Fadumo Korn wuchs in einer Nomadenfamilie in Somalia auf: Ein fröhliches, selbstbewusstes Mädchen, das mit Jungs umherstreunte und schon mit sechs Jahren eine ganze Schafherde alleine nach Hause treiben konnte.
Mit sieben war das vorbei: "Meine Energie wurde herausgeschrien, ich habe versucht zu schreien, aber es kam nichts raus, denn das Entsetzen ist so groß und der Körper ist so geschockt, dass man abschaltet."
Morgens in der Dämmerung hatte ihre Mutter sie aus dem Dorf zu einer alten Frau geführt, die im Schatten eines Baumes auf sie wartete. Vor ihr auf einem Tuch lagen Akaziendornen, eine Dose mit übelriechenden Kräutern und eine Rasierklinge.
"Die Beschneiderin war sehr alt und ich bin ja auf dem Land beschnitten worden, das heißt, ich bin mit Stachel genäht worden. Jetzt wo ich mit Ihnen darüber spreche, ist es wie eine Reise in meinen Körper: Ich höre wieder das Kratzen, das Schaben, das Quietschen von diesen schrecklichen Dornen, die durch meinen Körper gejagt wurden. Aber ich war tot innerlich, ich habe nichts mehr gefühlt."
Große Teile des Genitalbereichs ohne Betäubung weggeschnitten
In Somalia sind so gut wie alle Mädchen und Frauen beschnitten. Seit jeher wird die archaische Tradition von Generation zu Generation weitergegeben. Ohne Betäubung werden den Mädchen dabei große Teile des Genitalbereichs weggeschnitten.
Sie nennen es dort eine "pharaonische Beschneidung": "Bei dieser Art wird die gesamte Klitoris bis auf den Knochen runter geschabt. Die inneren Schamlippen werden komplett entfernt, die großen Labien werden von oben Richtung After zusammengenäht, die ganze Vulva wird zugenäht bis nur noch eine winzige Öffnung bleibt, von der Größe einer Kaffeebohne."
Eine winzige Körperöffnung als Garant für Jungfräulichkeit und einen Mann, der das Mädchen wenige Jahre später heiraten wird. Je kleiner und enger, desto höher der Brautpreis: "Das verursacht ganz viele Infektionen. Der Urin kann nicht abfließen, wenn ich auf die Toilette gegangen bin, habe ich manchmal 20 Minuten dagehockt, weil nur tröpfchenweise etwas kommt. Und wenn man dann die erste Periode bekommt, das sind Schmerzen, die kann man sich gar nicht vorstellen. Wie wenn einem ein wildes Tier die Innereien im Bauch umdreht."
Fadumo Korn überlebte diese Prozedur nur knapp. Ihr Unterleib entzündete sich, sie fiel ins Koma. Eine Woche lang lag sie in der Hitze der somalischen Steppe, die Familie hatte sie schon aufgegeben, als sie ihre Augen wieder aufschlug: "Das erste Wort was ich zu ihr gesagt habe: Mama! Ich habe so einen Hunger! Und dann hat sie angefangen zu trällern – diese afrikanischen Trällerlaute: "Sie ist wach! Es ist ein Wunder geschehen!" Und dann kamen die ganzen Frauen, das ist immer so ein Freudenträllern und sie haben mit eingestimmt. Ironischerweise bin ich zu den Vorbereitungen meiner Beerdigung aufgewacht. Mein Bruder sagt immer: Du hast ja immer bekommen, was du wolltest! Selbst Deine Beerdigung hast du unterbrochen!"
Heute kann Fadumo Korn darüber reden. Wenn sie von ihrem Bruder spricht, huscht ihr sogar ein Lächeln übers Gesicht. Aber damals erlitt sie furchtbare Qualen, körperlich wie seelisch.
Die Entzündungen in ihrem Körper befielen ihre Gelenke, bis heute leidet sie darunter, ihre Finger und Füße sind deformiert. "Ich wollte sterben. Wie kann man mit sieben Jahren übers Sterben nachdenken? Ich habe manchmal gedacht: Lieber Gott, ich bin jetzt rein, jetzt kannst du mich auch holen."
Vier Millionen Mädchen werden jedes Jahr verstümmelt
Wenn an diesem Samstag der Internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung begangen wird, machen die Vereinten Nationen und viele andere Menschenrechtsorganisationen auf das Schicksal von geschätzt 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit aufmerksam. Vier Millionen weitere Mädchen werden jedes Jahr dieser Tortur unterzogen, vor allem im nördlichen Afrika, aber auch in südostasiatischen Ländern und im Mittleren Osten.
