Im Süden von Israel sind palästinensische Geschosse und Mörsergranaten eingeschlagen. Abgefeuert vom Gaza-Streifen aus. Das sind die Meldungen in der Früh. Die israelische Luftwaffe hatte in der Nacht Ziele in Gaza angegriffen. In den vergangenen Tagen waren das mitunter Gebäude und Sandplätze, die bereits einmal getroffen worden waren, heißt es in Gaza. Die Armee spricht von Vergeltungsschlägen für vorangegangen Beschuss.
Dabei heißt es seit Tagen auch, dass keine Seite ein Interesse an einer Eskalation entlang des Gaza-Streifens hat. Der Journalist Ehud Yaari vom zweiten Programm fordert im Fernsehen die Regierung auf bei dieser Position zu bleiben:
"Man darf eines nicht vergessen: Die Hamas ist im Moment eine, in jeder Hinsicht bankrotte Organisation. Die Hamas befindet sich im freien Fall, verliert Macht, ist nicht in der Lage Gehälter zu bezahlen. Im Gaza-Streifen gärt es. Der angebliche Bund mit Präsident Abbas ist dabei sich aufzulösen. Im Moment sollte man sich überhaupt nicht in Gaza einmischen, in einen Prozess, der aus unserer Sicht positiv ist."
Israelis und Palästinenser im Dauerkonflikt
Wie sich die Situation entlang des Gaza-Streifens entwickelt ist derzeit entscheidend für die aktuelle Krise. Im Grunde stecken Israelis und Palästinenser in einem Dauerkonflikt fest. Für die israelische Regierung scheint die Situation trotzdem all zu oft handhabbar. Die jüngsten Entwicklungen widerlegen diese politische Sicht.
Zu Beginn der Woche entdeckte die israelische Armee bei Hebron, im von Israel besetzten und von Siedlern und Militär zum großen Teil kontrollierten Westjordanland die Leichen von drei entführten Jugendlichen: Gilad Shaar, Naftalie Fraenkel und Eyal Yifrah. Die jungen Israelis waren auf dem Heimweg von ihren Religionsschulen per Anhalter gefahren. Die mutmaßlichen Entführer und Mörder sind zwei Palästinenser, die der Hamas-Organisation angehören. Israels Regierungschef Netanjahu:
"Ein tiefer und breiter moralischer Abgrund trennt uns und unsere Feinde. Sie heiligen den Tod, wir das Leben. Sie heiligen die Grausamkeit, und wir das Mitleid. Das ist das Geheimnis unserer Stärke und das ist auch die Basis unserer Einheit. Im Laufe unserer Geschichte haben wir mehr als einmal bewiesen, dass auch angesichts der schlimmsten Tragödien, die wir erlebt haben, auch angesichts von Abgründen an Trauer und Leid - dass die Kraft des Lebens die in uns pocht stärker ist als die Mord- und Vernichtungs-Absichten unserer Feinde."
Die Mörder der Jugendlichen seien menschliche Tiere, hatte Netanjahu erklärt. Außenminister Liebermann forderte als Reaktion wie gewohnt die Wiederbesetzung des Gaza-Streifens. Dort regierte bis vor Kurzem die Führung der Hamas-Organisation allein.
Doch die Regierung heizte damit die emotionale Stimmung zusätzlich an. Selbst die Forderung der Siedlerbewegung, Vergeltung, zu üben mit dem Bau neuer Häuser auf palästinensischem Gebiet, griffen israelische Minister auf.
Nach der Beisetzung der israelischen Opfer zogen zum ersten Mal Jugendliche durch Jerusalem mit dem Ruf "Tod den Arabern". Die Polizei musste palästinensische Passanten vor Übergriffen schützen. In der Straßenbahn wiesen pöbelnde Fahrgäste die Fahrer an, nicht länger in arabischen Stadtteilen zu halten. Justizministerin Zippi Livin:
"Wir befinden uns in einer explosiven Situation. Ich sehe, was in den (ihr.) Sozialen Netzwerken passiert, ich sehe die Forderungen nach Rache, den Hass, die Hetze zum Mord. Das muss aufhören. Wir führen eine schwere Auseinandersetzung mit der Hamas, das ist die Aufgabe der Armee. Aber kein Bürger darf unser Leben hier vergiften."
