal für die Vorplanungen. Erst im Herbst dieses Jahres – im Haushaltsentwurf 2013 – wird klar, wie viel Geld danach vom Bund für die Baggerarbeiten bereitgestellt wird. Hamburg könnte die Elbvertiefung nach jetzigem Stand fast 200 Millionen Euro kosten. Doch es ist nicht nur der Weg der Ware zum Hafen, der dem Wirtschaftsstandort zu schaffen macht.
Am Containerterminal Burchardkai, Transbahnbereich 1. Ein Güterbahnhof vis à vis der Kaikante. Gerade ist ein Güterzug auf der 700 Meter langen Gleisanlage angekommen. Und schon machen sich die Arbeiter auf den Transtainern ans Werk. Ähnlich wie die Containerbrücken an der Kaikante laden die Transtainer die Container auf die Bahnwaggons.
Sie heißen Polfracht oder Metrans – Bahnunternehmen, an denen der Hafenbetreiber HHLA beteiligt ist und mit dem die Container vom Terminal direkt ins Hinterland transportiert werden. Alle sechs Stunden fährt ein Metrans-Zug von Hamburg nach Prag und anschließend wieder zurück. Bis zu 90 Container finden auf dem 700-Meter-Zug Platz. Insgesamt verlassen mehr als 300 Züge wöchentlich den Hamburger Hafen. Weitere Bestimmungsorte: Osteuropa und Russland.
Die Hamburger Terminals bei der HHLA und dem Konkurrenten Eurogate sind mit ihren Containerbrücken auf die großen Schiffe mit bis zu 18.000 TEU vorbereitet. Doch die Anbindungen an das Inland, Straßen und Schienen, sind es nicht. Wenn die Elbvertiefung umgesetzt wird, so Handelskammerpräses Fritz Horst Melsheimer,
" ... muss in der Infrastruktur, in der Hinterlandanbindung einiges passieren. Sowohl beim Eisenbahnverkehr als auch beim Straßenverkehr."
Wenn die Fahrrinne einmal vertieft ist, immer mehr und größere Schiffe den Hafen anlaufen, werden die Nadelöhre jenseits der Kaikanten des Hafens umso sichtbarer. Schon jetzt kollabiert in Stoßzeiten das Straßennetz. Besonders kritisch: Die Köhlbrandbrücke. Auf den Straßen wird es bedenklich eng, weiß Johann Killinger, Geschäftsführer des Hafenunternehmens BUSS Group.
"Da muss einiges passieren, um das Potenzial nutzen zu können. Autobahnen und Gleisanbindungen. Hamburg lebt von Infrastruktur als Verkehrsknotenpunkt. Und gerade die Situation in den Zubringern, in den Fernverkehrsstraßen ist da zur Zeit nicht erträglich!"
Die geplante Hafenquerspange – eine Verbindung zwischen den Autobahnen A1 und A7 – kommt nicht voran. Die Y-Trasse, die dem Güterverkehr von Nord nach Süd zugutekommen soll, steckt ebenfalls seit Jahren im Planungsstadium. Die Liste notwendiger Infrastrukturinvestitionen ist lang. Und während der Verkehr still steht – stehen die Zeichen auf Wachstum. Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch rechnet nach dem Containerumschlag 2011 von rund neun Millionen TEU mit einer Steigerung von jährlich sieben Prozent. Bis 2025, so die Prognose, wird der Containerumschlag im Hamburger Hafen auf 25 Millionen Standardcontainer wachsen. Die Stadt Hamburg profitiert davon: Nicht nur, dass sie Anteile an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) hat – sie ist seit fünf Jahren auch an der größten deutschen Containerreederei Hapag Lloyd beteiligt. 1,1 Milliarden Euro hat die Hansestadt zwischenzeitlich in das Schifffahrtsunternehmen investiert. Erstmals 2008. Damals geriet die Hapag Lloyd in Schieflage. Und eine Hamburger Investorengruppe namens Albert-Ballin-Konsortium, zu der neben dem Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne und der Stadt Hamburg auch die Warburg Bank sowie die Versicherungen Signal Iduna und HanseMerkur gehören, übernahm Anteile vom Mutterkonzern TUI. Alleine die Stadt Hamburg im Wert von 700 Millionen Euro. Dieses Jahr überweist die Stadt noch einmal weitere 420 Millionen Euro. Steuergeld, mit dem sie ihren Anteil auf 36,9 Prozent erhöhen will. Und das, obwohl Hapag Lloyd längst nicht mehr in der Krise steckt.
