Im Augenblick hat Jelena Gratschova die Telefonbereitschaft in Zimmer 307 der "Novaja Gazeta", der Zeitung, für die Anna Politkovskaja gearbeitet hat, jene Journalistin, die vor genau einem Jahr von bisher immer noch unbekannten Mördern im Treppenaufgang ihres Wohnhauses erschossen worden ist. Ihre Redaktionskollegen haben jetzt Anna Politkovskajas alte Handynummer wieder freischalten lassen und die Leser gebeten, dort anzurufen, wenn sie sich zum Fall Politkovskaja äußern möchten. Viele hätten sich gemeldet: Weit über einhundert Anrufe täglich und auch nachts auf die Mailbox.
Viele Menschen aus dem Nordkaukasus - Politkovskajas Spezialthema - hätten angerufen, bestätigt die 24jährige Jelena Gratschova, die an Politkovskajas Schreibtisch sitzt, die Gespräche entgegennimmt und für die nächste Ausgabe sammelt und vorsortiert. Dort sollen Auszüge abgedruckt werden. - Anrufe wie die von Abdullah aus der tschetschenischen Hauptstadt Grozny seien sehr häufig:
"Wir möchten gerne die Angehörigen in ihrer Trauer trösten", sagt Abdullah, "wir wissen hier in Tschetschenien, was es heißt die nächsten Menschen auf so brutale Weise zu verlieren. Wir wünschen ihnen einen standhaften Geist. Und sie sollen wissen, dass viele, viele tausend Menschen ihren Kummer teilen und diesen Verlust als persönlichen Verlust empfinden. Vielleicht hilft es ihnen ein bisschen, wenn sie wissen, dass ihr Schmerz von sehr vielen Menschen geteilt wird. An Anna werden wir uns sehr, sehr lange erinnern. Das ist die Wahrheit und kein Pathos!"
Auch Anrufe wie von dieser älteren Frau hätten sie in den vergangenen Tagen sehr oft bekommen, bestätigt die junge Journalistin der Novaja Gazeta. Menschen, die ganz einfach ihre Trauer bekunden wollten, dann aber aufgewühlt nicht mehr hätten weiterreden können. - Dennoch: Auch dies ist Teil der Wahrheit. Die breite Öffentlichkeit in Russland - sie bleibt stumm. Sergej Sokolov, einer der "Novaja Gazeta"-Chefredakteure, kommentiert das nüchtern aber mit bitterem Unterton:
"Das ist ein großes Elend. Das hat aber nicht nur etwas mit der Tragödie um Anna zu tun. Auch damals, bei dem blutigen Sturm auf die Schule im nordossetischen Beslan, hatte ich schnell den Eindruck, dass die Menschen im Westen, in Deutschland, Italien oder Schweden mehr Mitgefühl zeigten als unsere eigenen Landsleute. Und das ist bezogen auf uns: einfach widerwärtig und niederträchtig. Und dies zeigt wohl auch, warum man bei uns so viele andere Dinge hinzunehmen bereit ist."
Aber, so Sokolov weiter, für ihn hat diese erschreckende Teilnahmslosigkeit großer Bevölkerungskreise auch noch andere Gründe:
"Achtzig Prozent sind damit beschäftigt, ihr Überleben zu organisieren, sich um das schmale täglich Brot zu kümmern. Eine Gesellschaftsschicht, die sich Gedanken über das ewig Gute, Wahre und Schöne macht, die gibt's hier nicht. Vereinfacht gesagt: Überleben oder stehlen - so ist die Situation. Bis auch bei uns Leute auftauchen werden, die nicht nur an Geld denken, wird noch viel Zeit vergehen."
Die Redaktion habe eigene Recherchen im Mordfall ihrer Kollegin angestellt und verfolge vielversprechende Spuren. - Ausdrücklich bescheinigt er übrigens den "Handwerkern", den Profis unter den Ermittlern unter Polizei und Staatsanwaltschaft sachgemäße Arbeit. Sehr viel deute darauf inzwischen hin, dass die Auftraggeber für den Mordanschlag in Russland zu suchen seien. Für ihn sitzen die Nebelwerfer, Vertuscher und Verhinderer im Mordfall Politkovskaja im russischen Innenministerium, vor allem aber beim Inlandsgeheimdienst FSB. - Aber: Da es bis zu den Parlamentswahlen keine acht Wochen mehr dauert, will er heute nur eines:
"Ich hoffe, dass bis zu den Wahlen noch kein Prozess eröffnet wird. Noch viel, viel Arbeit muss gemacht werden. Eigentlich stehen die Ermittler immer noch so gut wie am Anfang. Zehn Monate lang musste zunächst viel ausgeschlossen, vorsätzlich falsche Spuren ausgesondert werden. Die eigentliche Spurensuche hat jetzt erst begonnen."