Es war die junge Waris Dirie, die als eine der Ersten Ende der 90er Jahre öffentlich über diese archaische Praxis sprach. Wie Fadumo Korn wuchs sie als Nomadin in Somalia auf, wurde beschnitten und floh im Alter von 13 Jahren vor einer Zwangsheirat mit einem Mann, der ihr Großvater hätte sein können.
Der Film "Wüstenblume" erzählt ihre Geschichte, wie sie über Umwege nach Europa gelangte, durch Zufall von einem Fotografen entdeckt und schließlich zum international gefeierten Top-Model wird. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere machte Waris Dirie ihr Schicksal öffentlich und löste damit weltweit Mitgefühl und Protest aus.
"Ich erinnere mich an den Tag, als ich verstümmelt wurde: Ich lag unter einem Baum, meine Beine zusammengebunden, damit ich sie nicht spreize. Ich wusste intuitiv, dass das nicht richtig war, dass das nicht Gottes Wille sein konnte. Da schwor ich mir: Wenn du das überlebst, musst du darüber sprechen.
Waris – was übersetzt "Wüstenblume" heißt – wurde zur Aktivistin gegen weibliche Genitalverstümmelung, 2002 gründete sie ihre eigene Organisation, die "Desert Flower Foundation", 1997 wurde sie von Kofi Annan zur UN-Sonderbotschafterin im Kampf gegen dieses grausame Ritual ernannt.
Weibliche Genitalverstümmelung wurde seitdem in vielen Ländern weltweit verboten, auch in afrikanischen Staaten wie Ägypten oder Nigeria. Zumindest in der Theorie – trotzdem wird auch heute noch alle 11 Sekunden irgendwo in der Welt ein Mädchen an seinen Genitalien verstümmelt.
68.000 Frauen und Mädchen in Deutschland sind betroffen
Auch in Deutschland sind Schätzungen zufolge 68.000 Frauen und Mädchen betroffen, Tendenz steigend. Das hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Juni vergangenen Jahres bekannt gegeben: "Wir sehen, dass im Vergleich zu den Zahlen, die wir vor drei Jahren erhobenen haben, ein Anstieg von 44 Prozent zu verzeichnen ist. Der Grund für diese höheren Zahlen liegt natürlich in der höheren Zuwanderung von Frauen und Mädchen aus Herkunftsstaaten, wo weibliche Genitalverstümmlung praktiziert wird."
Auch Familien, die schon in zweiter Generation oder länger hier leben, führen die archaische Tradition unter Umständen fort. Die meisten stammen hierzulande aus Eritrea, Somalia, Nigeria und dem Irak.
Nach Schätzungen des Familienministeriums sind bis zu 14.000 junge Mädchen aktuell davon bedroht, die Dunkelziffer ist vermutlich höher. Der Zeitpunkt der Pressekonferenz kurz vor den Sommerferien war daher nicht zufällig gewählt: "Wenn wir auch jetzt gerade mit Blick auf die beginnenden Sommerferien uns das anschauen, dann muss man schon sagen, dass wir immer zu den Ferien eine erhöhte Gefahr haben, dass Reisen ins Ausland getätigt haben, die das Ziel haben, diese Genitalverstümmlung vorzunehmen."
In Deutschland ist weibliche Genitalverstümmelung seit 2013 verboten und Mädchen dafür ins Ausland zu bringen, auch. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft und der Entzug der Aufenthaltserlaubnis.
Doch wie viele Familien tatsächlich in den Ferien in ihre Heimat reisen, um die Töchter dort beschneiden zu lassen, ist fast nicht zu ermitteln. Selten kommt es zu Strafanzeigen, in den Communities herrscht Verschwiegenheit.
Darum stellte Ministerin Giffey jetzt, gut ein halbes Jahr später, einen Schutzbrief der Bundesregierung vor, der in mehreren Sprachen die strafrechtlichen Konsequenzen in Deutschland deutlich macht. Damit, so die Hoffnung, können Familien, wenn sie auf Heimatbesuch sind, dem sozialen Druck etwas entgegensetzen:
"Wenn die Aufenthaltserlaubnis der Verwandten in Deutschland droht, zu erlöschen, dann droht auch, dass Zahlungen, die in diese Länder gehen als Unterstützung der Familie genauso erlöschen. Und dann glaube ich schon, dass wir da auch ein deutliches Argument auch setzen, wenn die Strafbarkeit auch dann gilt, wenn das im Ausland vorgenommen wird."
