Bei dem Europäischen Trauerakt in Straßburg sprach inzwischen auch Bundeskanzlerin Merkel. Sie sagte, auf Helmut Kohl sei Verlass gewesen. Dass es die EU in ihrer heutigen Form gebe, bleibe ganz wesentlich mit seinem Namen verbunden. Er habe das Europa und das Deutschland, in dem wir heute lebten, mitgeschaffen. Als junger Mann habe er Geschichte studiert, und heute nun habe er selbst einen Platz in den Geschichtsbüchern eingenommen. Mit seiner Bundeskanzlerschaft seien viele Jahre wirtschaftlicher Prosperität verbunden gewesen.
Die Kanzlerin sagte aber auch, an Kohl hätten sich viele Geister geschieden, und viele hätten sich an Kohl abgearbeitet - auch sie selbst, betonte Merkel. Dennoch sei heute der Moment, wo all das zurückstehe und wo auch Kontrahenten Helmut Kohl Respekt zollen sollten.
Eröffnet hatte den Staatsakt E-Parlamentspräsident Antonio Tajani. Der Italiener würdigte Kohl als "einen politischen Giganten". Kohl sei "ein mutiger Mensch" gewesen. Stets und überall habe er die Würde des Menschen verteidigt, gegen Mauern, gegen eiserne Vorhänge und gegen totalitäre Regime. "Heute mehr denn je müssen wir von Helmut Kohl lernen", sagte Tajani. "Wir müssen aufhören, uns Angst zu machen und Mut zur Veränderung haben." Helmut Kohl verdiene einen Ehrenplatz im europäischen Pantheon.
Tajani erinnerte auch an die gestern verstorbene Simone Veil, die als erste Frau Präsidentin des Europaparlaments war.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, er nehme Abschied von einem treuen Freund. Der frühere Regierungschef von Luxemburg einnerte an den einzigen Moment, als er Helmut Kohl während einer Sitzung weinen sah - nachdem die Erweiterung der EU beschlossen worden war.
"Kohl hat schon zu Lebzeiten Geschichte gemacht"
Juncker nannte Kohl einen "Nachkriegsgiganten" und ein "kontinentales Monument". Er betonte, Kohl habe schon zu Lebzeiten Geschichte gemacht. Es sei sein Wunsch gewesen in Straßburg Abschied zu nehmen. Kohl sei ein deutscher und ein europäischer Patriot gewesen. Ohne Helmut Kohl gäbe es auch den Euro nicht, sagte Juncker. Für Kohl sei der Euro stets europäische Friedenspolitik mit anderen Mitteln gewesen. "Wir wissen, dass er Europa besser gemacht hat", so Juncker. Der EU-Kommissionspräsident beendete seine persönliche Rede mit den Worten:
"Versprich mir, dass Du im Himmel nicht sofort einen neuen CDU-Ortsverein gründest. Du hast genug getan, für uns, für Europa."
EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte anschließend, nur wenige hätten die Vereinigungsidee so gut verstanden wie Helmut Kohl. "Seine Vision ging weit über die deutschen Grenzen und die deutschen Interessen hinaus." Dank ihm hätten Worte wie Vertrauen und Vereinigung wieder ihre Bedeutung in den deutsch-französischen und den deutsch-polnischen Beziehungen.
Der frühere US-Präsident Bill Clinton sagte über Kohl: "Er wollte eine Welt schaffen, in der niemand niemanden dominiert." Clinton endete mit den Worten: "Du hast es gut gemacht in deinem Leben, und alle, die wir dabei sein durften, lieben dich dafür."
Spaniens früherer Ministerpräsident Felipe González, ein enger Freund Helmut Kohls, sagte, "er hatte ein Gespür für Freundschaft, und Freundschaft bedeutete für ihn auch Vertrauen. Er sprach von einem europäischen Deutschland und wollte nie wieder ein deutsches Europa erleben."
Ähnlich äußerte sich der russische Ministerpräsident Dimitri Medwedew, der als Privatperson sprach. Er sagte, für Kohl sei Russland Bestandteil eines vereinten Europas gewesen: "Für ihn war das ein Teil eines gemeinsamen Hauses, ohne Stacheldraht. Es war ein Traum von Frieden und Sicherheit für alle."
