Der Tod des bayrischen König Ludwigs II. im Starnberger See gibt bis heute Rätsel auf. Für viele Anhänger des Märchenkönigs war es ein politisches Mordkomplott, so wird es auch seit 130 Jahren im volkstümlichen "König-Ludwig-Lied" kolportiert.
Eine Schlüsselrolle bei den Ereignissen des Jahres 1886 spielt der Psychiater Bernhard von Gudden, ein für seine Zeit äußerst fortschrittlicher Vertreter seiner Zunft: Er empört sich über die unmenschlichen Zustände und brutalen Behandlungsmethoden in den damals sogenannten Irrenanstalten. Als er selbst Direktor einer solchen Einrichtung wird, verfügt er sogleich:
"Dem Pflegepersonal ist es verboten, den Kranken zu irgendetwas zu zwingen, ausgenommen in Fällen dringender Nothwer."
Gudden wird 1873 zum Professor an der Universität München und Direktor der Oberbayerischen Kreisirrenanstalt berufen, zwei Jahre später erhebt ihn Ludwig II. sogar in den Adelsstand.
Gutachten zum Geisteszustand des Königs
Kein Wunder also, dass sich das bayrische Kabinett im März 1886 an eben diesen prominenten Psychiater des Landes mit einem heiklen Auftrag wendet: Bernhard von Gudden soll den Geisteszustand des Königs untersuchen. Man will Ludwig für regierungsunfähig erklären, weil sein exzentrisches Gebaren und vor allem seine Schlösserbauten nicht mehr nur öffentliches Aufsehen erregen, sondern die Staatsfinanzen zu ruinieren drohen. Von Gudden erstellt das gewünschte Gutachten – vom Schreibtisch aus. Ausgerechnet dieser Arzt, der seine Patienten immer ernst genommen und menschlich behandelt hat, verlässt sich bei einer so schwerwiegenden Entscheidung auf Presseberichte über plötzliche Wutanfälle Ludwigs oder Beobachtungen der Dienerschaft, etwa
"über die ekelerregende Art des Speisens Seiner Majestät."
Am 8. Juni 1886 stellt von Gudden gemeinsam mit drei weiteren Universitätslehrern fest:
"Seine Majestät sind in sehr weit vorgeschrittenem Grade seelengestört, und zwar leiden Allerhöchstdieselben an jener Form von Geisteskrankheit, die den Irrenärzten aus Erfahrung wohl bekannt mit dem Namen Paranoia bezeichnet wird."
Damit ist der Bayernkönig faktisch entmündigt. Sein Onkel, Prinz Luitpold, übernimmt die Regierungsgeschäfte. Ludwig II. wird in Gewahrsam genommen und von Neuschwanstein nach Schloss Berg gebracht.
Von Gudden wird zum "Königsmörder"
Hier ist der Psychiater Bernhard von Gudden nun bei ihm. Auch bei jenem verhängnisvollen Spaziergang am Abend des 13. Juni 1886, als die beiden allein, ohne Pfleger oder Wachen, zum Starnberger See gehen – und nicht mehr zurückkommen.
"Seine Majestät hat sich in seiner Geisteszerrüttung selbst in den See gestürzt."
So wird es im Sterberegister vermerkt. Und über Bernhard von Gudden berichtet einer, der die aus dem See geborgenen Leichen gesehen hat:
"Ich sah die fürchterlichen Strangulationsmarken an seinem breiten Hals. Er war von seinem König erwürgt worden."
Aber es gibt viele Ungereimtheiten in dem Fall. So hat man zum Beispiel bei Ludwig kein Wasser in der Lunge gefunden. Doch während sich um den Tod des Märchenkönigs schnell Legenden und verklärende Mythen ranken, gerät der Psychiater im Volksmund bald zum Königsmörder.
Heute werden die wissenschaftlichen Leistungen Bernhard von Guddens und vor allem seine Bemühungen um eine humanere Psychiatrie zwar gewürdigt. Aber sein Gutachten über die "Verrücktheit" Ludwigs II. wird kritisch gesehen. 2003 stellt der renommierte Psychiater Heinz Häfner nach einer neuen Prüfung der historischen Akten sogar fest:
"Es sind keine belastbaren Hinweise auf eine ernste psychische Störung des Königs gefunden worden."
Ein vermutlich politisch motiviertes Gutachten also, das noch eine weitere tragische Konsequenz hat: Vorausgesetzt, man folgt der Selbstmord- und nicht der Mordkomplotttheorie, verkannte der Psychiater auch, in welchem seelischen Ausnahmezustand Ludwig II. sich an diesem Junitag befand – ein tödlicher Irrtum für Bernhard von Gudden.