Der Abreiteplatz beim Aachener CHIO. Dressurreiter arbeiten hier mit ihren Pferden, üben Lektionen, tauschen sich mit ihren Trainern aus. Kriemhild Morgenroth, selbst Reiterin und auch beruflich dem Pferdesport verbunden, beobachtet, wie Pferde auf dem Abreiteplatz über einen längeren Zeitraum mit tief auf die Brust heruntergezogenem Kopf geritten werden, dazu werden Sporen und Gerte eingesetzt.
Traurig teilt Kriemhild Morgenroth diese Eindrücke bei Facebook: "Also ich bin der Meinung, ein Pferd darf arbeiten. Im großen Sport darf es auch geritten werden, aber ich bin nicht der Meinung, dass wir Pferde so behandeln dürfen, dass sie 50, 60 Minuten lang mit aufgerissenen Mäulern traktiert werden, mit Sporn und Gerte, den Kopf auf die Brust gezogen. Das hat mich sehr zornig gemacht und sehr, sehr traurig."
Keine militante Tierschützerin
Der Facebook-Post erhält bis zum Wochenende über 12.000 Likes, wird über 15.000 Mal geteilt. Kriemhild Morgenroth wird davon eher überrascht, denn sie ist keine militante Tierschützerin, im Gegenteil, sie ist dem Reitsport seit Jahrzehnten privat und beruflich verbunden, ist selbst gelernte Bereiterin.
Als sie die Szenen auf dem Abreiteplatz sieht, wendet sie sich an einen der Kampfrichter, genannt Stewards, die das Training beaufsichtigen: "Der hat mich erst ignoriert und als ich ihn dann gefragt habe, ob er nicht mit mir reden möchte, bin ich sehr unfreundlich angeraunzt worden. Ich schau mir das an. Ich habe dann noch zehn Minuten gewartet, aber es passierte nichts, da bin ich sehr frustriert gegangen."
Laut Reglement verboten
Nachfrage bei Frank Kempermann, Turnierchef des Aachener CHIO und Mitglied im Vorstand des Weltreitsportverbandes FEI. Die FEI ist in Aachen für die Stewards, die Kampfrichter zuständig: "Die Stewards sind da, die haben einen Auftrag vom Weltverband, sich an die Regeln zu halten. Es gibt ganz klare Regeln, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist im Training. Und die Stewards haben das gesehen und gesprochen mit den Leuten. Und diese 50 Minuten, das stimmt alles nicht."
Alleine dass jetzt Aussage gegen Aussage steht zeigt, wie brisant das Thema der Trainingsmethoden im Dressursport ist: Seit über zehn Jahren wird über die sogenannte Rollkur, das Reiten des Pferdes mit extrem auf die Brust hinuntergezogenem Kopf, heftig gestritten. Studien wurden angefertigt, Unterschriften gesammelt, ehe sich der Weltreitsportverband zu einer Entscheidung durchrang: Die extrem tief eingestellte, aggressive Rollkur ist laut Reglement verboten. Erlaubt und durchgesetzt hat sich stattdessen die Reitweise "low, deep, round", die im Training maximal zehn Minuten erlaubt ist.
Dringender Gesprächsbedarf
Die Biologin Dr. Kathrin Kienapfel hat dies bereits 2017 kritisch gesehen: "Es gibt körperliche Einschränkungen und auch Verhaltensauffälligkeiten, die beim Reiten mit dieser Kopf-Hals-Position passieren. Und deswegen gibt es keinen Grund mehr, Pferde aufgerollt zu reiten. Es gibt auch eigentlich keinen Grund über irgendeinen Zeitraum zu gestatten, also es sollte auch nicht für wenige Minuten erlaubt sein."
Fest steht, es besteht weiterhin dringender Gesprächsbedarf: Zwischen Reitern, Trainern, Offiziellen, Tierärzten und einer großen und engagierten Reitsport-Community, um zu klären, was gutes, sportliches und vor allem tiergerechtes Reiten ist.