Transgender im Sport
Streit um transgender Athletinnen geht weiter

Immer mehr Sportverbände schließen transgender Athletinnen von der Frauen-Kategorie aus – weil sie körperliche Vorteile gegenüber biologischen Frauen haben. Aber jetzt sorgt eine Studie für Aufsehen, weil sie diese These auf den Prüfstand stellt.

Von Raphael Späth |
    Eine transgender Flagge in der amerikanischen Metropole St. Louis.
    Auch im Sport wird kontrovers über die Teilhabe von transgender Athletinnen und Athleten diskutiert. Wissenschaftliche Daten gibt es bisher aber kaum. (IMAGO / UPI Photo)
    Haben transgender Athletinnen ein geringeres Sprungvermögen, eine geringere Lungenkapazität und dadurch auch weniger Ausdauer als cisgender, also biologische Frauen? Darauf deuten zumindest die Ergebnisse einer Studie der University of Brighton in Großbritannien hin. Es ist die erste größer angelegte Studie, die an transgender Athletinnen durchgeführt wurde – und jetzt die Annahme, dass diese Sportlerinnen auch nach der Hormontherapie signifikante körperliche Vorteile haben, infrage stellt.
    Blair Hamilton hat an dieser Studie mitgewirkt. „Ich glaube nicht, dass die Studie uns eine endgültige Antwort liefert, ob trans Athletinnen definitiv Vorteile oder Nachteile haben. Aber die Ergebnisse sind zumindest ein Warnsignal dafür, Komplettausschlüsse einzuführen, ohne dass wir eine endgültige Antwort auf diese Frage haben.“

    Querschnittsstudie nicht wirklich aussagekräftig

    Die Studie, die im British Journal of Sports Medicine veröffentlicht wurde, vergleicht Werte von transgender und biologischen Athletinnen und Athleten, die mindestens drei Mal in der Woche trainieren – in allen möglichen Sportarten. Es ist eine Querschnittsstudie, was auch bedeutet, dass die teilnehmenden Sportlerinnen und Sportler nur ein Mal getestet wurden – eine Stichprobe quasi, mit transgender Athletinnen, die im Durchschnitt schon sechs Jahre Hormon-unterdrückende Mittel zu sich genommen haben.
    „Es ist toll, dass sie Fitness-Tests an trans Menschen durchführen“, findet der schwedische Physiologe Tommy Lundberg. „Leider ist es eine Querschnittsstudie. Dadurch gibt es also keine Möglichkeit, um festzustellen, wie viel Einfluss die Hormontherapie auf die Ergebnisse hatte, weil jeweils nur ein Wert gemessen wurde. Dazu kommt noch, dass die Gruppen nicht gut aufeinander abgestimmt sind. Die trans Frauen wiegen zum Beispiel viel mehr, ihr BMI deutet darauf hin, dass sie übergewichtig sind. Wenn man sich die Ausdauerwerte anschaut, dann sind sie viel untrainierter als die cisgender Frauen, mit denen sie verglichen werden. Es ist also unmöglich, herauszufinden, welchen Effekt die Hormon-Unterdrückung auf die Ergebnisse hatte.“

    Transgender Athletinnen sind ihre eigene Sub-Gruppierung

    Die Studie zeigt auch, dass transgender Athletinnen gewisse körperliche Vorteile wie zum Beispiel Griffstärke gegenüber biologischen Frauen behalten. Zu diesem Ergebnis kamen in der Vergangenheit auch andere Studien, die an Nicht-Athletinnen durchgeführt wurden. Tommy Lundberg findet, dass die neue Studie deshalb nicht dazu verwendet werden sollte, um die Regularien von Sportverbänden jetzt zu überarbeiten.
    „Das ist nicht der Grund, weshalb wir die Studie überhaupt gemacht haben“, sagt Blair Hamilton von der University of Brighton. „Es ging uns darum, zuerst einmal transgender Athletinnen generell zu verstehen. Wir haben inzwischen all diese Sportverbände, die Regularien aufstellen, ohne dass es wissenschaftliche Daten zu transgender Athletinnen gibt. Und wir haben jetzt erstmal erste Daten zur Verfügung gestellt, um den transgender Athleten generell besser zu verstehen.“
    Für Blair Hamilton liefert die Studie hauptsächlich eine Erkenntnis: Transgender Athletinnen sind ihre eigene Sub-Gruppierung und sollten in zukünftigen Studien auch so behandelt werden. Viele Sportverbände hatten für ihre Regeln bisher auch Studien mit biologischen Männern herangezogen, um zu beweisen, dass trans* Frauen körperliche Vorteile haben und dadurch von der Frauen-Klasse ausgeschlossen werden sollten.
    „Es ist ein guter Start, um transgender Athleten besser zu verstehen. Wir können diese Ergebnisse jetzt nicht überbewerten, aber wir sind auf dem richtigen Weg, um das Gesamtbild zu verstehen.“

