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"Transcendence"
Alltägliche Übermacht der Maschinen

Nach einem Vierteljahrhundert hinter der Kamera - darunter einige Batman-Filme - gibt Wally Pfister nun sein Regiedebüt. In seinem Science-Fiction-Werk "Transcendence" spielen Johnny Depp und Rebecca Hall die Hauptrollen. Der Film ist nicht perfekt, beschreibt aber aktuelle Zivilisationsängste.

Von Hartwig Tegeler |
    Wally Pfister lächelt in die Kameras, seinen Oscar für die beste Kamera im Film "Inception" bei den 83. Academy Awards 2011 in der Hand.
    Hier zeigt Wally Pfister seinen Oscar für die Kameraarbeit beim Film "Inception", nun kommt sein Regiedebüt in die Kinos. (picture alliance / dpa / Paul Buck)
    Die Frage, klar, die Frage ist, ob die Büchse der Pandora, die Dr. Will Caster, Guru für Künstliche Intelligenz, geöffnet hat jemals wieder zu schließen ist. Also ein völlig neues Computersystem, ein Elektronengehirn. Es soll sogar Emotionen empfinden können; es soll sogar selbstständig reflektieren können. Hoffnung für die Zukunft, den Planenten oder Albtraum.
    "Einmal vernetzt würde eine empfindungsfähige Maschine schnell die natürlichen Grenzen überwinden."
    Schwärmt Will und steht dabei auf der Bühne, wie Steve Jobs bei einer seiner Keynotes gestanden hat. One more thing:
    "Und in kurzer Zeit wäre ihre analytische Kraft größer als die gebündelte Intelligenz aller Menschen auf der Welt."
    Dann ein Anschlag von Extremisten. Will wird radioaktiv vergiftet.
    "Bei richtiger Betreuung hat er noch vier, möglicherweise fünf Wochen, bevor seine Körperfunktionen versagen."
    Büchse der Pandora
    Will stirbt, und jetzt, jetzt öffnet Evelyn, seine Frau und Mitarbeiterin, eben die Büchse der Pandora:
    "Wills Körper stirbt, aber sein Geist ist ein Mustersignal aus elektrischen Signalgen, die wir in PIN hochladen können. Er kann ...
    - Wenn wir irgendetwas vergessen, von mir aus eine Kindheitserinnerung. Woher wissen wir, mit dem wir es zu tun haben."
    Nun hochgeladen - Johnny Depp in "Transcendence" von da an immer im Hologramm zu sehen oder auf dem Bildschirm, im Computer - geht es zum nächsten, dem entscheidenden Schritt.
    "Evelyn! - Ich bin hier. - Ich muss mich vernetzen. Ich brauche mehr Energie. Bring mich online."
    Und der Experte für künstliche Intelligenz, nun selber eine Künstliche Intelligenz, denkt sich, fühlt sich als ... Gott.
    "Wenn sie ihn online bringt, wird er sich auf jeden einzelnen vernetzten Computer der Welt kopieren. Dann gibt es keine Möglichkeit mehr, ihn zu löschen."
    Der Geist verschmilzt mit der Maschine, die ihrer selbstbewusst auch ihrer eigenen ungeheuren Macht sich bewusst wird. Und wir sitzen da, sehen das, und während wir uns fragen, ach, geht das, könnte das gehen, wie weit sind wir davon entfernt, währenddessen läuft es uns kalt den Rücken herunter, weil das noch Zukunft, Science-Fiction, oder schon Realität ist. Gut, dieser dystopische Impuls, den "Transcendence" hervorruft, in der ersten Stunde Filmzeit, verwandelt
    sich zum zahmen Actiontiger.
    "Wer oder was auch immer das ist. Es baut da draußen eine Armee auf."
    Ein bisschen Küchenphilosophie
    Action, die sich mit einer äußerst peinlichen Portion unsäglicher Soap-Opera mischt, weil Evelyn und Will sich ja soooo lieben, und Evelyn - bisschen Küchenpsychologie, voilà, Evelyn nicht loslassen kann:
    "Erinnerst du dich an unsere erste Begegnung. - Ich erinnere mich an alles."
    Nur, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, Evelyn - Rebecca Hall - redet hier zum Geist von Will - Johnny Depp. Nichts mit Physis, mit Anfassen. Der Dreh jedenfalls, den diese Geschichte in Sachen Happyend bekommt, ist atemberaubend, was die Logiklöcher betrifft.
    Darüber kann man gut und gerne und auch zu Recht mäkeln, doch ändert es nichts daran, dass "Transcendence" eine sehr aktuelle Erzählung über unsere Ängste - Urängste in zeitgemäßem Gewand - ist. Dass nämlich die Evolution der Computer-Technologie nicht nur unsere Abhängigkeit von den unverstandenen Maschinen ins Maßlose steigert.
    Haben Sie schon Ihr Passwort geändert nach dem millionenfachen Passwort-Klau? Nein, ich weiß nicht, wie das geht. - Die alltägliche Übermacht der (Internet-Computer)-Maschine, das ist der eine Aspekt der Angst. Der andere lauert als ewiger Dämon noch viel, viel tiefer: Dass nämlich wir, wir Menschen, immer mehr Teil dieser Bits&Bytes-Maschine werden: Was unterscheidet uns noch von den Maschinen? Sind wir schon Maschine? Es ist das klassische Thema des dystopischen Science-Fiction-Films, das "Transcendence" entwirft. Immerhin! Wo ist Mensch? Wo Maschine? "Blade Runner" handelte davon, sehr böse auch
    "Terminator", "Matrix". Ebenso "I, Robot". Genauso die "Frauen von Stepford".
    "Eine künstliche Intelligenz ist wie jede Intelligenz. Sie muss wachsen, sich weiter entwickeln. Irgendwann wir das bloße Überleben nicht mehr reichen. Sie wird sich ausweiten, entfalten. Einfluss nehmen. Vermutlich auf die ganze Welt."
    Tot oder lebendig? Gucken Sie selber!
    Und mögen Will und Evelyn aus "Transcendence" sich am Ende in den Armen liegen - Tot oder lebendig? Gucken Sie selber! -, es bleibt ein Überhang, den aller Hollywood-Kitsch der Geschichte nicht austreiben kann: Das ist dieses schwelend unangenehme Gefühl, das uns hier jemand etwas davon erzählt hat, das wir die Geister, die wir mit jeder App rufen, am Ende nicht mehr loswerden.
    "Wo bist du? - [Tusch!] Ich bin überall."
    Auch wenn Wally Pfister und seine Produzenten schließlich Angst vor der verstörenden Konsequenz dieser Erkenntnis hatten, und so tun, als wäre die Büchse der Pandora einfach wieder zu schließen, so darf die Aktivistin es doch zumindest einmal sagen:
    "Und dann wurde mir klar, dass wir eine Grenze überschritten haben."
    Darum geht es.