Macron zitiert Kohl auf Deutsch
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erinnerte an Kohl mit einer Formulierung des Alt-Kanzlers, die diesen perfekt beschreibe. Auf Deutsch sagte Macron: "Wir haben heute überhaupt keinen Anlass zu Resignation. Wir haben vielmehr Grund zu realistischem Optimismus."
Der französische Präsident hatte am Morgen bereits mit einem Facebook-Eintrag an Kohl erinnert: "Helmut Kohl ist für alle Franzosen der Repräsentant eines Deutschlands, das versucht, aus Ruinen ein Ideal zu schaffen und damit die Verletzungen und Gräuel wiedergutzumachen", schrieb Macron. "Auf dass sie weder verschwiegen noch vergessen werden."
Kohl habe gewusst, so der französische Präsident, dass Realpolitik sich nur auszahle, wenn sie "höhere Ideen" anstrebe: "Eintracht, Freiheit, Solidarität". Macron erinnerte daran, wie sich Kohl und der damalige französische Staatschef François Mitterrand 1984 an den Weltkriegsgräbern von Verdun die Hände reichten.
Erster europäischer Staatsakt
Helmut Kohl ist der erste Politiker, den die EU mit einem europäischen Staatsakt ehrt. Damit sollen die Verdienste des langjährigen Bundeskanzlers (1982 bis 1998) um den Aufbau Europas gewürdigt werden. Der am 16. Juni verstorbene Altkanzler ist einer von nur drei Ehrenbürgern Europas. Kohls Witwe Maike Kohl-Richter wollte keinen Staatsakt in Deutschland. Als letzte Rednerin beim Staatsakt im EU-Parlament ist Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt.
Der Deutschlandfunk überträgt die Feier live und auch dieser Beitrag wird laufend aktualisiert.
Der mit einer Europaflagge bedeckte Sarg des ehemaligen Bundeskanzlers war zunächst im Protokollsaal des EU-Parlaments aufgebahrt. Dort konnten EU-Vertreter und Spitzenpolitiker Abschied nehmen und sich in ein Kondolenzbuch eintragen.
Der SPD-Kanzlerkandidat und frühere Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, sagte im ZDF, Kohls eigentliches Vermächtnis sei, "dass die, die Europa auseinander treiben wollen, in Schach gehalten werden müssen". Europa sollte sich auf seine Stärke besinnen: "Die europäische Stärke ist, dass Einigkeit uns stark macht." Offenbar war auch dafür am Rande der Trauerfeier Zeit.
Der Trauerakt im Europaparlament soll etwa zwei Stunden dauern. Danach fliegt ein Hubschrauber der Bundespolizei den Sarg nach Ludwigshafen-Ruchheim. Von dort aus fährt ein Konvoi durch Kohls Heimatstadt. Gegen 15 Uhr wird er am zentralen Ludwigsplatz erwartet. Anschließend wird Kohls Sarg an Bord des Schiffs "MS Mainz" verladen und auf dem Rhein nach Speyer gebracht.
Kohl wollte in Speyer begraben werden
Das Pontifikalrequiem im Dom zu Speyer beginnt um 18 Uhr. Bischof Karl-Heinz Wiesemann soll die Trauermesse halten. Die Lieder stammen von Komponisten aus verschiedenen EU-Ländern. Sie wurden nach Angaben des Bistums in Abstimmung mit Kohls Witwe Maike Kohl-Richter ausgesucht. Als Gäste im Dom werden unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, erwartet.
Die Liste der Lieder enthält neben bekannten Kirchenliedern wie "Wir sind nur Gast auf Erden" und "Mit Freud fahr' ich von dannen" auch gregorianischen Gesang und das Requiem von John Rutter, das der englische Komponist extra zu diesem Anlass neu arrangiert hat. Außerdem werden Stücke von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Sergeij Rachmaninoff, Heinrich Schütz, César Franck und Maurice Duruflé gespielt.
Nach einem Verabschiedungsgebet wird der Sarg zum Klang der Totenglocke auf den Vorplatz getragen. Dort schließt sich ein militärisches Zeremoniell an. Kohls Beisetzung auf dem Domherrenfriedhof findet im engsten Familien- und Freundeskreis statt. Dort begraben zu werden, war der Wunsch des Alt-Kanzlers. Den gläubigen Katholiken verband eine lebenslange intensive Beziehung mit dem Speyerer Dom. Vom angrenzenden Adenauerpark wird ein öffentlicher Zugang zur Grabstätte geschaffen.
(mw/gw)