    Kritik an IOC-Leitlinien zu Inklusion von transgender Menschen

    Mitfinanziert wurde die Studie vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das erst vor Kurzem seine Richtlinien für die Inklusion von transgender Athletinnen und Athleten angepasst hat. Statt feste Richtwerte für zum Beispiel Testosteron im Blut vorzugeben, hat das IOC Leitlinien aufgestellt, an denen sich Sportverbände orientieren sollten. Diese Leitlinien seien aber höchst problematisch, weil sie wissenschaftliche Fakten komplett ignorieren, behaupten 26 Akademikerinnen und Akademiker in einem Positionspapier letzten Monat. Einer davon: Der Schwede Tommy Lundberg.
    „Sie haben sehr lose Prinzipien. Das IOC spricht zum Beispiel davon, dass bei trans* Personen kein natürlicher Vorteil vorausgesetzt werden darf. Aber das geht ja gegen den Grundgedanken einer Frauen-Kategorie im Sport. Die existiert ja nur, weil es eine biologische Realität ist, dass Männer durchschnittlich muskulöser, größer und breiter sind und dadurch viele physischen Vorteile gegenüber Frauen haben, die im Sport entscheidend sind. Das ist also keine bloße Annahme, sondern eine biologische Realität.“

    Inklusion von transgender Sportlerinnen wird nicht unbedingt begrüßt

    Aus Sicht von Tommy Lundberg existieren momentan auch genug Studien, die beweisen, dass trans* Frauen auch nach der Hormontherapie noch deutliche Vorteile gegenüber cisgender, also biologischen Frauen haben.
    „Ein weiteres großes Problem ist, dass das IOC die anderen Athletinnen nicht als einen der Haupt-Stakeholder mit einbezieht. Wenn sie von den Stakeholdern in dieser Debatte sprechen, dann werden da transgender Athletinnen genannt, aber die anderen weiblichen Sportlerinnen werden nicht beachtet.“
    Dass aktuelle Leistungssportlerinnen der Inklusion von transgender Sportlerinnen nicht unbedingt positiv gegenüberstehen, zeigt eine aktuelle Umfrage der Swansea Universität. Von den 175 aktiven und ehemaligen Leistungssportlerinnen, die befragt wurden, waren knapp 58 Prozent der Meinung, dass transgender Athletinnen aus der Frauen-Klasse ausgeschlossen werden sollten. Allerdings variieren die Antworten teilweise stark, erklärt Andy Harvey, der an der Studie mitgewirkt hat.
    „Athletinnen, die in einem Kontaktsport aktiv sind, waren viel häufiger für einen Ausschluss von transgender Athletinnen als Sportlerinnen aus Präzisionssportarten, wie zum Beispiel Bogenschießen.“
    Unterschiede waren außerdem zwischen ehemaligen und aktiven Sportlerinnen erkennbar: Ältere Ex-Athletinnen waren demnach häufiger für einen Ausschluss von trans Frauen als jüngere, noch aktive Leistungs-Sportlerinnen. Eine Erkenntnis, die für Andy Harvey auch deshalb von Bedeutung ist, „weil ältere, ehemalige Athletinnen oftmals ranghohe Positionen in den Sportverbänden einnehmen und dann aktiv an den Regeln mitarbeiten. Es ist also wichtig, dass diese Ex-Athletinnen immer die Meinung der aktuellen Sportlerinnen beachten und nicht ihre eigenen Ansichten nutzen, um Regeln aufzustellen.“

    Weitere Studien müssen folgen

    Was die Umfrage aber auch gezeigt hat: „Sogar Athletinnen, die für den Ausschluss von transgender Frauen sind, glauben paradoxerweise, dass jeder Sport offener für transgender Athletinnen sein muss. Das ist also ein Spannungsverhältnis: Auf einer abstrakten Ebene zu sagen: Ja, Sport muss inklusiver sein. Aber wenn es dann um meine direkte Konkurrenz geht: Dann will ich nicht, dass sie gegen mich antreten.“
    Was bei Fragen rund um die Inklusion von transgender Athletinnen Klarheit schaffen könnte, wären weitere Studien, die genau untersuchen, wie sich die Hormontherapie auf die körperliche Leistungsfähigkeit im Sport und im nächsten Schritt dann in speziellen Sportarten auswirkt. Genau das will Blair Hamilton jetzt näher erforschen. Die Querschnittsstudie, die jetzt veröffentlicht wurde, war demnach nur der Startpunkt.
    „Phase 2 sind jetzt die Langzeitstudien, in denen wir transgender Athletinnen von Beginn der Hormontherapie begleiten und untersuchen. Für ein, zwei und drei Jahre, und dann beobachten, in welchen Bereichen sie sich verbessern oder verschlechtern.“
    Für diese Studie werden derzeit noch Teilnehmerinnen gesucht. Bis die endgültigen Ergebnisse vorliegen, wird es also noch ein paar Jahre dauern.