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Traum, Rausch, Todesnähe
Beobachtungen am Rande des Bewusstseins

Die Nacht ist zum Schlafen da – und zum Träumen. Den Tag hingegen beherrscht unser waches Bewusstsein. Die Grenzen zwischen diesen drei Geisteszuständen lassen sich jedoch nicht so scharf ziehen, wie es zunächst den Anschein hat.

Von Arndt Reuning |
    Das begehbare Kunstwerk "Labyrinth" des Berliner Künstlers Olaf Nicolai aus Pariser Straßenfegerbesen.
    Im Traum scheint unser kritisches Denken ausgeschaltet zu sein. Wir akzeptieren die absurdesten Wendungen und zweifeln dennoch nicht an der Realität des Erlebten. (picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Gerald Kuske ist 44 Jahre alt, Vater eines Kindes. Musik ist seine Leidenschaft.
    "Ich hab' ein Kellerstudio mir schön eingerichtet, ich bin instrumental einigermaßen fit, das ist alles am Start. Und ich sitze dann da und denke mir: Was mach ich denn jetzt? Wo ist die Idee? Ich bräuchte mal wieder so 'ne richtige Kracher-Idee. Ich kann ja drauf losspielen, kommt ja nichts bei raus, das ist ja alles Handwerk und Technik, ja? Aber wo ist die Idee? Wo ist diese richtig gute Idee, die man nicht mehr aus dem Ohr kriegt, so ein Ohrwurm?"
    Und dann weiß er: Es ist mal wieder soweit. Ein Abstecher ins Paralleluniversum steht an. Eine nächtliche Reise durch Raum und Zeit.
    "Ich bin drin, also ich bin da in meinem Kinderzimmer, wo ich aufgewachsen bin, im Haus meiner Eltern. Und ich merke: Das kann nicht sein, ich bin da lang ausgezogen, das Haus wird auch gar nicht mehr bewohnt, das muss ein Traum sein. Ich werde klar, ich schau meine Hände an. Und ich bin fasziniert und schau mich um, und ich denke mir wieder: Mensch, was für ein Detailreichtum und ist das toll. Und ich möchte mich hier umschauen , aber halt! Ich bin ja nicht zum Spaß hier, und dann fällt mir ein: Ich wollte ja irgendwas machen. Was wollte ich machen? Richtig, ich wollte ja Musik machen. Wo ist mein Radio, mein Radio, das ist ein grünes Radio mit so einem Holzrahmen. Und ich schau mich um und denke mir: Ist es hinter der Tür? Nein! Es steht bestimmt hinter mir. Und dann drehe ich mich um, und es steht hinter mir. Ich dreh den Sender an, und ich hör die Musik. Ich denk mir: Toll, es funktioniert, ich bin im Klartraum, ich hör den Sender, jetzt können wir mal das Arbeiten anfangen."
    Traum Rausch Todesnähe
    Beobachtungen in den Grenzgebieten des Bewusstseins
    Von Arndt Reuning
    Die Nacht, die ist zum Schlafen da – und zum Träumen. Den Tag beherrscht unser waches Bewusstsein. Die Grenzen zwischen diesen drei Zuständen lassen sich jedoch nicht so scharf ziehen, wie es zunächst den Anschein hat. Dazwischen liegen fremdartige Landstriche, die Neurowissenschaftler jetzt erschließen wollen. Sie unternehmen Expeditionen, um jene Übergangszonen am Rande des Bewusstseins zu beschreiben und zu kartieren."
    "Und dann drehe ich solange den Sender, ich hör viel Schlager, ich hör auch teilweise Verkehrsdurchsagen, viel Rauschen. Irgendwo ein russischer Sender, der irgendwas erzählt, ist auch nicht das, was ich wollte. Ich dreh einfach solange rum, wie ich wollte, und dann – duff. Das ist dieses Lied."
    Gerald Kuske beherrscht die Kunst des Klarträumens. Während er träumt, wird er sich seines Zustandes bewusst – und kann dann die Handlung seines Traumes zu einem gewissen Grad beeinflussen.