Das werde die Mädchenbeschneidung in der Welt nicht beenden, sagt die Ministerin, es sei aber ein deutliches Zeichen der Bundesregierung.
Corona-Maßnahmen erschweren die Prävention
Sorgen mache ihr auch, dass wegen der massiven Kontakteinschränkungen in der Corona-Pandemie derzeit viele Gefährdungen gar nicht auffielen. Zwar gebe es zahlreiche digitale Angebote, die ersetzten jedoch nicht den persönlichen Kontakt in Schulen oder Jugendzentren:
"Um auch die Frühwarnzeichen, die nötig sind und die natürlich stärker da sind, wenn Begegnung stattfindet, um das erkennen und frühzeitig intervenieren zu können: Hier wird eben noch mal deutlich, wie wichtig jetzt Öffnungsschritte sind, sobald es möglich ist, gerade auch, um diesen jungen Frauen und Mädchen zu helfen."
Berlin Zehlendorf: Hier befindet sich das nach Waris Dirie benannte "Desert Flower Center". In einem Trakt des Krankenhauses Waldfriede finden betroffene Mädchen und Frauen Hilfe.
Wenn Cornelia Strunz hier auf den Fluren unterwegs ist, trägt sie immer ein kleines schwarzes Telefon bei sich. Darüber ist die Ärztin persönlich zu erreichen. Denn sie weiß: Für betroffene Frauen ist es eine enorme Überwindung über den intimen Eingriff zu reden und Hilfe zu suchen.
Oftmals wissen sie noch nicht einmal, dass sie beschnitten sind: "Für die Frauen ist das etwas Normales, das gehört dazu, das ist ja eine ganz uralte Tradition."
Mit einfachen Worten und anhand eines Modells erklärt Cornelia Strunz ihnen, wie unbeschnittene Frauen im Genitalbereich aussehen. Das Wort "Verstümmelung" vermeidet sie in der Beratung, um die Frauen nicht zu stigmatisieren. Und sie klärt sie über falsche Vorstellungen von Sexualität und Geschlechtsorganen auf: "Die haben die Meinung, dass die Klitoris wie ein böser Stachel ist, dass die ein Leben lang weiterwächst, dass die Schamlippen irgendwann auf dem Boden hängen, dass sie mit der Klitoris den Mann beim Geschlechtsverkehr verletzen, das sind alles die Beweggründe, warum das durchgeführt wird."
Beschneiderinnen haben meist keine medizinischen Kenntnisse
Im Durchschnitt stirbt eine von zehn Frauen bei der Verstümmelung, davon geht die Weltgesundheitsorganisation aus. 15 Prozent sterben an den langfristigen Folgen. Und die, die überleben, leiden ein Leben lang. Denn die Beschneiderinnen – es sind fast immer Frauen – haben meist keine medizinischen Kenntnisse. Sie traktieren die Mädchen mit stumpfen Skalpellen, Dornen oder verdreckten Glasscherben.
Schmerzhafte Vernarbungen und gefährliche Infektionen sind die Folge. Urin und Menstruationsblut, die durch die kleine Öffnung nicht richtig abfließen können, verursachen den Frauen ein Leben lang Schmerzen, viele seien traumatisiert, sagt die Ärztin Cornelia Strunz:
"Wenn die jungen Mädchen dann zwangsverheiratet werden, versucht der Mann in der Hochzeitsnacht zu penetrieren, bis dann untenrum alles wieder aufreißt. Teilweise werden die Frauen danach auch wieder zugenäht, eine völlig qualvolle Prozedur für die Frauen. Die Frauen werden dann ja auch mit 13, 14, 15 Jahren schwanger. Wenn das Kind dann im Geburtskanal liegt und die Frau unten wieder zugenäht wurde, das reißt dann unten wieder alles auf."
FGM – "Female Genitale Mutilation" ist der Begriff, der sich international für diese grausame Praxis durchgesetzt hat. Allein in 28 verschiedenen Ländern Afrikas wird sie angewendet, vom Senegal bis Somalia ist fast jede Frau beschnitten. Aber auch in Asien, in Indonesien etwa, und in Ländern des Mittleren Ostens.
