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Transitzonen für Flüchtlinge
"Eine Art Haftanstalt für ganze Familien könnte ich nicht mittragen"

In der Debatte um Transitzonen für Flüchtlinge hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, ein konkretes Konzept der CSU verlangt. Wenn das eine sinnvolle Einrichtung werden solle, müsse es einen konkreten Vorschlag geben, sagte die SPD-Politikerin im DLF. Eine komplette Kontrolle der 3.000 Kilometer langen deutschen Grenze könne sich niemand vorstellen.

Aydan Özoguz im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), spricht am 16.12.2014 in Berlin bei einer Pressekonferenz über die Kampagne "Ein Leben, zwei Pässe".
    Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Özoguz sagte, bis heute liege kein konkretes Konzept auf dem Tisch. "Ich bin da sehr skeptisch", erklärte sie. Eine Art Haftanstalt für ganze Familien könne sie nicht mittragen. Ohnehin würden sich Flüchtlinge andere Wege nach Deutschland suchen, sobald es Transitzonen gebe. "Eine komplette Kontrolle an unseren 3.000 Kilometer langen Grenzen kann sich keiner vorstellen."

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Fast 100 Menschen sterben am Wochenende mitten in Ankara, meist Kurden, die für den Frieden demonstrieren wollten und Opfer eines Anschlages wurden. Der Anschlag von Ankara hat die Spannungen in der Türkei verschärft, wo in knapp drei Wochen Neuwahlen anstehen. Auch in Deutschland leben Kurden und nationalistische Türken, sagt der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland. Er befürchtet, dass die Eskalation in der Türkei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen auch auf den Straßen Deutschlands führen könnte. Die Polizeigewerkschaft sieht das ähnlich.
    Kleines Beispiel: An der Kasse einer Drogeriemarktkette will Rupert Neudeck als Mitbegründer mehrerer Hilfsorganisationen Spenden sammeln für die kurdische Gemeinschaft in Rhein-Sieg und Bonn. Dafür werden er und die Drogeriemarktkette in den sozialen Medien mit einem Shitstorm überzogen, mit einer Welle von Hasskommentaren, meist von Nutzern mit türkisch klingenden Namen, die auch zum Boykott der Drogeriemarktkette aufrufen.
    Ich habe vor anderthalb Stunden darüber gesprochen mit Aydan Özoguz. Sie ist stellvertretende SPD-Chefin, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, und ihre Eltern stammen aus der Türkei. Gefragt habe ich sie: Greift der Konflikt auch auf Deutschland über?
    Aydan Özoguz: Nein. Wir müssen natürlich jeden Aufruf zu Gewalt, egal von welcher Seite er kommt, zurückweisen. Das ist nicht akzeptabel, dagegen muss man immer vorgehen.
    Dobovisek: Wie groß ist denn die Gefahr insgesamt, dass der Konflikt übergreift?
    Özoguz: Man muss ja mal sehen, in den letzten Tagen waren alle kurdischen Demonstrationen friedlich. Das heißt, hier sind ganz viele Menschen, die durchaus zur Weltpolitik eine Nähe haben und auch ihre Meinung äußern wollen. Aber es wird auch immer mal einzelne Gruppen geben, da bin ich mir sicher - die türkische Gemeinde hat darauf hingewiesen -, gerade bei Jugendlichen, die das möglicherweise nutzen, um auch anderes zu tun, und da muss man wachsam sein. Das muss man aber immer und da muss man aber auch passen. Aber ich denke, dass die große Masse zeigt, sie will friedlich bleiben.
    Dobovisek: Wie lange bleibt das so?
    Özoguz: Man kann natürlich immer schlecht vorhersagen, wie die Weltlage sich nun ohnehin irgendwie entwickelt oder irgendwie zeigt. Das Problem ist doch, dass in der Türkei eine große Spaltung sichtbar wird in der Gesellschaft und dass das mittlerweile ja auch überschwappt, die Stimmungslage. Das muss man natürlich wahrnehmen. Aber ich bin mir sicher, dass einfach die große Mehrheit wirklich aller Leute, die hier in Deutschland eine Nähe zur Türkei haben - die meisten leben übrigens seit Jahrzehnten hier -, dass die sehr genau wissen, was sie an friedlichen Demonstrationen und friedlichen Meinungsäußerungen auch haben.
    "Politisch darf man immer seine Stimme erheben"
    Dobovisek: Welchen Eindruck gewinnen Sie, wenn Sie in kurdische und türkische Gemeinden hineinhören? Wie gehen die in Deutschland mit dem Konflikt um?
    Özoguz: Das ist sehr unterschiedlich. Es wird überall, wo ich zumindest war, sehr vehement diskutiert, aber das, ehrlich gesagt, auch nicht erst seit heute oder gestern, sondern ja schon seit einigen Jahren. Und ich erlebe, dass immer wieder gerade Ältere eine sehr ruhige Stimme anschlagen, dass die auch noch mal klar machen, dass es wichtig ist, natürlich nicht sich selber instrumentalisieren zu lassen, gerade als junger Mensch nicht sofort sozusagen anzuspringen und zu sagen, ich mach jetzt hier alles mit, sondern Ruhe zu bewahren und gerade nicht denjenigen Recht zu geben, die immer zu Hass und Gewalt aufrufen.