Doch der israelischen Politik schien die Situation zu entgleiten: Als Mitte der Woche der 16jährige Mohammed Abu Köder aus dem Viertel Shuafat in Ostjerusalem entführt, ermordet und verbrannt worden war, konnte Ministerpräsident Netanjahu nur noch eine zügige Aufklärung der Straftat fordern.
Palästinensische Jugendliche tragen Wut auf die Straße
Die Polizei verfolgte erst Spuren einer Abrechnung unter palästinensischen Familien. Auch möglichen Motiven innerhalb der Familie Abu Khdeir gingen die Beamten nach. Aber zum Schluss kamen aber auch sie nicht mehr am Verdacht vorbei, dass es sich um einen Racheakt jüdischer Extremisten handelt. Rache für die Ermordung der drei israelischen Jugendlichen.
Jugendliche im Stadtviertel Shuafat trugen die Wut auf die Straße. Gewalt, Zerstörung, Konfrontation mit der israelischen Polizei. Auch der Frust über das Vorgehen der israelischen Armee im Westjordanland bei der Suche nach den entführten Jugendlichen, die Welle der Verhaftung, die Tötung palästinensischer Zivilisten, die nächtlichen Razzien, die Abriegelung von Hebron - all das schien sich auf einmal im von Israel annektierten Ostteil von Jerusalem zu entladen. Hani Almi, Vorsitzender eines Bürgerkomitees im Viertel Shuafat:
"Die Leute fühlen sich durch die ganze Geschichte, das Verhalten der Armee, die Verhaftungen, die Zerstörungen, die Vernichtung der Lebensgrundlage von Familien in den letzten Tagen, das Verhalten der Behörden, der Polizei, des Staates - sie fühlen sich verraten. Vor allem die Bürger von Ost-Jerusalem."
Mittlerweile sieht die Hauptstraße durch Shuafat wie ein Schlachtfeld aus. Krawalle nach dem ersten Freitagsgebet im Ramadan und der Beisetzung des palästinensischen Jungen sorgen in Jerusalem bis jetzt für Spannungen, in der Nacht waren Konfrontationen aus palästinensischen Orten im Norden von Israel gemeldet worden,.
Und doch ist für die weitere Entwicklung der Krise derzeit entscheidend, was entlang des Gaza-Streifens passiert. Dort kämpft ein weiterer Akteur im Nahost-Konflikt gegen den Verlust der Kontrolle: Gemeint ist die Hamas-Organisation. Sie ist geschwächt, pleite und sieht sich von kleineren Gruppen herausgefordert. Selbst wenn sich die Hamas an die Waffenruhe halten will. Der Fraktionschef der Hamas Salah Al Bardawil
Die Hamas hält sich strikt an die Feuerpause, die in Kairo unterschrieben worden ist. Bis jetzt möchte Hamas das Abkommen nicht verletzten. Es wäre notwendig, dass sich die Ägypter einschalten und Druck machen auf Israel. Dass auch Israel die Feuerpause einhält.
Der interne Machtkampf in dem von Israel und Ägypten weitgehend abgeriegelten Gebiet wird aber zum Teil über Angriffe auf Ziele in Israel ausgetragen. Eine gefährliche Situation. Und deshalb ist die gegenwärtige Entwicklung in Gaza für Israel nicht zwangsläufig positiv, wie es der Journalist Ehud Yaari noch erklärt. Entscheidend sind Zurückhaltung und Besonnenheit, entscheidend ist überhaupt wieder eine Politik nach einer Woche der Emotionen.