Mit religiösen Vorstellungen hat das nichts zu tun: FGM kommt sowohl in christlich als auch in muslimisch geprägten Regionen vor.
Warum hält sie sich bis heute? Warum geben Mütter die qualvollen Erfahrungen, die sie selbst erleiden mussten, an ihre Töchter weiter? Der Druck ist groß – weil viele Männer nur ein beschnittenes Mädchen zur Frau nehmen. Aus Sicht der Familien geschieht dies aus einem tief verinnerlichten Fürsorgegedanken.
Denn in einer Gesellschaft, in der Frauen weniger wert sind und Mädchen keine Chance auf Bildung haben, sichert ihnen allein eine Heirat das Überleben, das hat auch Fadumo Korn erfahren: "Als Nomadin wurde ich darauf vorbereitet, ein gutes Mädchen zu sein, keinen vorehelichen Geschlechtsverkehr zu haben, einen guten Ehemann zu finden und meine Aufgaben als Ehefrau und Mutter zu erledigen. Sonst habe ich nichts zu tun. Das war meine Lebensaufgabe und auf die hat mich meine Mutter bestens vorbereitet."
Eine Rekonstruktion der verstümmelten Geschlechtsteile ist möglich
Im Herbst 2013 hat in Berlin der Arzt Doktor Roland Scherer das "Desert Flower Center" eröffnet, das den Betroffenen ganzheitliche Hilfe anbietet: Ärztinnen, Psychologen, Physiotherapeuten und Sozialarbeiterinnen versuchen, den Frauen Lebensqualität zurückzugeben.
Sogar eine Rekonstruktion der verstümmelten Geschlechtsteile ist möglich, so dass die Frauen danach schmerzfrei sind und sogar wieder ein Lustempfinden haben.
Dass die Frauen in das "Desert Flower Center" finden, ist jedoch nach wie vor Glücksache, denn immer noch sind viele Behörden, Lehrerinnen, Sozialarbeiter, Ärztinnen und Erzieher mit dem Thema überfordert. Nicht alle wissen, wie man mit einem gefährdeten Mädchen umgeht und dass es Beratungs- und Hilfsangebote gibt.
Als Cornelia Strunz als Fachärztin für Chirurgie und Gefäßchirurgie kurz nach der Eröffnung zu dem Projekt kam, musste auch sie sich noch viel Wissen aneignen. Sie fordert heute, dass das Thema in allen Berufsgruppen, die damit zu tun haben, Teil der Ausbildung sein sollte:
"Ich habe hier in Berlin Medizin studiert und ich weiß, dass das in meinem Medizinstudium nie ein Thema war, man findet sehr wenig Literatur, also ich konnte mich mit Fachliteratur letztendlich fast gar nicht vorbereiten. Ich krieg auch oft Anrufe von Studenten und werde gebeten, an der Uni einen Vortrag zu halten. Wenn das meine Zeit zulässt, mache ich das auch gerne, aber im Grunde genommen muss es in den Lehrplan jedes Medizinstudiums."
Keine ausreichende Berücksichtigung in Asylverfahren
Mangelnde Kenntnisse bei dem Thema sind auch ein Problem in Asylverfahren: Zwar ist FGM seit 2013 als geschlechtsspezifische Verfolgung ein anerkannter Fluchtgrund – in der Praxis wird er aber von den Behörden häufig nicht anerkannt.
Das beobachtet Charlotte Weil von der Frauenrechtsorganisation terre de femmes. Zum Beispiel, wenn es sich um ein als "sicher" definiertes Herkunftsland handelt: "Senegal und Ghana gehören zu diesen so genannten "sicheren Herkunftsländern" und sind aber gleichzeitig Länder, in denen FGM extrem verbreitet ist, also im Süd-Senegal liegt die Prävalenz bei 90 Prozent, also 90 Prozent der Mädchen und Frauen sind betroffen. Und trotzdem, weil es eben als sicheres Herkunftsland gilt, werden die Frauen und Mädchen dorthin abgeschoben."
Viele Experten fordern, dass die Mitarbeitenden im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei dem Thema besser geschult und sensibilisiert werden müssten. Immer wieder komme es zu Fällen, erzählt Charlotte Weil, in denen Männer die Befragung der Frauen durchführen; in denen die Betroffenen nicht ernst genommen werden oder ihnen geraten wird, einfach in einen anderen Teil ihres Heimatlandes zurückzukehren.