    Dobovisek: Welche Rolle muss dabei Deutschland übernehmen, die Bundesregierung, die Länder, die Gemeinden?
    Özoguz: Viele gerade der türkischstämmigen sind ja wirklich schon lange hier. Es sind ja nicht die Neueinwanderer. Das heißt, viele derjenigen, die ihre Wurzeln in der Türkei haben, sitzen ja selbst bereits in Gemeinderäten, und ich merke, dass das eine sehr große beruhigende Funktion hat, dass man sehr genau weiß, wie man hier Politik machen kann, wie man aus Deutschland auch mal seine Stimme erheben kann. Das ist sehr wichtig natürlich.
    Dobovisek: Aber gerade unter diesen Alteinwanderern, wie Sie sie nennen, befinden sich besonders viele glühende Anhänger Erdogans. Das haben wir ja beobachten dürfen, als Erdogan mehrfach in Deutschland zu Besuch war.
    Özoguz: Ja, sowohl Erdogans als auch natürlich von kurdischen Seiten. Beide sind da und doch muss man sagen, viele sind miteinander auch eng befreundet. Das darf man ja nicht so ganz vergessen. Man darf nicht so tun, als ob sich da alle immer nur unversöhnlich gegenüberstehen. Da sind ja nun wirklich viele auch innertürkisch-kurdische Beziehungen gewachsen. Das heißt, man tut hier sicherlich seine Meinung kund, aber es ist nicht so, dass jetzt alle sich gegenüberstehen und nur darauf warten, aufeinander losgehen zu können. Ich denke, das wäre das falsche Bild.
    Dobovisek: Wehret den Anfängen, schickt der Chef der türkischen Gemeinde noch hinterher, hinter seine Warnung vor der Radikalisierung hier in Deutschland. Wie wichtig ist es, jetzt tatsächlich nicht mehr nur zu beobachten, sondern wirklich aktiv zu werden?
    Özoguz: Er hat natürlich Recht, dass gerade die Gemeinden, von denen man ja jetzt erwartet, dass sie sozusagen auf alles einwirken, das auch nicht alle nur immer alleine und ehrenamtlich schaffen können, zumal ja die meisten Menschen wie überall sonst auch nicht nur in Vereine gehen. Auch Türkischstämmige sind nicht nur in irgendwelchen Kulturvereinen zugange, sondern man muss da genauer hingucken, wer stachelt zu Gewalt auf. Es muss völlig egal sein, welcher Herkunft, aus welchen Gründen. Es ist klar, dass wir ein ganz klares Zeichen setzen, bei uns wird das niemals akzeptiert werden, dass auf Menschen losgegangen wird, dass Hass gestreut wird gegen einzelne Menschen oder ganze Gruppen. Das ist bei uns nicht akzeptabel. Aber politisch darf man immer seine Stimme erheben. Man darf immer sagen, was man falsch oder richtig findet.
    Dobovisek: Wie laut darf die Stimme Angela Merkels sein, wenn sie am Sonntag nach Ankara in die Türkei fliegt?
    Özoguz: Sie hat ja im Moment sehr regelmäßig Gespräche mit sehr vielen Politikern, die vielleicht nicht ganz so Demokratie verstehen, wie wir das hier in Deutschland tun, und doch muss sie natürlich diese schwierigen Gespräche immer wieder führen, zumal die Türkei gerade in der Flüchtlingsfrage ja eine auch sehr wichtige Rolle spielt. Da sind nun so viele Flüchtlinge angekommen mittlerweile und wir wollen ja verhindern, dass alle nun ständig weiterwandern müssen. Aber dafür muss natürlich die Türkei auch eine ganze Menge tun. Ich denke, sie hat da einige schwierige Gespräche vor sich.
    Eine komplette Kontrolle an unseren Grenzen kann sich niemand vorstellen
    Dobovisek: Blicken wir zurück nach Deutschland. Seit gestern ist klar, die Union wird sich für Transitzonen an den Landesgrenzen einsetzen, um Flüchtlinge mit geringen Chancen auf Asyl zum Beispiel vom Balkan erst gar nicht einreisen zu lassen. Die CSU ist damit vorerst besänftigt, die CDU knirscht noch ein bisschen mit den Zähnen und die SPD geht auf die Barrikaden. Kommt die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung also wieder nicht weiter?
    Özoguz: Oh doch! Ich glaube, dass wir sehr, sehr vieles hier auf den Weg gebracht haben, um die Kommunen zu entlasten, Richtlinien, die einfach zeigen, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit ja auch gelernt haben, schon mal grundsätzlich nicht zu sagen, dass Flüchtlinge, die bei uns bleiben, nichts tun sollen, irgendwo herumsitzen sollen, einfach darauf warten sollen, bis eines Tages das Leben besser wird. Da, glaube ich, haben wir wirklich vieles Richtige und Gute auf den Weg gebracht, mit der Wirtschaft, mit den Gemeinden, mit den vielen, vielen tausenden Ehrenamtlichen. Aber die Transitzonen, die Sie ansprechen, da liegt ja bis heute eigentlich noch kein konkreter Vorschlag auf dem Tisch. Ich bin da sehr skeptisch. Ich gehöre zu denen, die sagen, eine Art Haftanstalt für ganze Familien, die da irgendwie festgehalten werden, das könnte ich auch nicht mittragen. Da muss wahrscheinlich noch sehr viel intensiver darüber gesprochen werden, was eigentlich ganz genau darunter zu verstehen ist.