    "Und dieses Lied gefällt mir super gut. Es ist neu, es gibt's noch nicht, und ich habe so ein Strahlen in den Augen, während ich da träume, also Klarträume, wo ich mir denke, woah, das geht ja auf. Das kann ich und ich kann's mir auch merken. Das mach ich jetzt mal, da hätte ich Lust drauf."
    Eine Geige, eine Flöte, eine Mundharmonika und ein Banjo liegen auf einem Notenblatt.  
    Mehrere Musiker berichteten bereits, in Träumen an neue Kompositionen zu gelangen (picture-alliance / dpa / Wolfgang Thieme)
    Die Wunschvorstellung eines jeden Künstlers: Inspiration ohne Transpiration. Durch Träumen – mit offenen Augen.
    Am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim leitet der Psychologe Michael Schredl das Wissenschaftliche Schlaflabor.
    Fliegen wie ein Vogel? Machbar - im Klartraum
    "Es gibt viele Stufen von Klarträumen oder Klarheit im Traum. Die erste Stufe ist, dass man so überlegt: Na, das könnte vielleicht ein Traum sein, ist sich aber nicht sicher. Das zweite ist dann, dass man weiß, dass es ein Traum ist, dass man aufgrund bestimmter Merkmale das erkennt, aber noch nicht so wirklich beeinflussen kann, was passiert. Und die Personen, die gut trainiert sind und sehr klar sind, die wissen um ihre Entscheidungsfreiheit im Klartraum, das heißt sie wissen, dass sie tun können, was sie wollen, oder zumindest versuchen können, was sie sich vorgenommen haben, durchzuführen."
    Fliegen wie ein Vogel? Machbar. Durch Mauern und Wände gehen? Kein Problem. Finsteren Traumgestalten Paroli bieten? Im luziden Traum ist es möglich.
    "Die Klarheit erlangen ist ein Phänomen, was sehr viele Menschen kennen, also nach unserer Studie ungefähr 50 Prozent der deutschen Bevölkerung. Aber häufiges Klarträumen ist sehr selten. Und die meisten brauchen viel Training, um diese Fähigkeit zu erlernen."
    Jenseits von Wachen, Schlafen und Träumen eröffnet der Klartraum neue Perspektiven auf den menschlichen Geist. Wenn ein Träumer in diesen paradoxen Zustand eintritt, ist es so, als würde schlagartig ein Vorhang vor seinem inneren Auge zur Seite gerissen. Und so bietet die Luzidität eine wunderbare Spielwiese für die Bewusstseinsforschung.
    Köppern ist ein kleiner Ort zwischen Taunus und Wetterau. Ein wenig außerhalb, im malerischen Tal des Erlenbaches, liegt der Arbeitsplatz der Psychologin Ursula Voss: das Vitos Waldkrankenhaus.
    "Das ist ein psychiatrisches Krankenhaus, ein Akutkrankenhaus, ich lehre an der Universität Frankfurt in Psychologie und forsche über Schlaf und Träume."
    Es ist ein verregneter Herbstmorgen. Der Lamellenvorhang im Büro von Ursula Voss ist leicht geöffnet und gibt den Blick frei auf die Bäume draußen vor dem Fenster. Innen brennt die Schreibtischlampe, und die Psychologin redet über das menschliche Bewusstsein.
    "Wir unterscheiden zwischen einem primären und sekundären Bewusstsein. Das primäre Bewusstsein ist eines, das wir mit anderen Tieren gemeinsam haben. Das ist ein Bewusstsein, das sich im Hier und Jetzt abspielt, das heißt also: Jetzt nehme ich unser Gespräch wahr, und jetzt ist es draußen eher trüb und jetzt brennt die Lampe und diese Geschichten. Und im Hier und Jetzt wie im Traum auch denke ich in der Regel nicht über meine Zukunft nach. Ich denke nicht an morgen, und ich denke auch nicht an gestern. Sondern das ist einfach etwas, was gerade jetzt stattfindet."