"Wir haben sehr viele Fälle aus Nigeria und dann heißt es: Die Familie kann sich ja woanders niederlassen, dann ist sie weit weg von der eigenen Community und dann bestünde kein Druck mehr und diese Annahme ist komplett falsch, das wissen wir. Gerade auch wenn alleinstehende Frauen sich gezwungen sehen, sich irgendwo anders niederzulassen und eine Arbeit zu suchen, das ist so gut wie unmöglich."
Ein Projekt sorgt für sozialen Druck gegen Verstümmelung
Die Geschichte von Fadumo Korn wendete sich zum Guten, als ihr Onkel sie zu sich nahm. Ein gebildeter Mann, der in Somalias Hauptstadt Mogadishu lebte. Er schickte das junge Mädchen in die Schule und mit knapp 16 Jahren nach Europa, zu entfernten Verwandten. Inzwischen lebt Fadumo Korn seit über 40 Jahren in Deutschland. Sie ist Dolmetscherin und Autorin und arbeitet bei einer Organisation, die für eine bessere Gesundheitsversorgung von Migrantinnen eintritt.
2012 gründete sie in Frankfurt am Main den Verein "Nala", der beschnittene Mädchen und Frauen berät und unterstützt. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Bildung: "Wenn ein Mädchen ausgebildet ist, so dass sie für ihren Lebensunterhalt aufkommen kann und nicht auf das Heiraten angewiesen ist, dann ist diese Gefahr auch gebannt. Aber wenn ich als Frau nur Überlebenschancen habe, wenn ich verheiratet werde, dann wird die Frau zur Ware. Diese Ware hat einen Preis und der Preis ist die Jungfräulichkeit."
In Burkina Faso fördert Nala e.V. deshalb ein Projekt, das sich den Druck innerhalb einer Gemeinschaft zunutze macht und ihn einfach umdreht: 280 Familien und Alleinerziehende leben dort gemeinsam auf einer landwirtschaftlichen Parzelle, die sie für sich und ihre Versorgung nutzen: "Die Bedingung ist: Alle Kinder müssen zur Schule – auch die Jungen – sonst fliegen diese Familien aus dem Programm raus. Und wenn ein Mädchen beschnitten wird, können diese 280 Familien aus dem Projekt fliegen. Also: wenn einer den Fehler macht, sind alle betroffen. Das ist vielleicht nicht schön, aber die beobachten sich untereinander passen auf, dass keiner den Fehler begeht."
Für ihr Engagement wurde Fadumo Korn bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, 2011 erhielt sie die Bundesverdienstmedaille. Doch vielmehr wünscht sie sich, dass das Engagement ihres Vereins und das der vielen anderen Initiativen in dem Bereich finanziell unterstützt würde.
Bislang läuft alles ehrenamtlich; Fadumo Korn investiert selbst viele Stunden in der Woche in diese Arbeit. Und sie findet, dass die Betroffenen besser gehört und mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen in politische Entscheidungen einbezogen werden sollten: "Dass man nicht über unsere Köpfe hinweg organisiert, am Thema vorbei plant. Das ist Kultursensibilität. Wir wollen auf Augenhöhe arbeiten."
Als Franziska Giffey im vergangenen Jahr die Zahlen zu weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland veröffentlichte, stand neben ihr auf dem Podium Fadumo Korn: Beharrlich hatte sie die Familienministerin immer wieder mit dem Thema konfrontiert. Bei der Pressekonferenz überreichte sie ihr eine Petition mit über 125.000 Unterschriften. Die Forderung: ein umfassendes Aktionspaket für mehr Aufklärung über Genitalverstümmelung.
Es ist nicht einfach, in Zeiten von Corona mit diesem Thema durchzudringen, die Pandemie überlagert einfach alles. Dass die Ministerin jedoch jetzt, ein knappes halbes Jahr später, einen Schutzbrief vorlegt und damit einen konkreten Schritt zur Bekämpfung des Problems unternimmt, wertet Fadumo Korn als wichtiges Signal.
Und sie wird sich auch weiterhin dafür stark machen, Mädchen vor Genitalverstümmelung zu schützen: "Das ist mein Kampf und das ist meine Stärke, dass wir Gehör bekommen! Wir geben nicht auf. "Aufgeben" kommt in meinem Wortschatz nicht vor, das habe ich nicht gelernt."