Das Arbeiterviertel Vallecas im Madrider Süden kurz nach den Anschlägen vom 11. März 2004. Ein Mann im dunklen Anorak schließt sein Auto auf und macht sich auf den Weg zur Arbeit.
"Seit dem, was da passiert ist, fahre ich nicht mehr mit der S-Bahn. Mich hat es nur deshalb nicht erwischt, weil ich den Zug verpasst hatte. Seither fahre ich mit dem Auto. Ich erinnere mich ständig daran. So etwas vergisst man nicht."
"Seit dem, was da passiert ist, fahre ich nicht mehr mit der S-Bahn. Mich hat es nur deshalb nicht erwischt, weil ich den Zug verpasst hatte. Seither fahre ich mit dem Auto. Ich erinnere mich ständig daran. So etwas vergisst man nicht."
Heute, elf Jahre später, hat die Stadt zum Alltag zurückgefunden. Eine Pendlerin auf dem Weg zur U-Bahn erinnert sich, wie sie die Erlebnisse damals bewältigt hat:
"Ich kaufte damals mit meinem Partner Rosen. Wir legten sie an jedem Ort der Anschläge ab. Das ist ein Schmerz, der nie ganz verschwindet. Die Trauer ist sehr wichtig. Manche besuchten die Orte der Anschläge, brachten dort Blumen hin oder Zettel mit Nachrichten. Andere haben mit Freunden gesprochen oder einfach nur geweint."
Diese Bilder von Menschen, die Blumen oder Zettel mit Trauerbotschaften an Anschlagsorten ablegen, haben sich später wiederholt, in London, Norwegen und jetzt wieder in Paris. Diese kollektive Trauerarbeit sei dringend notwendig, damit jeder Einzelne nach solchen Anschlägen ins Leben zurückfinden könne, sagt die Psychiaterin Laura Ferrando.
"Dieser Trauerarbeit darf nicht ausgewichen werden. Das ist auch für Kinder sehr wichtig. Auch Kinder müssen wissen, was passiert ist. Man darf ihnen die Dinge nicht verbergen. Sonst macht man ihnen die Trauer unmöglich. Jetzt in Frankreich aber auch damals in Madrid konnten wir sehen, wie auch Kinder Blumen an die Anschlagsorte brachten. Das hilft ihnen zu verarbeiten, was sie eigentlich nicht verstehen können."
Laura Ferrando hatte bei einem Forschungsprojekt über die psychologischen Folgen der Anschläge vom 11. September 2001 in New York mitgearbeitet. Drei Jahre später koordinierte sie dann in Madrid die bislang umfangreichste repräsentative Studie dieser Art nach einem Anschlag.
Ein Gefühl von Unsicherheit und Angst
Zwei Jahre lang hat sie 500 Menschen begleitet, die die Explosionen in den S-Bahnen nicht direkt miterlebt haben, also weder in den Zügen saßen noch Angehörige von Opfern waren. Trotzdem hatten die Anschläge bei 12 Prozent dieser Untersuchten das sogenannte posttraumatische Stresssyndrom ausgelöst. Dessen Symptome sind eindeutig:
"Sich ständig im Alarmzustand befinden, bestimmte Situationen unbedingt vermeiden müssen, den Eindruck zu haben, dass sich etwas in Dir für immer verändert hat und dazu immer wieder grausame Bilder sehen, die man eigentlich vergessen will. Wer solche Symptome hat, sollte sich unbedingt in Behandlung geben. Sie zeigen nämlich, dass ein Erlebnis wie ein Blitzschlag auf das Gehirn gewirkt hat. Das ist wie eine Verletzung."
Weitreichende Folgen auch für Unbeteiligte
Ferrando konnte damit nachweisen, dass Ereignisse wie ein Anschlag auch bei offenbar Unbeteiligten psychische Krankheiten auslösen können. Es ist also keine Redensart, wenn danach behauptet wird, irgendwie sei eine ganze Stadt oder ein ganzes Land betroffen.
"Dafür reicht einfach der Eindruck, den eine solche Tat auf uns macht. Und, dass das etwas ist, womit wir nicht rechnen. Niemand nimmt doch an: 'Heute gibt es einen Anschlag'. Diese Unvorhersehbarkeit bewirkt ein Gefühl extremer Unsicherheit und Angst. Das führt zu Traumata. Wir haben auch gesehen, dass Menschen, die psychisch bereits vorgeschädigt sind, nach einem Anschlag auch anfälliger für das posttraumatische Stresssyndrom sind. Dann reicht schon viel Stress am Arbeitsplatz oder der Verlust eines Angehörigen im vergangenen Jahr. Solche Menschen sind anfälliger als andere."
"Dafür reicht einfach der Eindruck, den eine solche Tat auf uns macht. Und, dass das etwas ist, womit wir nicht rechnen. Niemand nimmt doch an: 'Heute gibt es einen Anschlag'. Diese Unvorhersehbarkeit bewirkt ein Gefühl extremer Unsicherheit und Angst. Das führt zu Traumata. Wir haben auch gesehen, dass Menschen, die psychisch bereits vorgeschädigt sind, nach einem Anschlag auch anfälliger für das posttraumatische Stresssyndrom sind. Dann reicht schon viel Stress am Arbeitsplatz oder der Verlust eines Angehörigen im vergangenen Jahr. Solche Menschen sind anfälliger als andere."
Informationen helfen bei der Verarbeitung
Nach den Anschlägen von Madrid stand die damalige Aznar-Regierung wegen ihrer Informationspolitik stark in der Kritik. Und noch heute behaupten manche Kommunikationsexperten, zu viel Information könne die Bevölkerung verunsichern. Psychiaterin Ferrando hält hingegen genau das Gegenteil für erwiesen:
"Nichts ist schlimmer als nicht zu wissen, was eigentlich los ist. Die Wahrheit kann grausam sein. Aber wenn man sie kennt, kann man sich darauf einstellen. Das geht nicht, wenn man nicht weiß, was eigentlich passiert ist."
Auch wenn die Behörden in Madrid zunächst nicht lückenlos informiert haben: Nach zwölf Jahren waren bei der untersuchten Personengruppe keine Symptome mehr zu beobachten. Laura Ferrando hat dafür eine einfache Erklärung: Genauso lange dauert erfahrungsgemäß die individuelle Trauer, wenn ein nahestehender Angehöriger gestorben ist.