    Darüber hinaus existiert aber auch das sekundäre Bewusstsein, das von besonderer Bedeutung ist für den menschlichen Alltag. Es erlaubt uns die Einsicht in unser Inneres – indem wir über uns und unsere Gefühle nachdenken, Urteile fällen, Entscheidungen treffen. Im Wachleben stehen uns beide Sphären des Bewusstseins zur Verfügung. Im Traum jedoch nur das eingeschränkte primäre Bewusstsein. Unser kritisches Denken scheint dann ausgeschaltet zu sein. Wir akzeptieren die absurdesten Wendungen und zweifeln dennoch nicht an der Realität des Erlebten.
    Wir irren durch labyrinthische Gebäude, springen in der Zeit, reisen blitzschnell von einem Ort zu anderen, staunen über tierische Mischwesen und begegnen Menschen, die eigentlich schon vor Jahren gestorben sind. Im Traum fehlt uns die Einsicht in unsere tatsächliche Situation. Doch das ändert sich schlagartig, wenn ein Träumer den Zustand der Luzidität erreicht.
    "Beim Klartraum schalten sich Elemente von diesem höheren Bewusstsein zu, die uns ermöglichen, etwas zu tun, was anderen Tieren sehr wahrscheinlich vorenthalten ist. Das heißt, wir können über uns selber nachdenken, wir können reflektieren, wir können eine Zukunft planen, wir können die Vergangenheit bewältigen – versuchen zu bewältigen. Und das ist natürlich für den Forscher etwas ganz Spannendes, da erleben wir auf einmal eine plötzliche Zunahme an Bewusstsein, an höherem Bewusstsein und können das hirnphysiologisch orten, zuordnen."
    Im Jahr 2009 versuchte Ursula Voss, Klarträume unter den kontrollierten Bedingungen eines Schlaflabors zu erfassen. In drei Fällen gelang ihr das auch: Sie verfolgte den Übergang vom konventionellen Traum zum luziden Traum mithilfe des EEGs. Elektroden auf der Kopfhaut messen bei dieser Methode die schwachen elektrischen Potenzialänderungen, die mit der Gehirnaktivität einhergehen. Dabei zeigen sich charakteristische Frequenzmuster: Wenn wir schlafen, zum Beispiel die sogenannten Schlafspindeln, K-Komplexe oder Theta-Wellen. Ein Muster, das jedoch fast nie im Schlaf zu finden ist, sind die Gamma-Wellen. Sie deuten darauf hin, dass das Gehirn schwere geistige Probleme wälzt, dass es zum Beispiel mathematische Aufgaben löst. Überrascht war Ursula Voss deshalb schon ein wenig, als genau dieses Frequenzband im EEG ihrer Klarträumer auftauchte.
    "Wir erleben im Klartraum, dass dieser Gamma-Frequenzbereich, der normalerweise im REM-Schlaf-Traum so gut wie nicht vorhanden ist, dass der aktiviert wird, dass hier eine deutliche Zunahme, und sogar die stärkste Zunahme, zu beobachten ist, insbesondere im frontalen Bereich, und das ist auch wiederum der Bereich, der für Problemlösefertigkeiten, für Entscheidungsfindungen und reflektives Denken charakteristisch ist."
    Für eine noch genauere Verortung arbeitet das EEG jedoch zu ungenau. Hier sind Methoden mit einer höheren Auflösung vonnöten.
    München, Max-Planck-Institut für Psychiatrie. Ein L-förmiger Raum mit einer großen Glasscheibe zu einem benachbarten Zimmer. Jenseits des Fensters steht eine große Maschine, die einem metallenen Sarkophag ähnelt. In ihrem Inneren eine Art Tunnel, aus dem zwei Beine herausragen. Die Sohlen der Turnschuhe weisen auf einen jungen Mann, der sich diesseits der Scheibe über eine Konsole beugt und in ein Mikrofon spricht. Dann beginnt der Lärm.
