St. Hildegardis Krankenhaus, Köln, ein geschmackvoll eingerichteter Gruppenraum. In der Mitte steht ein Tisch, drumherum ein paar Stühle, auf denen es sich zwei Patientinnen und die Ergotherapeutin Tanja Breuer bequem gemacht haben.
"Ich möchte zuerst beginnen mit dem NEUROvitalis-Programm, das ist ein evaluiertes Gedächtnistrainingsprogramm, auch hier in Köln konzipiert an der Uniklinik. Und zwar geht es darum, in verschiedenen Übungseinheiten, die aufeinander aufbauen, die Gedächtnisleitung zu steigern und zu fördern."
Tanja Breuer gibt den neben ihr sitzenden Damen jeweils ein Übungsblatt. Auf der linken Seite sind in kleinen Kästchen geometrische Symbole eingezeichnet, auf rechten Seite fehlen die Symbole. "Das sind geometrische Figuren, das sind vier kleine Quadrate, die zu einem kippenden Rechteck zusammengestellt werden, ein Kreis mit einem Loch in der Mitte, dann würde ich sagen, das ist ein orientalisches Muster wie ein Blümchen…"
Konzentration und Gedächtnis lassen sich trainieren
…und so weiter, und so fort. Die beiden Patientinnen sollen nun mit einem Bleistift die Symbole von der linken Seite in das richtige leere Kästchen auf der rechten Seite übertragen. Das erste Symbol fest im Blick, eine Raute, suchen sie den Platz auf der rechten Blattseite. "Ich würde sagen hier, hier passt es ja nicht rein, dann würde ich das untere nehmen und würde es hier rein tun."
Zeile für Zeile arbeiten sich beide Damen durchs Übungsblatt und übertragen Kreise und Quadrate, Rechtecke und Blümchenmuster von links nach rechts. Sind die Aufgaben schwierig? "Der Anfang vielleicht, aber wenn man mal drin ist, geht es viel leichter, aber wenn man mal drinnen ist und ein bisschen Übung hat, dann klappt es wunderbar."
Stärkung und Förderung von Aufmerksamkeit und Konzentration stehen im Mittelpunkt dieser Übung. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich beliebig steigern, so Tanja Breuer. "Im Folgenden bauen sich die einzelnen Blätter oder Folien in dem Fall dann auf. Es variiert, es wird komplexer, es wird auch vom Visuellen etwas ansprechender und auch konzentrativ anstrengender werden."
Regt den Gehirnstoffwechsel an
Gehirnjogging heißen solche Übungen umgangssprachlich. Ein Begriff, den Mediziner und Ergotherapeuten nicht wirklich gerne hören. "Man kann das Gehirn trainieren, vor allen Dingen einzelne Fähigkeiten beziehungsweise Fertigkeiten, in diesem Bereich ist es die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit."
Dr. Jochen Gerd Hoffmann, Chefarzt der Abteilung für Geriatrie am St. Hildegardis Krankenhaus, Köln. "Der Begriff "Gehirnjogging" pauschal ist sicherlich auch kritisiert worden, und wenn man jetzt einfach nur irgendwelche Rätselhefte durcharbeitet, nicht gezielt, dann hat das wahrscheinlich auch keinen wesentlichen Effekt."
Rätsel lösen, Lesen, Schreiben und so weiter schaden natürlich nicht, wer bestimmte Fähigkeiten fördern will, braucht aber ein zielgerichtetes Training. Beim Sport ist es ja nicht anders: Muskelaufbau wird anders trainiert als Ausdauer.
Was genau geschieht beim Gehirnjogging? "Da wird zunächst der Gehirnstoffwechsel angeregt, das Gehirn arbeitet ja sowohl mit elektrischen Signalen als auch mit Botenstoffen, und hier kommt vor allen Dingen zu einer Vermehrung der Aktivität. Beispielsweise werden Botenstoffe ausgeschüttet, sogenannte Signalstoffe, die zwischen den Nervenzellen wirken. Erst einmal passiert das auf einer biochemischen Ebene, aber mit der Zeit ist es durchaus möglich, dass die sogenannte Graue Substanz sich vermehrt im Gehirn durch Training."
Gehirnjogging heilt keine Krankheiten
Es entstehen neue Verbindungen zwischen den Hirnzellen. Ein Prozess, der Lernen überhaupt erst möglich macht, im höheren Alter aber immer mehr nachlässt, durch ein gezieltes Training allerdings wieder angeregt werden kann. Bei gesunden Menschen funktioniert gezieltes Gehirnjogging nachweislich gut, kritischer sieht Jochen Gerd Hoffmann den Einsatz bei kranken Menschen, etwa bei Demenzpatienten.
"Bei Erkrankungen war es lange Zeit umstritten und ist es auch immer noch in gewisser Weise umstritten. Nach neuester Studienlage können zumindest gewisse Fähigkeiten trainiert werden, sei es Gedächtnis, sei es Konzentration und Aufmerksamkeit, seien es Handlungsabläufe. Die Demenz als Erkrankung beispielsweise lässt sich nicht aufhalten, der Abbauprozess, aber man kann einzelne Fähigkeiten des Gehirns durchaus trainieren, und auch erfolgreich."
Neben der Konzentrations- und Gedächtnisleistung lassen sich alltägliche Handlungsabläufe und die Kommunikationsfähigkeit trainieren.
Vorhandene Fähigkeiten fördern
"Wobei immer gilt, je leichter der Patient betroffen ist, umso mehr ist er noch trainierbar. Es gilt aber schon, ein demenziell erkrankter Mensch kann trainiert werden, kann rehabilitiert werden, das gilt auch für die Kommunikation. Wenn es natürlich im schweren Fall schon zu einem Sprachzerfall gekommen ist, ist das nicht mehr möglich, dann kann nur noch nonverbal kommuniziert werden, aber sonst ist das möglich, ja."
Beim Gehirnjogging gilt: Noch vorhandene Fähigkeiten lassen sich anregen und fördern, Defizite, also endgültig verlorene Fähigkeiten, können nicht reaktiviert werden. Bei den beiden Patientinnen im St. Hildegardis Krankenhaus, Köln, ist noch vieles möglich. Zum Beispiel ein kombiniertes Gedächtnis- und Kommunikationstraining.
Die Ergotherapeutin Tanja Breuer hat ein Brettspiel aufgebaut. Jede Patientin würfelt und schreitet mit einem Püppchen entsprechende Felder ab. "Ja, dann dürfen Sie mit dem Püppchen einmal loslegen, egal in welche Richtung. Da haben Sie die Biene gezogen, dann würde ich Sie bitten, die Bienenkarte aufzudecken, die erste, die oberste, und lesen dann einmal vor, was oben steht. Wissen Sie noch die Namen der Kollegen Ihrer ersten Arbeitsstelle? Ja, können Sie sich noch dran erinnern?" - "Ja, Gertrud Thon, Barbara Hollbach, Marlene Henn, Richard Deuster."
So etwas muss man erst mal schaffen! Das regelmäßige Gehirntraining im Kölner St. Hildgardis Krankenhaus ist für diese Patientin ein voller Erfolg.