Meint Roland Heintze, stellvertretender CDU-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft. Die Christdemokraten, FDP und Grüne wurden von einem temporären rot-roten Bündnis überstimmt, als es um die Übernahme weiterer Anteile ging. SPD und Linke waren sich einig, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen: Man muss den Standort Hamburg sichern. Denn der niedersächsische Mutterkonzern TUI hatte die Möglichkeit, seine Anteile an einen ausländischen Investor zu verkaufen. Olaf Scholz:
"Und dann wäre es dann nicht gegangen um eine gute Kapitalanlage, sondern immer um strategische Investoren, die Synergieeffekte durch den Wegzug der Verwaltungskapazitäten, der gesamten Kompetenz, die mit diesem großen Logistikkonzern verbunden sind, aus Hamburg verschwunden gewesen wären, früher oder später."
Das Geschäft ist riskant – wie üblich in der volatilen Schifffahrtsbranche.
"Jede unternehmerische Entscheidung – und dies ist ohne Frage eine unternehmerische Entscheidung der Stadt Hamburg – ist immer mit Mut verbunden. Aber es ist ein gut kalkulierter Mut, bei dem wir alles bedacht haben, was aus der Sicht der Steuerbürgerinnen und Bürger Hamburgs, aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Metropolregion von großer Bedeutung ist."
Der Stadtstaat als Unternehmer? Üblicherweise schlagen in solchen Situationen Wirtschaftsvertreter Alarm – nicht jedoch im Fall von Hapag Lloyd. Die Handelskammer verschickte kurz nach Bekanntgabe der politischen Entscheidung eine Stellungnahme, in der sie das Vorhaben unterstützt.
"Es muss auch Ausnahmen geben. Und als interimistischer Investor vorübergehend Dinge zu regeln, da ist der Staat auch mal aufgerufen, und da kann er – und das ist eine Ausnahme – nach unserer Vorstellung auch mal finanziell engagieren."
So Handelskammerpräses Fritz Horst Melsheimer. Fakt ist: Hamburg verfügte bereits über eine Sperrminorität. Dass Hapag Lloyd aus Hamburg hätte abziehen können, galt schon vorher als eher unwahrscheinlich. Auch deshalb hält CDU-Politiker Roland Heintze die 420 Millionen Euro für einen hohen Preis.
"Das Vorgehen ist eine Fehlentscheidung. Man hat sich zu sehr unter Zeitdruck setzen lassen von der TUI, um die für die Stadt beste Lösung zu finden. Das ist nicht erfolgt. Stattdessen hat man sich nen Blanko-Scheck geholt, wo die zustimmenden Fraktionen – also SPD und Linke – mit in die Haftung genommen werden für ein finanzielles Risiko, was heute keiner überblicken kann."
Doch es geht nicht nur um Deutschlands größte Containerreederei – es geht um ein Hamburger Traditionsunternehmen. Damit das in hanseatischen Händen bleiben kann, scheuen die Politikern von SPD und Linken das mögliche Risiko nicht – auch wenn ein finanzieller Schaden für die Steuerzahler nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Christophe Colomb ist eines der größten Containerschiffe, die regelmäßig den Hamburger Hafen anlaufen. Sie gehört zur Flotte der französischen Reederei CMA CGM: Oben an Deck flattert die Drapeau Tricolore, Frankreichs blau-weiß-rote Flagge, im Wind. Die Christophe Colomb befährt im Rundreisedienst die French-Asia-Route. Sie sticht im Heimathafen Le Havre in See, läuft dann die Häfen Rotterdam, Hamburg, Shanghai und Singapur an.