    "Dieser Hintergrundlärm ist im Prinzip das, was unsere Probanden auch im Schlaf aushalten mussten, das ist natürlich eine hohe Anforderung, wir haben hier keine Versuchspersonen mit Schlafproblemen gehabt, sondern das waren alles sehr, sehr robuste Schläfer, die auch zum Teil noch eine halbe Nacht Schlafentzug hatten, einfach um den Schlafdruck zu erhöhen."
    Im Traumschlaf läuft das Gehirn auf Hochtouren
    Michael Czisch leitet am Institut die Abteilung für Neurobildgebung. Der Lärmpegel, erklärt er, sei leider unvermeidbar bei dieser Messmethode, der funktionellen Magnetresonanztomografie. Dafür erlaube die fMRT einen Blick in das aktive Gehirn - mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung.
    "In der modernen Forschung geht man davon aus, dass unser Bewusstsein nicht an einen bestimmten Sitz gebunden ist. Es gibt also keine Hirnregion, die das Etikett 'Bewusstsein' tragen würde. Vielmehr geht man davon aus, dass die gesamte Kommunikation in unserem Gehirn entscheidend und wichtig ist dafür, dass wir so etwas wie ein Bewusstsein auch erleben können."
    Im Traumschlaf zum Beispiel läuft das Gehirn auf Hochtouren. Besonders stark leuchten Zentren für die emotionale Reizverarbeitung auf, etwa die mandelförmige Amygdala. Auch Regionen für die visuelle Wahrnehmung schlafen nicht im Traum.
    "Es gibt aber bestimmte Gehirnareale, die eigentlich eine eher reduzierte Aktivität im Vergleich zum Wachen zeigen. Das sind beispielsweise Areale, die im vorderen Stirnhirn sitzen, das nennt sich den dorsolateralen, präfrontalen Cortex, eine Region, in der üblicherweise im Traumschlaf eine geringe Aktivität des Gehirns messbar ist."
    Der dorsolaterale, präfrontale Cortex. Diese Gehirnregion liegt genau in jenem Schädelbereich, für den Ursula Voss bei ihren luziden Versuchspersonen eine Aktivierung der Gamma-Wellen im EEG gemessen hatte.
    Michael Czisch und seine Mitarbeiter haben auch Klarträumer in ihren Kernspintomografen geschoben, um deren Gehirnaktivität zu verfolgen. In den nicht-luziden Phasen der Probanden ist die Aktivität im dorsolateralen, präfrontalen Cortex gedämpft – ganz wie zu erwarten.
    "Das ändert sich massiv im luziden Schlaf, unsere Ergebnisse zeigen, dass es hier zu einer sehr, sehr starken Zunahme der Aktivität genau in den Regionen kommt, die eigentlich normalerweise im REM-Schlaf minderaktiv sind. Das sind der dorsolaterale präfrontale Cortex. Wir sehen aber auch Zunahme der Aktivität in einem hinteren Hirnbereich, dem parietalen Cortex und auch im sogenannten temporalen Cortex in dem Schläfenlappen des Gehirns. Unsere Daten legen natürlich nahe, dass die Aktivität in diesen Arealen dringend erforderlich ist, um einen Zustand der höheren Einsicht auch zu erreichen."
    Im luziden Zustand erwacht ein Netzwerk aus Gehirnregionen, die eine wichtige Rolle spielen für das kritische Denken und das Bewerten von Geschehnissen. Für die Reflektion von Wahrnehmungen und planerisches Handeln. Für die Analyse unseres inneren Zustandes. Also für all jene spezifisch menschlichen Eigenschaften des Geistes. Und dieses Ergebnis geht über die reine Grundlagenforschung hinaus. Denn therapeutische Anwendungen sind denkbar, etwa bei Patienten mit einer Psychose. Die Psychose kann mit ihren Halluzinationen durchaus einem nicht-luziden Traum ähneln.
