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Tragikomisches Verwirrspiel

In Kleists "Amphitryon" geht es auch um die Unverwechselbarkeit - irgendwie aktuell in Zeiten, in denen sich jeder wieder neu erfinden soll. Das hat wohl auch der Regisseur Kristo Sagor so gefühlt, der das Stück für das Schauspiel Stuttgart inszenierte.

Von Cornelie Ueding |
    Sosias übt – mit einer Stehlampe als Gegenüber – mit welchen Worten er Alkmene am besten auf die baldige Rückkehr ihres siegreichen Feldherren-Gatten Amphitryon vorbereiten soll. Schließlich will er freudiges Entzücken auslösen. Was er nicht ahnt: Amphitryon ist längst da – allerdings der falsche: Jupiter höchstpersönlich spielt für und mit Alkmene Amphitryon. Im Schutze der Dunkelheit war er über die Bühne geeilt und ungebremst ins Schlafgemach Alkmenes gestürzt. Noch weniger kann sich Sosias vorstellen, dass der falsche Gatte die imaginierten Wonnen weit übertrifft – und der richtige dann ziemlich unwillkommen sein wird. Und dann ist er nur noch mit sich selbst beschäftigt, denn plötzlich taucht auch ein zweiter Sosias auf. Herrisch und grob – ein anderer Gott, Merkur, verbirgt sich hinter diesem schlanken Sosias im identischen Steppanorak.

    Ich gegen Ich. Vielleicht nicht nach außen hin der dramatischste Kampf – die Prügelorgien lässt der junge Regisseur Kristo Sagor mit komischen, körperfernen Ballattacken austragen - aber gewiss der nach innen zersetzendste und aufreibendste Kampf. Kein Zweifel: Kleist hat sich vor allem für die psychologische, identitätsbedrohende Dimension des Amphitryon-Stoffes interessiert, für die fragilen Bruchstellen zwischen den Facetten dessen, was lange Zeit als unhinterfragbare, verbindliche Größe galt: das Ich. "Ich bin ich" – sagt sich leicht und lebt sich schwer, wenn man hereinkommt und von sich selbst schon an der Tür erwartet wird. So ähnlich ergeht es Sosias, bisher unbeirrbar in seinem "Ich" als braver Diener seines Herrn – als er plötzlich auf ein Alter Ego trifft, das ihn aus seiner Rolle prügeln wird.

    Noch zerstörerischer ergeht es Amphitryon, seinem Herrn, der von Jupiter alias Amphitryon förmlich entmannt wird, da der Gott seine Gattenfunktion bereits mit überwältigendem Erfolg erfüllt hat. Zwei verdoppelt halbierten Männern stehen zwei gespaltene Frauen gegenüber. Sosias' energisch über die Bühne stöckelnde Frau Charis ist nicht imstande, den unterwürfig aufmüpfigen, gutmütig beflissenen Gemahl und die arrogante, verächtlich lieblose Variante auch nur annähernd miteinander in Verbindung zu bringen – aber auch nicht, die beiden voneinander zu unterscheiden.

    Und Alkmene verteidigt die Gestalt des himmlischen Traummanns als Projektion ihrer erotischen Sehnsüchte geradezu störrisch gegen die Alltagsgestalt des wirklichen Amphitryon. Dabei sind die Herren– aus der Sicht des Publikums - gar nicht zu verwechseln. In Stuttgart treten keine äußerlich ähnlichen Doppelgänger gegeneinander an. Jupiter-Amphitryon erscheint als verlebter, selbstverliebter Spieler, der hemmungslos nach Selbstbestätigung giert. Amphitryon dagegen, als Feldherr befehlsgewohnt, ist zögerlich, ein empfindlich Gekränkter, der immer erst anklopft, wenn er zu seiner Frau will. Und Alkmene, virtuos naiv und lüstern, die sich immer auf ihr innerstes Gefühl beruft, glüht nur für Jupiter und erklärt schließlich das fake zum Original. Den Gatten hält sie auf Abstand. Während die attraktive Charis auf Knien den Bauch des echten Sosias anbetet - als göttliche Erscheinung. Bilder, die man sich von Menschen macht, sind an die Stelle von Menschen getreten. Und diese Wunschbilder haben eine zerstörerische Kraft, die über Zeusdonner von oben und jede Erklärung, Aufklärung hinaus wirkt.

    Die Entzauberung, die auch nur ansatzweise Wiederherstellung der Ordnung hinterlässt emotional verstörte Figuren. Getäuschte Menschen, die sich täuschen ließen. Weil die Selbsttäuschung ihnen einen Traum ermöglichte? Die falsche Identität eine willkommene Versuchung darstellt? Oder weil jede Irritation so viele Ängste weckt, dass die Wahrnehmungsfähigkeit blockiert ist? Weil es kaum mehr Akteure, sondern nur noch Manipulierte und Manipulierende, Spieler und heimliche Mitspieler gibt?

    Alle diese Fragen stellt die Aufführung, stellen die wunderbaren Menschendarsteller in vielfältigen gestischen und sprachlichen Nuancen, so, dass Kleists ja hochartifizielle Sprache ganz selbstverständlich, ja zuweilen fast salopp und zeitgemäß wirkt. Bewusst wird das komödiantische Potenzial des Stückes nur ansatzweise entwickelt. Wir sehen - uns; immer, wie auch der Bühnenraum suggeriert, in der Vorhalle zum Leben, immer draußen bleibend, immer im Wartestand - in einem kunstvollen, wenig erbaulichen Spiegelbild.

    Informationen:

    Staatstheater Stuttgart: Spielplan Schauspiel