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Transatlantische Freundschaft

Rosa von Praunheim, der schwule Regisseur-Provokateur, hat in den letzten Jahren in seinen Filmen sehr persönliche Themen verarbeitet. In seinem neuen Film steht eine Stadt im Zentrum, in der er lange gelebt hat und die er seit fast 40 Jahren immer wieder porträtiert: New York.

Von Josef Schnelle |
    Rosa von Praunheim heißt eigentlich Holger Mischwitzky. Sein Malerei und Bildhauerstudium brach er ab um Filmemacher zu werden und legte sich seinen Künstlernamen zu. Er verstand sich stets als Speerspitze der Schwulenbewegung, viele Filme kreisen um das Thema: "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt". Das ist der Titel seines Filmes von 1970. Vor laufenden Fernsehkameras startete er Anfang der 1990er-Jahre eine Outing-Kampagne bei der er Alfred Biolek und Hape Kerkeling "enttarnte".

    Die meisten seiner mehr als 70 Filme sind Dokumentationen über schrille Vögel, zu denen von Praunheim in entsprechendem Outfit bei jeder öffentlichen Gelegenheit sicher selbst zu zählen ist. Mit fast 70 Jahren ist er immer noch neugierig und seinem ganz besonderen Stil als beobachtender und engagierter Dokumentarfilmer treu geblieben. 1987 drehte er seine Liebeserklärung an die damals aufgeschlossene und liberale wirkende Stadt seiner Träume "Überleben in New York". Einige der Protagonisten dieses Films hat er nun wieder besucht. Eigentlich wollte er der Stadt für immer den Rücken kehren, weil sie nach den Säuberungskampagnen der Null-Toleranz-Politik des New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani zwar sicherer geworden ist, für Rosa von Praunheim aber auch den Nimbus der Metropole der Abweichler von der Norm mit grenzenloser Freiheit verloren hat. Die Protagonisten seines Films von damals haben sich meist inzwischen im Mainstreamleben angekommen. Das Wichtigste Zauberwort kennen sie auch:

    "Charity."

    Ein wenig schmollt Rosa von Praunheim den "guten alten Zeiten" hinterher, ist aber viel zu sehr dem leicht maliziösen im Kern aber präzisen Blick des neugierigen Reporters verpflichtet, um in einen thesenhaften Stil zu verfallen. Die Liebe zu New York, wie es heute ist, verdrängt bald die Liebe zu New York, wie es einmal war. Das Talent Rosa von Praunheims, Menschen mit einer interessanten Lebensanschauung und einem unerschrockenen Lebenswandel ausfindig zu machen und zum Reden zu bringen ist offenbar keineswegs abhandengekommen. Er gestaltet seine filmische Untersuchung über den Traum von New York als seine Idealstadt widersprüchlich und hat auch das Provozieren nicht verlernt. Hat er das "andere Leben" vor 20 Jahren nur in diese Stadt hineingeheimnisst? Sind die realen Gegebenheiten des neuen "New York" wirklich soviel anders?

    Sicher, man muss heute 2000 Euro Miete aufbringen selbst in der Bronx, die sich gerade vom Slum zum Edelviertel mausert. Und die Gewissheit von Frank Sinatras Song "If you make it there, you can make it anywhere" ist sowieso dahin. Trotzdem schlummert eine Utopie in dieser Stadt, die selbst jene erfasst, die nach Jahr und Tag nur noch einmal kurz vorbei schauen. Rosa von Praunheim legt die Utopie mit staunendem Blick frei. Den "geilsten Sex mit den tollsten Männern der Welt" hat er einstmals in New York verortet, wo er jetzt nur noch biedere bürgerliche Heiratswünsche zu finden scheint.

    Von Praunheim ist ehrlich genug, seine Zweifel und seine inneren Widersprüche im Kommentartext des Films eine wichtige Rolle spielen zu lassen. Er bestätigt damit seinen Ruf, der engagierteste zuweilen provokativste aber zugleich der selbstkritischste der Kinoautoren des "Neuen deutschen Films" zu sein. "New York Memories" ist eine sehr persönliche Spurensuche nach Partikeln seiner Sehnsüchte.

    Der Film ist aber auch eine wilde verwegene Jagd nach dem Neuen, das nicht sofort erkennbar ist. Bei von Praunheim schaut man stets dem Filmemacher beim Verfertigen seines Films zu, ist also in den Herstellungsprozess einbezogen, was das Kinovergnügen entschieden bereichert.

    "New York Memories" ist ein reicher und vielfältiger Dokumentarfilm, für den es sich auch lohnt, die dem Kino wenig gewogene Sommerträgheit zu überwinden.