    "Die luziden Träume erlauben dem Träumer eine Einsicht in seinen Traumzustand. Und gerade bei Patienten, bei psychotischen Patienten wäre es auch wünschenswert und hilfreich, wenn der Patient eine vermehrte Einsicht in seinen Krankheitszustand erreichen könnte, weil häufig bei diesen Patienten auch die Krankheitseinsicht gestört ist und somit auch die Motivation, an einer Therapie teilzunehmen oder eine pharmakologische Therapie durchzuführen, stark eingeschränkt ist."
    Klarträumer müssen Wochen oder sogar Monate beharrlich daran arbeiten, den Zustand der Luzidität zu erreichen, indem sie zum Beispiel schon in der Wachrealität eine kritische Einstellung zu ihrer Umgebung einüben und den Traum im Traum als solchen zu erkennen. Für Menschen mit einer Psychose dürfte das wohl keine Option sein. Hier könnten technische Hilfsmittel womöglich nützlich sein.
    Zurück im Vitos Waldkrankenhaus Köppern. Ursula Voss hält einen cremefarbenen Metallkasten in Händen, etwa so groß wie ein Buch. Auf seiner Oberseite: ein blaues Display und vier Knöpfe.
    "Wir haben hier einen Stimulator von der Firma NeuroConn, und das sind die Elektroden: Gummiplättchen, die wir dann mittels einer Paste, einer stark fettenden Paste am Kopf befestigen und dann kann ich hier die Frequenz einstellen, die Dauer der Stimulation."
    Das Gerät dient der transkraniellen Wechselstrom-Stimulation. Die Psychologin nutzte es für eine Studie, bei der sie den Versuch unternahm, Klarträume sozusagen auf Knopfdruck herbeizuführen. Im Traumschlaf schickte das Gerät einen schwachen Strom durch den Schädelknochen hindurch in jenen vorderen Teil des Gehirns, wo Ursula Voss in vorangegangenen Studien im EEG die Gamma-Wellen gemessen hatte.
    "Und wir haben festgestellt, dass wenn wir mit Gamma stimulieren dass wir dann in der Lage sind, beim Träumer luzide Elemente zu induzieren, das heißt in der Hauptsache sehen sich die Versuchspersonen von außen. Sie berichten, dass sie sich gesehen haben, und der Traum lief ab wie auf einem Bildschirm, oder sie haben sich von oben gesehen oder aus der Ferne. Und zum anderen ist aufgetreten, dass sie berichtet haben, der Traum wäre irgendwie nicht real gewesen, und ja: 'Ich habe gemerkt, dass ich träume, während ich träume.' Das ist eine ganz typische Antwort gewesen."
    Die Psychologin hofft nun, mit dieser Methode nun auch Patienten helfen zu können, die beispielsweise unter Zwangsstörungen leiden. Die Daten dazu sind noch nicht veröffentlicht, sehen aber nach Aussagen der Forscherin vielversprechend aus.
    "Was wäre, wenn man einfach mal so reinfliegt in den blauen Himmel? Und im Klartraum mache ich das, da fliege ich in den Himmel, und dieser Himmel ist so groß, und ich bin so klein. Und dieses Blau, das ist so unermesslich weit, und ich schaue runter und sehe die Bäume unten und die Straßen, und ich schau mich um in dieses Blau und dann fliege ich auf die Sonne zu, aber dieses Blau verlässt mich nicht, die Erde wird immer kleiner, aber ich bin immer noch in diesem hellen Blau, und überall ist dieses Licht, und dieses Blau, das ist ein wunderschöner Traum, ein wunderschöner Klartraum, und ich fliege einfach immer weiter, bis ich aufwache."
    Beim luziden Traum erfährt das Gehirn einen Zuwachs an höherem Bewusstsein. Aber wie sieht es aus, wenn Bewusstseinsforscher den umgekehrten Weg einschlagen – und ein klares Bewusstsein künstlich eintrüben mithilfe von psychoaktiven Stoffen? Was lässt sich daraus lernen über die Funktionsweise unseres Gehirns? Zu den bewusstseinsverändernden Substanzen gehört auch die Pilzdroge Psilocybin. Wer die magischen Pilze konsumiert, fühlt sich schon bald in einen exotischen Geisteszustand versetzt.