An Deck stapeln sich die Container wie bunte Legosteine, hoch wie Mehrfamilienhäuser. Ob DVD-Rekorder aus Taiwan oder Herrenhemden aus dem Perlflussdelta, Löwenbräu für die Seychellen oder Limousinen für Shanghai – in den vielfarbigen Stahlboxen hat alles Platz. Über 13.000 dieser Transportbehälter kann die Christophe Colomb pro Fuhre transportieren – 13.000 Lkw-Ladungen. Am Containerterminal Burchardkai der HHLA, der Hamburger Hafen und Logistik AG, wird der Überseeriese be- und entladen.
Große Containerbrücken, die aussehen wie gigantische Kräne – fahren, von einem Steuermann dirigiert, über die Schiffsladung. Greifarme heben die Container einzeln vom Schiff: Das Entladen der Frachtriesen nennt man "Löschen". Nach rund 24 Stunden ist die Christophe Colomb wieder zum Ablegen bereit. 3600 Container haben die fünf Hochleistungsbrücken der HHLA bis dahin umgeschlagen. Das entspricht in diesem Fall rund 5300 Containereinheiten TEU. 2,2 Millionen solcher Standardcontainer wurden bereits im ersten Quartal dieses Jahres im Hamburger Hafen umgeschlagen, ein Plus von 5,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Auch wenn das keine zweistellige Wachstumsrate ist, wie in den Vorquartalen üblich, angesichts der weltweiten Konjunkturabschwächung zeigt sich die Chefin der Hafen-Marketingsgesellschaft, Claudia Roller, mit dieser Steigerung sehr zufrieden.
"Angesichts der momentanen wirtschaftlichen Themen glaube ich, ist ein moderater Ausblick, wie wir ihn gewährt haben, eigentlich schon äußerst positiv. Wenn ich das vergleiche mit anderen Wirtschaftszweigen – fünf bis sechs Prozent Wachstum, was wir prognostizieren, ist außergewöhnlich gut."
Doch Fakt ist: im internationalen Vergleich ist Hamburg inzwischen abgeschlagen. Lange Zeit war der Hafen der Hansestadt unter den Top Ten der Welt. Mittlerweile ist er auf Platz 14 abgerutscht. Das geht aus einer Statistik des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik ISL hervor. Die größten Containerhäfen liegen fast alle in Asien: Platz eins belegt Shanghai mit einer Umschlagsleistung von 31,4 Millionen TEU pro Jahr, gefolgt von Singapur, dann Hongkong. Allein die beiden größten Häfen der Welt schlagen dreimal mehr Container um als der Hamburger Hafen. Eine eigene Liga. Die direkte Konkurrenz für die Hansestadt liegt in Europa:
"Die Hauptwettbewerber für Hamburg sind natürlich Rotterdam und Antwerpen. Da spielen halt ganz andere Regeln eine Rolle."
Sagt Wolfgang Michalski, lange Jahre Chef des Planungsstabes der OECD und emeritierter VWL-Professor der Universität Hamburg. Aber auch hier hat Hamburg Boden verloren - ist beim Containerumschlag von Platz zwei auf Platz drei in Europa gefallen. Ein Grund dafür ist nach Meinung vieler Experten vor allem die eingeschränkte Erreichbarkeit des Hafens. Die mache auch ihnen zu schaffen, sagt Michiel Messchaert, Senior Director bei Maersk, der größten Containerreederei der Welt. Für das dänische Unternehmen sei Hamburg als Standort sehr wichtig –
"Leider gibt es hin und wieder mal ein paar Beschränkungen, die uns auf andere Häfen haben ausweichen lassen. Zum Beispiel der Access über die Elbe. Das ist natürlich ein langer, langer Weg. Und mit Tide und Tiefgang auch nicht immer einfach ..."
Schiffe, die den Hamburger Hafen anlaufen, dürfen derzeit einen maximalen Tiefgang von 13,5 Metern haben. Dann sind sie allerdings Tide-abhängig. Das heißt, nur bei Flut können sie mit der Welle hineinfahren. Beim Verlassen des Hafens bleibt den Dampfern nur ein knappes Zeitfenster von rund einer Stunde.
"Das ist ein Wettbewerbsnachteil natürlich der Anfahrt. Wenn sie die anderen Häfen, hauptsächlich Rotterdam und Bremerhaven, die liegen ja im Access zum Meer. Das ist ganz schnell und tief."
