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Tradition und Moderne

Viele Menschen kennen Gebäude des Architekten Karl Moser: Er baute zahlreiche Kirchen unter anderem in Bern, Karlsruhe oder Basel, wo er auch den Badischen Bahnhof entwarf, sowie das Kunsthaus Zürich. Den Menschen selber kennt man kaum, was das Kunsthaus Zürich mit einer Ausstellung ändern will.

Von Christian Gampert |
    Unter den wichtigen Architekten der Moderne gehört Karl Moser zu den unbekannteren. Das ist ein bisschen ungerecht - immerhin war er 1928 Gründungspräsident des "Congrès International d'Architecture Moderne", des CIAM; und seine eigenen Werke sind prägend für das Stadtbild von Karlsruhe, Basel und Zürich. Vor 100 Jahren hat er das Kunsthaus Zürich gebaut, und als es im April 1910 eröffnet wurde, beklagten Kritiker die "ungeheure Raumverschwendung". Moser war in der Tat der Ansicht, dass Kunst Raum brauche, und er integrierte Skulpturen und Reliefs als wichtige Bestandteile in die ausladenden Hallen und Treppengänge.

    Die von der ETH-Professorin Sonja Hildebrand kuratierte Ausstellung ist insofern ein Glücksfall, als sie die Architektur des Kunsthauses mitspielen lässt: Im Erdgeschoss wird relativ konzentriert gezeigt, wie Moser sich dreißig Jahre lang am Kunsthaus abarbeitete - vom ersten, eher biederen Entwurf bis zu den vielen, zum großen Teil nicht realisierten Erweiterungs-Ideen. Schon hier wird Mosers generelle Offenheit deutlich: neben den klassizistischen Baukörper seines Kunsthauses setzte er einen (später abgerissenen) Lesesaal im Bauhaus-Stil, und in den 30er-Jahren schwebten ihm, direkt neben dem historischen Züricher Niederdorf, modernistische Ausstellungs-Riegel und -kuben vor - der 1958 eröffnete strengsachliche Bührlesaal des Museums (gebaut von den Brüder Pfister) steht ganz in dieser Tradition.

    Dann steigt man die Treppe empor zum ersten Stock - und sieht, woher der 1860 geborene Karl Moser kommt: aus Gründerzeit und Jugendstil. Vor den Tempel-artigen Ausstellungsräumen spannt sich ein großzügiges Foyer, das mit Wandgemälden von Ferdinand Hodler ausgestaltet ist. Hodler ist Inspirator und Geistesgefährte Mosers. Seine tanzenden Frauengestalten bevölkern (noch heute) einen ganzen Oberlicht-Saal, und die Aquarelle, besonders die Berglandschaften des malenden Architekten Moser zeigen, wie sehr sich da einer seinem Vorbild anverwandelt.

    Moser war nämlich ein vielseitiges kleines Genie: wo er sich auch aufhielt - er zeichnete mit ungeheurer Präzision die Architektur, die ihn umgab. Die Italienreisen füllten ganze Skizzenbücher. Ebenso manisch entwarf Moser aber auch seine eigenen Projekte - und die Ausstellung beglaubigt seine rasende Bautätigkeit (600 Objekte) an den wichtigsten Exempeln, mit Wettbewerbs-Modellen, historischen Fotos, Zeichnungen. Am beeindruckendsten das großformatige Modell der Züricher Universität, die ja gleich auf dem nächsten Hügel steht, und ein Panorama des Stadtteils Fluntern mit Mosers pompöser Kirche als Zentrum.

    Denn Moser hat in allen Gattungen gebaut: Geschäftshäuser, Kirchen, Villen, aber auch Arbeitersiedlungen und Bahnhöfe. Das 1888 gegründete Büro, das er mit seinem Freund Robert Curjel in Karlsruhe betrieb, errichtete dort ganze Stadtteile von Privathäusern, die in ihrer eklektizistischen Formensprache heute bisweilen seltsam anmuten, und jede Menge Repräsentatives für die Gemeinde, dies wiederum meist in klassischem Gewand. Mosers Philosophie ist ab der Wende zum 20.Jahrhundert folgende: die Bauten haben außen meist streng gegliederte, kompakte Fassaden, sind innen aber von verspielter Großzügigkeit, arbeiten mit geschwungenen Treppenhäusern und weiten Hallen, die Bewegung simulieren. Am ansprechendsten vielleicht die hohe, halbrund gewölbte Empfangshalle des eigentlich eher zweckdienlich gestreckten Badischen Bahnhofs in Basel, die dem Reisenden gleich ein Gefühl des Kommenden, der Größe der Welt vermittelt.

    Gegen Ende seiner Laufbahn, er ist 1936 gestorben, war Karl Moser ein konsequenter Modernist: seine in Zürich ebenfalls gezeigten Innenausstattungen vermitteln ein Gefühl fürs formschön Funktionale, freilich ohne die frömmelnde Askese des Bauhauses, sondern durchaus mit Sinn für Luxus. Ein Musterbeispiel des Schlicht-Monumentalen ist seine Antoniuskirche in Basel, eine Kathedrale der Sachlichkeit mit schlankem Turm, die die reduzierte, bescheidenere Rolle der Religion im 20.Jahrhundert ins Bild bringt.

    Karl Mosers Züricher Kunsthaus aber ist noch heute Maßstab für die feierliche Intimität von Museumsräumen - David Chipperfields Erweiterungsbau auf der anderen Seite des Heimplatzes wird sich an Mosers Vorbild messen lassen müssen.