    Sogenannte Magic Mushrooms, Pilze die als Drogen eingenommen werden - hier unter einer Plastikfolie.
    Sogenannte Magic Mushrooms, Pilze die als Drogen eingenommen werden - hier unter einer Plastikfolie. (picture alliance / dpa)
    Ein Gefühl von Wohlbehagen und Euphorie. Die Wahrnehmung verändert sich. Licht und intensive Farben, die Umgebung erscheint wie durch ein Kaleidoskop betrachtet. Vibrierende Muster, die sich über das Blickfeld legen. Die Formen werden komplexer und verdichten sich zu dreidimensionalen Figuren. Das Denken findet in Assoziationen statt. Farben, Formen, Synästhesie: Ein Geräusch besitzt plötzlich einen Geruch, eine Form ruft einen Geschmackseindruck hervor.
    Im Jahr 2012 führte eine Forschergruppe am Imperial College London eine Kernspin-Studie durch, bei der den Versuchspersonen eine Dosis Psilocybin injiziert wurde. Enzo Tagliazucchi von der Universität Kiel hat die Daten ausgewertet. Dabei entdeckte er Auffälligkeiten im limbischen System, einem evolutionär recht alten Teil des Gehirns, der tief in seinem Inneren vergraben liegt. Ein Ort der Emotionen und Instinkte. Unter dem Einfluss der Droge fluktuierte die Aktivität dort ausgesprochen stark.
    "Die Aktivität geht hoch und runter, wie verrückt. Nimmt erst stark zu und dann wieder stark ab. Und was wir wirklich beeindruckend fanden: Wenn man einen Probanden ins fMRT legt und dort schlafen lässt und er dann irgendwann auch träumt. Und wenn man sich dann seine Gehirnaktivität anschaut, dann sieht das ziemlich ähnlich aus wie das, was wir bei unseren Versuchspersonen unter Einfluss der Psychedelika gefunden haben: Deutliche Fluktuationen der Aktivität im limbischen System."
    Traum und Rausch – zwei Bewusstseinszustände, die also offenbar eng miteinander verwandt sind. Doch noch eine zweite Überraschung erwartete den Physiker. Unter Einfluss von psychedelischen Substanzen verzerrt sich üblicherweise die Wahrnehmung. Daher hatte Enzo Tagliazucchi erwartet, dass sich dieses Erleben auch in jenen Arealen der Großhirnrinde widerspiegelt, die für die Wahrnehmung und die Interpretation des Wahrgenommenen zuständig sind.
    "Aber anstelle von Veränderungen in den sensorischen Bereichen der Großhirnrinde stießen wir auf etwas ganz anderes: auf eine Veränderung im sogenannten "Default Mode Network". Das ist ein großes Netzwerk, das sich vom präfrontalen Cortex über den Augen bis zum Parietallappen erstreckt, also grob dem Bereich oberhalb der Ohren im hinteren Teil des Gehirns."
    Das "Default Mode Network", auf Deutsch das Leerlaufnetzwerk oder auch das Ruhestandardnetz, wird immer dann aktiv, wenn wir unsere Gedanken ziellos schweifen lassen, Tagträumen nachhängen, unsere Aufmerksamkeit nach innen lenken.
    Wenn ich nach Hause komme, muss ich gleich bei Helga anrufen, die hat heute Geburtstag. Was mache ich zum Abendessen? Ist denn überhaupt noch Brot im Haus?
    Ein interner Monolog, bei dem die Gedanken einem natürlichen Fluss folgen. Der eine geht aus dem anderen hervor. Auch die Zustände des Gehirns, die Aktivitätsmuster ändern sich dabei kontinuierlich. Doch unter dem Einfluss von Psilocybin ändert sich das.
