Sandra Pfister: Die technische Universität München bekommt 20 Professuren geschenkt - von dem Discounter namens Lidl. Natürlich nicht von Lidl direkt, sondern von der Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz, und man sagt in dem Zusammenhang auch nicht schenken, sondern stiften. Aber so wie viele Weihnachtsgeschenke ja auch nicht ganz uneigennützig sind, sondern auch dem, der schenkt, auch nützen, so könnte das auch in dem Fall sein. Darüber reden wir jetzt mit Arne Semsrott von Transparency International. Guten Tag, Herr Semsrott!
Arne Semsrott: Guten Tag!
Hoffnung auf nützliche Forschungsergebnisse
Pfister: Herr Semsrott, die TU München bekommt ohnehin sehr viel Geld von der Wirtschaft, aber 20 Lehrstühle auf einmal, auf Lebenszeit, das ist selbst bei der TU München eine recht ungewöhnliche Dimension. Bislang hat sie insgesamt 34 BWL-Lehrstühle, jetzt werden es 54 sein. Was hat Dieter Schwarz, was hat die Lidl-Stiftung davon, so massiv Lehrstühle in BWL zu stiften?
Semsrott: Das ist sicherlich nicht ein rein philanthropisches Engagement von Lidl und der dazugehörigen Stiftung, da sind natürlich Interessen dahinter, und das sind Unternehmensinteressen, denn die zu Lidl gehörende Stiftung, die finanziert vor allem Stiftungslehrstühle im wirtschaftlichen Bereich, im BWL-Bereich, vermutlich dann auch in der Hoffnung, dass dann am Schluss dabei in Forschung und Lehre Ergebnisse rauskommen, die Lidl selbst dann auch weiter nutzen kann.
Pfister: Haben Sie Sorge, dass Lidl als Geldgeber oder die Stiftung, dass die sich konkret einmischen werden?
Semsrott: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir wissen es nicht genau, weil die Einzelheiten dieses Deals nicht veröffentlicht sind und, wir befürchten, auch gar nicht veröffentlicht werden in der Zukunft, aber es muss sichergestellt werden, dass zum Beispiel keinen Einfluss darauf nehmen kann, wer an diesen Stiftungsprofessuren beteiligt ist und letztlich dann auch wirklich nur das Geld gibt und dann keinen Einfluss auf Forschung und Lehre ausüben kann.
Die Frage nach der Lehrstuhlbesetzung
Pfister: Also dass dann wirklich die TU die Lehrstühle selbst besetzt.
Semsrott: Genau. Das bedeutet dann, dass nicht, wie in anderen Fällen von Stiftungsprofessuren, der Stifter selbst sagt, diese Personen, die dort dann lehren, sind mir genehm und diese sind es nicht, dass also Lidl sich da wirklich ganz raushält.
Pfister: Noch ungeklärt ist, ob die TU das Geld für die Lehrstühle denn auch behalten kann, wenn Lidl die Forschung nicht gefällt. Ist das normal, dass Stiftungen Geld zurückziehen, wenn ihnen die Forschung nicht schmeckt?
Semsrott: Ja, das ist durchaus möglich in solchen Kooperationsvereinbarungen. Ein wirklich großes Bild über solche Vereinbarungen haben wir aber leider nicht, weil Kooperationsvereinbarungen zwischen Hochschulen und Unternehmen in der Regel nicht veröffentlicht werden. Deswegen fordern wir auch, dass die Vereinbarungen, zum Beispiel in diesem Fall zwischen TU München und Lidl, veröffentlicht werden, damit sich alle ein Bild davon unabhängig machen können, ob da möglicherweise Einfluss ausgeübt wird oder eben nicht.
Forschung und Lehre müssen "transparent agieren"
Pfister: Vielleicht wird man es auch erst über lange Zeit erfahren, nicht nur auf Grundlage dessen, was da rechtlich vereinbart ist, sondern an der Praxis, und in die haben ja noch weniger Menschen Einblick, oder?