    Dobovisek: Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich das Einrichten von solchen Transitzonen denn vorstellen?
    Özoguz: Da die Idee nicht von mir stammt, habe ich jetzt auch nicht wirklich überlegt, wie man es denn unbedingt machen kann.
    Dobovisek: Na ja. Sie sind ja schon Teil der Bundesregierung.
    Özoguz: Ja, aber es ist ja ein Teil der Bundesregierung, der das jetzt vorschlägt. Und ich sage mal, die Idee, dass man vielleicht Leute bei den Grenzkontrollen, wie das ja jetzt auch ist, fragt, was sie denn in Deutschland nun wollen, das kann man machen. Das wird aber natürlich Flüchtlinge nicht davon abhalten, die wirklich vor Krieg und Terror fliehen, auch zu uns zu kommen. Die Idee dahinter ist ja, dass man sehr genau schauen will, wer kommt denn wirklich aus Ländern, in denen Krieg herrscht, und wer kommt aus wirtschaftlicher Not. Nur wir müssen auch ein bisschen realistisch sein. Sobald das Menschen merken, was da eigentlich passiert, dass sie dort festgehalten werden, werden sie vermutlich nicht mehr direkt da reinrennen, sondern werden sich andere Wege suchen. Und eine komplette Kontrolle an unseren 3000 Kilometer Grenzen, das kann sich ja in Wahrheit auch niemand vorstellen, zumal nicht, dass wir da irgendwie Soldaten postieren. Deswegen sage ich: Wenn das eine sinnvolle Einrichtung werden soll, dann muss da irgendein konkreter Vorschlag erst einmal auf den Tisch kommen.
    Dobovisek: Aber brauchen wir nach den Willkommensbildern der vergangenen Wochen jetzt, nennen wir es mal, abschreckende Signale aus Deutschland?
    Özoguz: Der Punkt ist ja wohl, dass einige durchaus das Gefühl haben, dass die Bevölkerung möglicherweise ein Stück überfordert werden kann. Es zeigt sich die Bevölkerung gerade von einer ganz anderen Seite. Das muss ich auch mal deutlich sagen. Es gibt natürlich Stimmen, die immer wieder sagen, sie finden alles schrecklich, aber die sind ja, ich sage mal, diejenigen, die eigentlich am wenigsten überrannt sind.
    Dobovisek: 9000 Teilnehmer gestern wieder bei Pegida in Dresden.
    Özoguz: Ja eben! Aber sehen Sie irgendwelche Massen in Sachsen einwandern? Das ist ja manchmal auch so ein bisschen unabhängig voneinander, wer eine Stimmung oder eine Angst und Verunsicherung nutzt. Ich glaube, wir müssen hier deutlich machen, wir werden Menschen helfen, die vor Krieg fliehen. Das ist uns als Land und auch als humanitäre Verpflichtung ganz, ganz wichtig. Aber wir wollen auch ein Stück Ordnung schaffen. Deswegen verschließen wir uns ja auch nicht sofort jeden Vorschlägen, sondern prüfen das sehr genau und sagen auch, ja, jeder möchte genau wissen, wie bei uns eigentlich die Leute registriert werden, wie wir den Überblick haben. Und der große Wunsch, dass vielleicht irgendwann für diese Menschen einfach mehr Frieden eintrifft, den tragen wir wahrscheinlich alle mit uns, aber damit können wir nun wirklich nicht rechnen.
    Dobovisek: Um es mit der Kanzlerin ganz kurz zu fragen, Frau Özoguz: Schaffen wir das?
    Özoguz: Wir haben es bisher sehr, sehr gut geschafft, und zwar haben wir es geschafft, weil Politik dazugelernt hat, aber natürlich zu ganz großen Teilen, weil unsere Bevölkerung sich offen, hilfsbereit und wahnsinnig gut aufgestellt gezeigt hat. Ich wünsche mir wirklich, dass wir das stärker honorieren, dass wir diejenigen unterstützen, die hier eine tolle Arbeit machen, meist ja auch ehrenamtlich, und dass wir auch ein Stück weit sehen, dass wirklich unsere Dinge im Land, unsere Strukturen gut funktionieren. Aber die müssen wir verbessern, und das tun wir ja: Mehr Polizisten, mehr Lehrer, mehr Erzieher. Das ist etwas, was uns allen gut tut. Und wenn ein bisschen unser Durchschnittsalter gesenkt wird, dann können wir uns darüber nur freuen, weil das unsere Zukunft sichert.
    Dobovisek: Die SPD-Politikerin Aydan Özoguz. Sie ist die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Vielen Dank für das Gespräch.
    Özoguz: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.