    "Die Zustände in diesem Netzwerk ändern sich im psychedelischen Zustand schneller und sprunghafter. Das Bewusstsein zu einem bestimmten Zeitpunkt hängt weniger eng zusammen mit dem Zustand, der gerade noch wenige Augenblicke zuvor herrschte. Und dieses Ergebnis kratzt schon ein wenig an der etablierten Vorstellung, dass halluzinogene Drogen bloß unsere Wahrnehmung verändern. Sie verändern auch unsere Denkabläufe, wie wir einen Gedanken an den anderen reihen – und das in einer sehr tiefgehenden Weise."
    Diese Sprunghaftigkeit der Gedanken und Hirnzustände könnte sich hinter dem verbergen, was die Konsumenten von Halluzinogenen als eine Erweiterung ihres Bewusstseins beschreiben. Ein traumähnlicher Zustand, in dem das Innenleben Haken schlägt. Doch Rausch ist nicht gleich Rausch, ergänzt der Physiker. Droge ist nicht gleich Droge. So haben die Forscher aus London auch untersucht, wie das Halluzinogen LSD und der Ecstasy-Wirkstoff MDMA auf das Gehirn wirken.
    "Wir möchten eine Art Katalog zusammenstellen: Welche Droge ruft welchen psychedelischen Zustand hervor? Die Idee dahinter ist, dass wir dadurch Gemeinsamkeiten in der Wirkweise erkennen können. Das haben wir noch nicht veröffentlicht, aber es sieht wohl so aus, dass LSD und Psilocybin recht ähnliche Veränderungen im Zustand des Gehirns induzieren – ganz anders als MDMA. Warum ist das so? Daran arbeiten wir zurzeit."
    "Ich bin im siebten Stock und ich sehe unten das Kopfsteinpflaster auf dem Boden, und es ist sehr hart alles. Und ich hab das schon lange nicht mehr gemacht, sodass ich mir denke, komm, ich schmeiß mich jetzt da runter und mal schauen, was passiert. Und dann schlage ich auf dem Boden auf, und ich weiß, ich hab zu dem Zeitpunkt habe ich schon einen Sohn zu Hause, und das ist nicht unheimlich oder schmerzhaft, es ist eher so eine schöne Melancholie, es ist so eine warme Traurigkeit, aber es ist auch traurig, mein ganzer Körper wird zu so Quecksilber, und es sickert langsam ein zwischen den Kopfsteinpflastern in die Zwischenräume, und bald ist nichts mehr von mir übrig, und ich merke so, wie meine letzten Rest Quecksilber in das Kopfsteinpflaster aufgenommen werden und nichts mehr von mir übrig bleibt. Gar nichts mehr. Es tut nicht weh, es ist auch nicht unheimlich oder ängstlich, es ist nur so traurig, aber so eine schöne Traurigkeit, weil man weiß, es ist nicht echt."
    Schwebend über dem Körper: Nahtoderfahrungen
    So wie den Rausch und den Klartraum nehmen Neurowissenschaftler auch andere exotische Bewusstseinszustände unter die Lupe: Was geschieht während einer Meditation im Gehirn, was im Zustand einer Ekstase? Doch eine Erfahrung am Rande des Bewusstseins entzieht sich weitgehend dem Zugang der Forscher: Was wir erleben, wenn wir sterben. Manche Menschen, die einen Herzstillstand erfahren haben und im OP wiederbelebt wurden, berichten davon, dass sie das Geschehen um sie herum miterlebt haben. Christian Hoppe hat am Universitätsklinikum Bonn rund 40 Berichte dieser sogenannten Nahtoderfahrungen gesammelt. Zwei Elemente tauchen darin häufig auf.
    "Das eine ist das sogenannte außerkörperliche Erlebnis, wo die Person das Gefühl hat, die reale Situation aus einer veränderten Position heraus, meistens von oben herab, zu sehen, und sie sieht auch ihren eigenen Körper in einigem Abstand dort liegen und fühlt sich als Beobachter sozusagen außerhalb ihres eigenen Körpers."