Durch die angelehnte Tür dringen Gesprächsfetzen aus Zimmer 307, dem einstigen Büro von Anna Politkovskaja.
Wieder hat Jelena Gratschova einen Anrufer aus Tschetschenien am Hörer. Viel hat er nicht zu sagen, nur das hier möchte er loswerden:
"Sie wird im Gedächtnis der Menschen bleiben. Und viele sind ihr sehr dankbar!"
Viele Menschen aus dem Nordkaukasus - Politkovskajas Spezialthema - hätten angerufen, bestätigt die 24jährige Jelena Gratschova, die an Politkovskajas Schreibtisch sitzt, die Gespräche entgegennimmt und für die nächste Ausgabe sammelt und vorsortiert. Dort sollen Auszüge abgedruckt werden. - Anrufe wie die von Abdullah aus der tschetschenischen Hauptstadt Grozny seien sehr häufig:
"Wir möchten gerne die Angehörigen in ihrer Trauer trösten", sagt Abdullah, "wir wissen hier in Tschetschenien, was es heißt die nächsten Menschen auf so brutale Weise zu verlieren. Wir wünschen ihnen einen standhaften Geist. Und sie sollen wissen, dass viele, viele tausend Menschen ihren Kummer teilen und diesen Verlust als persönlichen Verlust empfinden. Vielleicht hilft es ihnen ein bisschen, wenn sie wissen, dass ihr Schmerz von sehr vielen Menschen geteilt wird. An Anna werden wir uns sehr, sehr lange erinnern. Das ist die Wahrheit und kein Pathos!"
Auch Anrufe wie von dieser älteren Frau hätten sie in den vergangenen Tagen sehr oft bekommen, bestätigt die junge Journalistin der Novaja Gazeta. Menschen, die ganz einfach ihre Trauer bekunden wollten, dann aber aufgewühlt nicht mehr hätten weiterreden können. - Dennoch: Auch dies ist Teil der Wahrheit. Die breite Öffentlichkeit in Russland - sie bleibt stumm. Sergej Sokolov, einer der "Novaja Gazeta"-Chefredakteure, kommentiert das nüchtern aber mit bitterem Unterton:
"Das ist ein großes Elend. Das hat aber nicht nur etwas mit der Tragödie um Anna zu tun. Auch damals, bei dem blutigen Sturm auf die Schule im nordossetischen Beslan, hatte ich schnell den Eindruck, dass die Menschen im Westen, in Deutschland, Italien oder Schweden mehr Mitgefühl zeigten als unsere eigenen Landsleute. Und das ist bezogen auf uns: einfach widerwärtig und niederträchtig. Und dies zeigt wohl auch, warum man bei uns so viele andere Dinge hinzunehmen bereit ist."
Aber, so Sokolov weiter, für ihn hat diese erschreckende Teilnahmslosigkeit großer Bevölkerungskreise auch noch andere Gründe:
"Achtzig Prozent sind damit beschäftigt, ihr Überleben zu organisieren, sich um das schmale täglich Brot zu kümmern. Eine Gesellschaftsschicht, die sich Gedanken über das ewig Gute, Wahre und Schöne macht, die gibt's hier nicht. Vereinfacht gesagt: Überleben oder stehlen - so ist die Situation. Bis auch bei uns Leute auftauchen werden, die nicht nur an Geld denken, wird noch viel Zeit vergehen."
Die Redaktion habe eigene Recherchen im Mordfall ihrer Kollegin angestellt und verfolge vielversprechende Spuren. - Ausdrücklich bescheinigt er übrigens den "Handwerkern", den Profis unter den Ermittlern unter Polizei und Staatsanwaltschaft sachgemäße Arbeit. Sehr viel deute darauf inzwischen hin, dass die Auftraggeber für den Mordanschlag in Russland zu suchen seien. Für ihn sitzen die Nebelwerfer, Vertuscher und Verhinderer im Mordfall Politkovskaja im russischen Innenministerium, vor allem aber beim Inlandsgeheimdienst FSB. - Aber: Da es bis zu den Parlamentswahlen keine acht Wochen mehr dauert, will er heute nur eines:
"Ich hoffe, dass bis zu den Wahlen noch kein Prozess eröffnet wird. Noch viel, viel Arbeit muss gemacht werden. Eigentlich stehen die Ermittler immer noch so gut wie am Anfang. Zehn Monate lang musste zunächst viel ausgeschlossen, vorsätzlich falsche Spuren ausgesondert werden. Die eigentliche Spurensuche hat jetzt erst begonnen."
Durch die angelehnte Tür dringen Gesprächsfetzen aus Zimmer 307, dem einstigen Büro von Anna Politkovskaja.
Wieder hat Jelena Gratschova einen Anrufer aus Tschetschenien am Hörer. Viel hat er nicht zu sagen, nur das hier möchte er loswerden:
"Sie wird im Gedächtnis der Menschen bleiben. Und viele sind ihr sehr dankbar!"