Auch der neue Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven, der im August an den Start gehen soll, erhöht den Konkurrenz-Druck auf Hamburg. Zumal die Schiffe immer größer werden. Für die Reedereien ist die Rechnung simpel: Mehr Ware pro Schiff senkt die Transportkosten. War 2009 noch ein Containerschiff mit einem Ladevolumen von 8000 TEU das Maximum, haben die großen Linienreedereien mittlerweile Schiffe mit Kapazitäten von 18.000 TEU im Bau. Das sind rund 20 Prozent mehr, als derzeit heute auf die größten Containerfrachter passen. Maersk hat 2011 20 Schiffe in Auftrag gegeben – zehn davon werden voraussichtlich 2013 und 2014 fertig. Voll beladen haben die einen Tiefgang von bis zu 18 Metern. Dass diese Meeresgiganten jemals Hamburg anlaufen werden, schließt Maersk-Manager Messchaert derzeit aus:
"Ich glaube nicht, dass die nach Hamburg kommen könnten. Auch die 15.500-Schiffe, die E-Klasse, die wir im Moment haben, das wäre zu viel gefragt. Im Moment noch."
Friedlich fließt die Elbe durch das idyllische Alte Land, vorbei am malerischen Städtchen Jork, 40 Kilometer vor den Toren Hamburgs. Begrünte Deiche verdecken den Blick auf die dahinterliegenden weitläufigen Obstplantagen und reetgedeckte Fachwerkhäuser.
Ab und an zerschneidet das Horn eines Containerschiffs die Stille. Der Frachter ist auf dem Weg zum Hamburger Hafen – ein Anblick, den die Touristen lieben, aber den Anwohnern im Alten Land Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Die Elbe soll auf einer Länge von 136 Kilometern so vertieft werden, dass auch große Containerschiffe mit einem Tiefgang von 14 Meter 50, also einem Meter tiefer als bislang, den Hamburger Hafen erreichen können. Die Fahrrinnenanpassung sei absolut notwendig:
"Zunächst mal aus Wettbewerbsgründen. Damit der Hamburger Hafen als Universalhafen auch international wettbewerbsfähig ist. Auch für die großen Schiffe, damit sie Hamburg anlaufen können."
Betont Fritz Horst Melsheimer, Präses der Hamburger Handelskammer. In der Hansestadt sind sich Wirtschaft und SPD-Senat einig: Es gibt keine Alternative zur Fahrrinnenanpassung, soll die gesamte Metropolregion Hamburg weiter prosperieren. Über 160.000 Arbeitsplätze hängen laut Hamburger Senat direkt oder indirekt am Hamburger Hafen. Er ist damit der größte Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber in der Region. Die meisten Beschäftigten stammen aus der Metropolregion Hamburg – aus Niedersachsen oder Schleswig-Holstein – wie Wirtschaftssenator Frank Horch gerne verdeutlicht:
"Hamburg ist der größte deutsche Seehafen, Hamburg ist die Metropolregion Hamburg. Weit hineinreichend. Arbeitsplatzseitig, beschäftigungsseitig, entwicklungsseitig. Für Unternehmen – nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ich glaube auch, dass in der Bedeutung der zukünftigen Warenströme in einer arbeitsteiligen Welt der Hamburger Hafen eine ganz herausragende Rolle spielen wird. Nicht nur zum Wohle der Hansestadt, sondern eben des gesamten Raumes entlang der Unterelbe."
Doch viele Bewohner, Bürgerinitiativen, Deich- und Umweltverbände, die Obstbauern im Alten Land laufen Sturm. Befürchten sie doch gravierende ökologische Schäden durch das Ausbaggern des Flussbettes. Harald Zahrte, Vorsitzender einer Arbeitsgemeinschaft der Elbanlieger und Bürgermeister der Samtgemeinde Hadeln:
"Alle bisherigen Elbvertiefungen hatten sehr nachteilige Auswirkungen auf die Region, auf die Deichsicherheit. Auf die Häfen, die von uns, von den Kommunen bewirtschaftet werden. Die große Sturmflut aus 1962 ist noch nicht vergessen. Und es gibt dafür keine Akzeptanz von den Menschen, die an der Niederelbe leben."