    Bei dem zweiten Element handelt es sich um die Erfahrung, durch einen Tunnel hindurch einem hellen Licht entgegen zu streben. Unzählige dieser Berichte sind bekannt, doch im Grunde genommen entzieht sich das Phänomen der direkten wissenschaftlichen Untersuchung, argumentiert der Neuropsychologe.
    "Das Problem ist natürlich: Sie haben in diesen doch immer selten auftretenden Erlebnissen nicht die Möglichkeit, die Hirnfunktion parallel zu prüfen. Sie haben also nicht die Möglichkeit, Kernspin zu machen in der gleichen Zeit, schon gar nicht könnten Sie dieses Erlebnis wiederholt produzieren. In der Regel hat man nicht mal ein EEG zur Verfügung. Das heißt, wir wissen gar nicht viel darüber, was genau im Moment eines solchen Erlebnisses im Gehirn passiert."
    Doch die Erfahrungen, die in den Nahtodberichten immer wieder auftauchen, müssen nicht zwangsläufig mit dem Ende des Lebens in Zusammenhang stehen. Ähnliches berichten auch Menschen, die in einer nicht lebensbedrohlichen Situation unter Narkose gesetzt wurden. Und im Jahr 2002 berichteten Neurowissenschaftler aus der Schweiz davon, dass sie bei einer Epilepsie-Patientin unbeabsichtigt ein außerkörperliches Erlebnis ausgelöst hätten. Sie waren gerade dabei, die Frau auf einen chirurgischen Eingriff vorzubereiten. Zu Diagnosezwecken reizten sie dabei bestimmte Regionen in der Hirnrinde mithilfe von Elektroden. Die Patientin war während dieser Prozedur bei Bewusstsein. Bei der Stimulation eines bestimmten Hirnareals hatte sich plötzlich das Gefühl, leichter zu werden und sich schließlich selbst von oben zu sehen.
    "Die Hirnregion, die dort gereizt wird und gestört wird durch diese Elektrode in ihrer Funktion ist der temporoparietale Übergang, und diese Region integriert verschiedenste Informationen aus verschiedenen Sinnessystemen, insbesondere die Körperwahrnehmung, das Gleichgewicht und das Sehen. Und das passt sehr, sehr gut zu dem, was erlebt wird in diesen außerkörperlichen Erlebnissen: Der Körper ist quasi weg, vom Gleichgewicht her entsteht das Gefühl eines Schwebens und eines Hin- und Her-Wiegens, sehr, sehr ruhiges Gefühl. Und vom Sehen her: Das Sehsystem scheint im Körper keine Verankerung mehr zu finden, weil die Körperinformationen fehlen, und entscheidet sich dann, die gesamte visuelle Wahrnehmung zu rekonstruieren aus einer objektiven Beobachterperspektive."
    Ob Schlaf oder Wachbewusstsein, Klartraum oder Drogenrausch: Stets lassen sich in den komplexen Netzwerken unseres Gehirns Korrelate finden, die diese Bewusstseinszustände widerspiegeln. Und das dürfte bei den Nahtoderfahrungen auch nicht anders sein, sagt Christian Hoppe.
    "Ja, auch für diese Erlebnisse gilt die Grundüberzeugung der modernen Hirnforschung: Diese bewussten Erlebnisse werden nur in Verbindung mit Hirnfunktionen erlebt, es gibt bisher keinen überzeugenden Beleg dafür, dass solche Erlebnisse unabhängig von Hirnfunktionen auftreten könnten."
    Die hirnphysiologischen Abläufe dabei im Detail zu beschreiben, dürfte wohl zukünftigen Forschergenerationen überlassen bleiben.
    TraumRauschTodesnähe
    Beobachtungen in den Grenzgebieten des Bewusstseins
    Von Arndt Reuning
    Regie: Axel Scheibchen
    Redaktion Christiane Knoll