Semsrott: Das stimmt. Letztlich ist natürlich das Prinzip der Wissenschaft, dass es intersubjektiv überprüfbar sein soll, das heißt, auch Forschung und Lehre so transparent agieren, dass man sieht, welche Interessen eventuell dahinterstehen oder eben nicht, und das muss auch in diesem Fall sichergestellt sein.
Pfister: Dieter Schwarz, der Lidl-Gründer, der hat in Heilbronn, wo die Lidl-Zentrale ja auch steht, da hat er bereits einen eigenen Bildungscampus hochgezogen mit drei Hochschulen. Vielleicht möchte er sich ja wirklich einfach nur ein ehrliches Denkmal setzen als Bildungsförderer?
Semsrott: Wenn das so ist, dann soll er auch sehr transparent damit agieren. Es ist bis jetzt zum Beispiel noch überhaupt gar nicht klar, wie viel Geld genau fließt an die TU München, und es sollte schon selbstverständlich sein, dass, wenn öffentliche Einrichtungen finanziert werden, die dann auch transparent damit umgehen, und da sollte dann diese Stiftung sehr transparent vorangehen und sagen, wir haben nichts zu verbergen, wir machen alle Kooperationsvereinbarungen öffentlich, wir sagen, wie viel Geld wir genau geben, und wir sagen, dass wir keinen Einfluss üben auf Forschung und Lehre.
"Mögliches Einfallstor für Interessen von Dritten"
Pfister: Es ist schwer, für eine öffentlich finanzierte Universität so ein Geschenk abzulehnen. Da muss man schon sehr triftige Gründe haben. Wie oft kommt das denn vor?
Semsrott: Das ist gang und gäbe inzwischen. Es gibt viele Hundert Stiftungsprofessuren in Deutschland, und gerade die technischen Universitäten, also auch die TU München, sind inzwischen sehr gut darin, Geld von Experten einzuwerben. Das gehört inzwischen zum Tagesgeschäft dazu und zum Wettbewerb unter den Hochschulen, aber das ist natürlich dann auch ein mögliches Einfallstor für Interessen von Dritten, und deswegen müssen Hochschulen klipp und klar machen, ja, das Geld, das nehmen sie an, aber jeglichen Einfluss darüber hinaus, der muss auch klar abgelehnt werden.
Pfister: Mal aus studentischer Perspektive, Herr Semsrott, wir haben schon oft drüber berichtet, und Transparency International warnt ja auch immer wieder, dass die Wirtschaft insgesamt beträchtlichen Einfluss auf die Bildung nimmt. Klassisches Einfallstor sind die Schulen, da schreiben die Konzerne gerne selbst Unterrichtsmaterialien, die Lehrer sind dankbar. Da kann man sagen, ja, Schüler sind jünger, die durchschauen diese Einflussnahme oft noch nicht, aber Studierende, von denen kann man erwarten, wenn die auf so einem Lidl-Lehrstuhl sitzen, das können die durchschauen.
Semsrott: Ich würde sagen, auch aus eigener Erfahrung als Student ist es, glaube ich, ein ein bisschen optimistisches Bild, aber man kann ja sagen, okay, wir lassen es zu, dass Unternehmen Hörsäle finanzieren, Stiftungslehrstühle finanzieren, aber dann muss halt auch wirklich sehr transparent damit umgehen, wo genau das Geld herkommt, und die Vermutung in diesem Fall wäre ja zum Beispiel, dass es dann keine kritische Forschung zum Beispiel über Arbeitsmarktbedingungen, über Arbeitsbedingungen bei Lidl selbst gibt, das wäre doch vielleicht mal ein interessantes Projekt, das jetzt im Rahmen dieser Stiftungslehrstühle vorangetrieben werden könnte.
Pfister: Arne Semsrott von Transparency International, der half uns bei der Einschätzung eines Deals der TU München mit der Dieter-Schwarz-Stiftung, hinter der der Lidl-Gründer steckt. Dadurch wird die TU München 20 neue Stiftungsprofessuren für das Fach BWL erhalten. Ich danke Ihnen, Herr Semsrott!
Semsrott: Danke schön!
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