Nicht alle Schutzsuchenden sind traumatisiert, aber viele. Sie brauchen Hilfe. Zum dafür notwendigen Vertrauen gehört mehr, als nur die Kenntnis, der in den Herkunftsländern geltenden Umgangsformen:
"Zum Beispiel, ich kann unterscheiden zwischen den Männern, die mir die Hand geben wollen und den Männern, die mir keine Hand geben wollen. Aber ich glaube, für die deutschen Therapeuten ist das wahrscheinlich schwer zu erkennen."
Die in Persien geborene Psychotherapeutin Parechehr Sharif ist auch damit aufgewachsen:
"Es gibt viele verschiedene soziale Stufen. Das sind wirklich vielschichtige soziale Stufen und da muss man sich wirklich darauf einstellen, mit welchem Mann, aus welcher sozialen Ebene ich zu tun habe. Und da sind wirklich viele Schwierigkeiten, also, dass ich als weibliche Therapeutin da sitze und mich äußern muss."
Ungeahnte Schwierigkeiten
Selbst wer die Regeln perfekt beherrscht, wie Dorothea Zimmermann vom Verein "Wildwasser", sieht oft schon die nächste Hürde:
"Es kann sich wirklich kein Mädchen vor einem Mann, der aus einem ähnlichen Kulturkreis kommt - oder vor einem Mann überhaupt sich dann wirklich zeigen und öffnen. Es ist gerade momentan irrsinnig schwer. Wir haben ein schwerst-schwerst traumatisiertes somalisches Mädchen bei uns gerade. Und es gibt wirklich nur eine qualifizierte Dolmetscherin. Und auch beim Behandlungszentrum für Folteropfer ist nur ein Mann. Also in manchen Sprachen wird es total kompliziert."
Kompliziert, so Vertrauen als Therapie-Basis zu finden. Den überlebenden Witwen Ruandas gelang das nach dem Genozid 1994 auf unkonventionelle Weise: Zuvor einander fremde Frauen beschlossen, sich wie enge Familienangehörige gegenseitig zu trösten. Auch die heute in Düsseldorf praktizierende Traumatherapeutin Esther Mujawayo:
"Wir wussten nicht, dass es therapeutisch war. Wir haben nur gedacht, wir werden verrückt, weil wir haben so sehr abnormale Reaktionen, dieses Vergessen, dieses keine Konzentration, Albtraum, kein Schlafen. Aber mit diesen neuen Schwestern, wir können zusammen weinen, wir können zusammen erzählen und man hat einen sicheren Ort, was sehr wichtig ist, später in der Psychotherapie. Und so haben wir gegründet, diese AVEGA Agahozo. Bedeutet: 'Die Tränen zu trocknen'."
Die Tür zur Therapie
Zuhörende "Zeugen", so der Fachbegriff, öffnen erst die Tür zur späteren Therapie, wie Doktor Karin Mlodoch, die seit 1991 die Traumabewältigung irakischer Kurdinnen erforscht, Überlebende des "Anfal" genannten Genozids.
"Da hatte ich praktisch viel mehr die Rolle der Zeugin. Da wurde aber auch anders erzählt. Also nur über die Gewalt und die Verschleppung und die Fragen, wo ist mein Mann und meine Söhne, wo sind meine Eltern? Während, je mehr sie sich stabilisiert haben und wieder Hoffnung geschöpft haben, als ihre Kinder erwachsen waren, jetzt fangen sie an, auch über ihre Jugend zu erzählen: Was war eigentlich vor 'Anfal'? Wo man wieder merkt, sie sind Menschen mit einer viel längeren Geschichte und nicht nur reduziert auf die Katastrophe und auf das Trauma."
Ein langwieriger Prozess
Traumabewältigung ist ein langwieriger Prozess. Alle Beteiligten – auch die Legislative – so das Fazit der Tagung wollen jetzt Missstände beseitigen, zum Beispiel, dass die Therapie unbegleiteter Kinder künftig mit dem 18. Lebensjahr ende. Dorothee Hillenbrand, Vizepräsidentin der Psychotherapeutenkammer:
"Das ist dann ein junger Erwachsener mit Hilfebedarf. Und der muss dann auch dieselben Betreuer haben, denn ein Bezugspersonenwechsel ist ja auch in dieser Situation ganz schwierig. Also, dass da rechtzeitig Vorsorge getroffen wird, dass dieser Wechsel, dieses von einem System ins andere fallen, dass das einfach nicht stattfindet."