Besonders die Obstbauern im Alten Land haben Angst um ihre Existenz, erklärt Jorks Bürgermeister Gerd Hubert:
"Das Grundwasser im Alten Land wird versalzen. Es steht ja fest, dass die Brackwasserzone sich weiter Richtung Hamburg schiebt. Und das dringt in das Grundwasser ein; und das ist so etwas wie Brunnenvergiftung."
Die Liste der ökologischen Schäden ist lang. Über 7000 Einwendungen von Bürgern und Verbänden wurden während des Projektfeststellungsverfahrens eingereicht, diskutiert und eingearbeitet. Denn bei der Elbvertiefung handelt es sich um ein Projekt in einem sogenannten Flora-Fauna-Habitat-Gebiet, das nach EU-Recht besonders geschützt werden muss. Die Folge: Für jeden Eingriff müssen zahlreiche Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden. Sah es lange so aus, dass auch die EU-Kommission sich auf die Seite der Elbvertiefungsgegner schlägt, gab es Anfang Dezember 2011 eine Überraschung. Brüssel sprach sich für die Vertiefung der Fahrrinne aus. Die Kommission erklärte, das Projekt sei von überragendem öffentlichen Interesse ohne wirkliche Alternativen. Damit ist die politische Marschrichtung vorgegeben. Hamburg hatte bereits seit Jahren versucht, für das Projekt auch in Berlin zu werben. Erst die Lobbyarbeit von SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und Wirtschaftssenator Frank Horch, so scheint es, hat den Durchbruch gebracht und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, einen Bayern, zu der Aussage bewegen können:
"Die Elbvertiefung ist ein Projekt von in der Tat nationaler Bedeutung."
Hamburgs erster Bürgermeister, der die Elbvertiefung zur Chefsache gemacht hat, ergänzt:
"Der Hamburger Hafen ist wichtig für Baden-Württemberg, für Hessen, für Bayern, für Österreich, für Tschechien, für die Slowakei. Für viele, viele Länder Mittel- und Osteuropas. Und deshalb ist das eine Frage, die sich nicht nur auf die regionalen Interessen konzentriert, wenn wir uns darum bemühen, dass Deutschland die Infrastruktur, die es benötigt, für seine eigene Wirtschaftskraftentfaltung auch selber mit fördert."
Dieser "schlagkräftigen Argumentation" musste sich schließlich auch Niedersachsen beugen: Anfang April stimmte das niedersächsische Kabinett einer Elbvertiefung zu – nach jahrelangen Verhandlungen habe man nun keinen Anlass mehr gesehen, das Einverständnis zu verweigern, erklärte Stefan Birkner, der FDP-Umweltminister von Niedersachsen:
"Ich denke, wir haben die niedersächsischen Interessen gut in das Verfahren eingebracht und sehen sie auch durch verschiedene Verträge, die begleitend abgeschlossen worden sind, auch durch die Berücksichtigung der Interessen, insbesondere des Obstbaus, der Landwirtschaft, aber auch der Deichverbände und Industrieunternehmen in der Region hinreichend gewahrt."
Die Elbvertiefung ist also politisch abgesegnet. Der 2400 Seiten starke Planfeststellungsbeschluss ist noch bis zum siebten Juni öffentlich einzusehen. Innerhalb eines Monats haben dann die Gegner der Fahrrinnenanpassung die Möglichkeit, vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Klage einzureichen. Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND Hamburg:
"Wenn wir denn das Werk durchgesehen und mit unseren Juristen bewertet haben, dann werden wir eine Klage überlegen."
Ähnliches haben Bürgerinitiativen aus dem Alten Land angekündigt. Hamburgs erster Bürgermeister Olaf Scholz gibt sich gelassen:
"Ich sehe keine juristischen Gefahren. Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass diejenigen, die es immer tun, auch jetzt die Gerichte bemühen werden. Aber das wird den Prozess, der notwendig ist für Hamburg, für Norddeutschland, für Europa – dass wir den auch zu Ende kriegen."
Zumindest die Obstbauern im Alten Land sind erst einmal beruhigt. Rund 20 Millionen Euro werden ausgegeben, um Süßwasserspeicherbecken und Leitungen zu bauen, damit das Obst beregnet und das Vieh getränkt werden kann. Hamburg wird daran den Löwenanteil von 13 Millionen übernehmen. Die Gesamtkosten für die Vertiefung sind ungleich größer: War bislang von 385 Millionen Euro die Rede, rechnen die Beteiligten zwischenzeitlich mit über 500 Millionen Euro. Da die Elbvertiefung eine Bundeswasserstraße betrifft, trägt der Bund davon zwei Drittel, Hamburg ein Drittel. Sollten die Bauarbeiten jedoch noch in diesem Jahr beginnen, hätte die Bundesregierung ein Problem. Denn laut Bundesverkehrsministerium sind lediglich 25 Millionen Euro für die Elbvertiefung im Bundeshaushalt 2012 eingestellt. Das reicht gerade einmal für die Vorplanungen. Erst im Herbst dieses Jahres – im Haushaltsentwurf 2013 – wird klar, wie viel Geld danach vom Bund für die Baggerarbeiten bereitgestellt wird. Hamburg könnte die Elbvertiefung nach jetzigem Stand fast 200 Millionen Euro kosten. Doch es ist nicht nur der Weg der Ware zum Hafen, der dem Wirtschaftsstandort zu schaffen macht.
Am Containerterminal Burchardkai, Transbahnbereich 1. Ein Güterbahnhof vis à vis der Kaikante. Gerade ist ein Güterzug auf der 700 Meter langen Gleisanlage angekommen. Und schon machen sich die Arbeiter auf den Transtainern ans Werk. Ähnlich wie die Containerbrücken an der Kaikante laden die Transtainer die Container auf die Bahnwaggons.
Sie heißen Polfracht oder Metrans – Bahnunternehmen, an denen der Hafenbetreiber HHLA beteiligt ist und mit dem die Container vom Terminal direkt ins Hinterland transportiert werden. Alle sechs Stunden fährt ein Metrans-Zug von Hamburg nach Prag und anschließend wieder zurück. Bis zu 90 Container finden auf dem 700-Meter-Zug Platz. Insgesamt verlassen mehr als 300 Züge wöchentlich den Hamburger Hafen. Weitere Bestimmungsorte: Osteuropa und Russland.
Die Hamburger Terminals bei der HHLA und dem Konkurrenten Eurogate sind mit ihren Containerbrücken auf die großen Schiffe mit bis zu 18.000 TEU vorbereitet. Doch die Anbindungen an das Inland, Straßen und Schienen, sind es nicht. Wenn die Elbvertiefung umgesetzt wird, so Handelskammerpräses Fritz Horst Melsheimer,
" ... muss in der Infrastruktur, in der Hinterlandanbindung einiges passieren. Sowohl beim Eisenbahnverkehr als auch beim Straßenverkehr."
Wenn die Fahrrinne einmal vertieft ist, immer mehr und größere Schiffe den Hafen anlaufen, werden die Nadelöhre jenseits der Kaikanten des Hafens umso sichtbarer. Schon jetzt kollabiert in Stoßzeiten das Straßennetz. Besonders kritisch: Die Köhlbrandbrücke. Auf den Straßen wird es bedenklich eng, weiß Johann Killinger, Geschäftsführer des Hafenunternehmens BUSS Group.
"Da muss einiges passieren, um das Potenzial nutzen zu können. Autobahnen und Gleisanbindungen. Hamburg lebt von Infrastruktur als Verkehrsknotenpunkt. Und gerade die Situation in den Zubringern, in den Fernverkehrsstraßen ist da zur Zeit nicht erträglich!"
Die geplante Hafenquerspange – eine Verbindung zwischen den Autobahnen A1 und A7 – kommt nicht voran. Die Y-Trasse, die dem Güterverkehr von Nord nach Süd zugutekommen soll, steckt ebenfalls seit Jahren im Planungsstadium. Die Liste notwendiger Infrastrukturinvestitionen ist lang. Und während der Verkehr still steht – stehen die Zeichen auf Wachstum. Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch rechnet nach dem Containerumschlag 2011 von rund neun Millionen TEU mit einer Steigerung von jährlich sieben Prozent. Bis 2025, so die Prognose, wird der Containerumschlag im Hamburger Hafen auf 25 Millionen Standardcontainer wachsen. Die Stadt Hamburg profitiert davon: Nicht nur, dass sie Anteile an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) hat – sie ist seit fünf Jahren auch an der größten deutschen Containerreederei Hapag Lloyd beteiligt. 1,1 Milliarden Euro hat die Hansestadt zwischenzeitlich in das Schifffahrtsunternehmen investiert. Erstmals 2008. Damals geriet die Hapag Lloyd in Schieflage. Und eine Hamburger Investorengruppe namens Albert-Ballin-Konsortium, zu der neben dem Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne und der Stadt Hamburg auch die Warburg Bank sowie die Versicherungen Signal Iduna und HanseMerkur gehören, übernahm Anteile vom Mutterkonzern TUI. Alleine die Stadt Hamburg im Wert von 700 Millionen Euro. Dieses Jahr überweist die Stadt noch einmal weitere 420 Millionen Euro. Steuergeld, mit dem sie ihren Anteil auf 36,9 Prozent erhöhen will. Und das, obwohl Hapag Lloyd längst nicht mehr in der Krise steckt.
Meint Roland Heintze, stellvertretender CDU-Fraktionschef in der Hamburger Bürgerschaft. Die Christdemokraten, FDP und Grüne wurden von einem temporären rot-roten Bündnis überstimmt, als es um die Übernahme weiterer Anteile ging. SPD und Linke waren sich einig, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen: Man muss den Standort Hamburg sichern. Denn der niedersächsische Mutterkonzern TUI hatte die Möglichkeit, seine Anteile an einen ausländischen Investor zu verkaufen. Olaf Scholz:
"Und dann wäre es dann nicht gegangen um eine gute Kapitalanlage, sondern immer um strategische Investoren, die Synergieeffekte durch den Wegzug der Verwaltungskapazitäten, der gesamten Kompetenz, die mit diesem großen Logistikkonzern verbunden sind, aus Hamburg verschwunden gewesen wären, früher oder später."
Das Geschäft ist riskant – wie üblich in der volatilen Schifffahrtsbranche.
"Jede unternehmerische Entscheidung – und dies ist ohne Frage eine unternehmerische Entscheidung der Stadt Hamburg – ist immer mit Mut verbunden. Aber es ist ein gut kalkulierter Mut, bei dem wir alles bedacht haben, was aus der Sicht der Steuerbürgerinnen und Bürger Hamburgs, aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung der gesamten Metropolregion von großer Bedeutung ist."
Der Stadtstaat als Unternehmer? Üblicherweise schlagen in solchen Situationen Wirtschaftsvertreter Alarm – nicht jedoch im Fall von Hapag Lloyd. Die Handelskammer verschickte kurz nach Bekanntgabe der politischen Entscheidung eine Stellungnahme, in der sie das Vorhaben unterstützt.
"Es muss auch Ausnahmen geben. Und als interimistischer Investor vorübergehend Dinge zu regeln, da ist der Staat auch mal aufgerufen, und da kann er – und das ist eine Ausnahme – nach unserer Vorstellung auch mal finanziell engagieren."
So Handelskammerpräses Fritz Horst Melsheimer. Fakt ist: Hamburg verfügte bereits über eine Sperrminorität. Dass Hapag Lloyd aus Hamburg hätte abziehen können, galt schon vorher als eher unwahrscheinlich. Auch deshalb hält CDU-Politiker Roland Heintze die 420 Millionen Euro für einen hohen Preis.
"Das Vorgehen ist eine Fehlentscheidung. Man hat sich zu sehr unter Zeitdruck setzen lassen von der TUI, um die für die Stadt beste Lösung zu finden. Das ist nicht erfolgt. Stattdessen hat man sich nen Blanko-Scheck geholt, wo die zustimmenden Fraktionen – also SPD und Linke – mit in die Haftung genommen werden für ein finanzielles Risiko, was heute keiner überblicken kann."
Doch es geht nicht nur um Deutschlands größte Containerreederei – es geht um ein Hamburger Traditionsunternehmen. Damit das in hanseatischen Händen bleiben kann, scheuen die Politikern von SPD und Linken das mögliche Risiko nicht – auch wenn ein finanzieller Schaden für die Steuerzahler nicht ausgeschlossen werden kann.