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Treffen der OSZE-Außenminister
"Wir brauchen wieder Obergrenzen für relevantes militärisches Gerät"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat bei der OSZE für neue Rüstungskontrollgespräche geworben. Der Hamburger Friedens- und Konfliktforscher Wolfgang Zellner begrüßt dies. "Wir sind offenen Auges in einer Situation, wo uns die Rüstungskontrolle unter den Fingern zerrinnt, während die Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs größer wird", sagte Zellner im DLF.

Wolfgang Zellner im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    OSZE-Patrouille in der Region Donzek (Ost-Ukraine) am 26.12.2015.
    Die Rolle der OSZE sei in den vergangenen zwei Jahren deutlich gewachsen, am besten abzulesen an der Ukraine, sagt Wolfgang Zellner. (picture alliance / dpa / Sergey Averin)
    Stefan Heinlein: Über das Treffen der OSZE-Außenminister möchte ich jetzt sprechen mit dem Hamburger Friedens- und Konfliktforscher Wolfgang Zellner. Guten Abend, Herr Zellner!
    Wolfgang Zellner: Guten Abend, Herr Heinlein.
    Heinlein: Sie beschäftigen sich seit vielen, vielen Jahren wissenschaftlich mit der Geschichte und auch der Gegenwart der OSZE. War das Treffen heute auch politisch sein Geld wert?
    Zellner: Das werden wir erst im Nachhinein feststellen können. Aber es ist natürlich immer sein Geld wert, wenn man Gelegenheiten schafft zur Diskussion. Und Sie wissen ja, wie ein normaler Ministerrat, ein formeller Ministerrat abläuft. Da werden die Reden vorgelesen, da gibt es Berichte, da gibt es vom Bilateralen einmal abgesehen wenig Gelegenheit zu multilateraler Diskussion. Und die hatte man heute. Heute hatten die etwa 40 anwesenden Außenministerinnen und Außenminister einfach die Gelegenheit, ohne den Druck, Beschlussfassung leisten zu müssen, über eine Vielzahl von Problemen miteinander zu sprechen.
    Heinlein: Es ist eigentlich wichtiger, was hinter den Kulissen, was informell beim Mittagessen, bei den Gesprächen stattfindet?
    Zellner: Genau.
    "Es geht darum, die Außenminister ins Gespräch zu bringen"
    Heinlein: Warum ist das so wichtig?
    Zellner: Das haben wir gelernt in den letzten Jahren. Ich glaube, die Schweizer haben sehr erfolgreich angefangen bei dem Ministerratstreffen in Basel vor fast jetzt nun zwei Jahren, über Mittagessen solche Dialoge in Gang zu bringen. Es geht darum, tatsächlich mal die Außenminister ins Gespräch zu bringen und nicht immer nur ihre Beamten und Helfer und auf der politischen Ebene einen Dialog loszutreten, weil man anders nicht zu Durchbrüchen kommen kann.
    Heinlein: Wie groß ist denn die Chance, dass die OSZE nicht nur hinter den Kulissen bei diesen Mittagessen eine Rolle spielt, sondern auch eine aktive Rolle wieder auf internationaler Bühne übernimmt?
    Zellner: Die Rolle der OSZE ist ja in den vergangenen zwei Jahren schon deutlich gewachsen, am besten abzulesen an der Ukraine. Ich wüsste nicht, welche andere internationale Organisation diejenigen Aufgaben übernehmen könnte, die jetzt die besondere Beobachtungsmission der OSZE mit ihren etwa tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übernimmt. Niemand anders könnte es machen! Die EU ist Teil des Konflikts, die NATO auch, und die UNO würde das von sich weisen, da sie mit vielen, vielen anderen Konflikten vor allem in Afrika völlig überlastet ist.
    Heinlein: Ist es vor diesem Hintergrund, gerade Stichwort Ukraine, ein Defizit, dass heute die Russen nur die zweite Garde nach Potsdam geschickt haben und nicht ihren Außenminister?
    Zellner: Dass Lawrow und Kerry nicht kommen würden nach Potsdam, war schon seit längerer Zeit bekannt bei denjenigen, die sich damit auseinandersetzen. Das ist natürlich ein gewisses Defizit. Andererseits, würde ich sagen, muss man es auch als Chance sehen. Wenn die Großen mal nicht da sind, auf die sich normalerweise die Diskussion ja immer konzentriert, dann gibt es die andere Möglichkeit, dass die aus der zweiten und dritten Reihe mal mehr Chancen haben, sich Gehör zu verschaffen. Und es ist ja durchaus so, dass Außenminister von kleineren Staaten es relativ schwierig haben, sich bei den größeren Gehör zu verschaffen.
    Die OSZE "hat noch genügend Aufgaben innerhalb von Europa"
    Heinlein: Aber bei einem Mittagessen mit Lawrow hätte man doch das eine oder andere gerade mit Blick auf die Ukraine dann doch besprechen können.
    Zellner: Ja selbstverständlich. Es ist ja nicht so, dass es diese Mittagessen nicht gibt. Der Außenminister war ja vor wenigen Tagen in Jekaterinburg zu Gesprächen über die Ukraine. Es ist ein Gipfeltreffen geplant zwischen dem Präsidenten von Frankreich, der Bundeskanzlerin und dem russischen Präsidenten bei G20. Man ist dauernd im Gespräch. Nun war er jetzt hier mal nicht dabei. Ich würde das nicht überbewerten.
    Heinlein: OSZE, das heißt ja in Langfassung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Europa ist das Stichwort. Ist das überhaupt noch aktuell, denn die Konflikte, die konzentrieren sich ja weit über die europäischen Grenzen hinaus? Braucht es nicht eigentlich einen anderen Rahmen mittlerweile und nicht die OSZE? Braucht man eine Organisation im globalen Rahmen, die vielleicht die OSZE langfristig doch ersetzt, zumindest ergänzt?
    Zellner: Na ja, die Organisation im globalen Rahmen haben wir ja, und das sind die Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen sind sehr froh, dass es solche Organisationen wie die OSZE gibt, die in ihrem Anwendungsgebiet bestimmte Aufgaben wahrnehmen, die sonst die Vereinten Nationen wahrnehmen müssten. Wir sind sehr, sehr zufrieden damit. Jetzt haben wir natürlich in Europa eine Situation, dass wir Konflikte haben in Europa, etwa in der Ukraine, aber auch die nicht gelösten Konflikte jetzt in Bergkarabach, wo wir einen Kriegsaufschwung hatten im April in Transnistrien, in Georgien. Und wir haben Konflikte vor unserer Haustür im Nahen und Mittleren Osten. Da kann die OSZE nicht so viel machen. Das ist richtig. Aber sie hat noch genügend Aufgaben innerhalb von Europa, die gelöst werden müssen, zum Beispiel auch ein neues Wettrüsten zu verhindern.
    "Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs wird größer"
    Heinlein: Das ist ein gutes Stichwort. Der deutsche Außenminister Steinmeier, der hat heute auch in Potsdam gewarnt vor der Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufes. Wie ernst muss man denn diese Warnung nehmen? Wer nimmt denn teil an diesem Rüstungswettlauf, wer könnte teilnehmen?
    Zellner: Am Rüstungswettlauf, da nehmen immer beide Seiten teil. Wir sind meines Erachtens noch nicht in einem Rüstungswettlauf. Wenn wir aber nichts tun, die zugrunde gegangene Rüstungskontrolle wieder auf die Beine zu stellen, dann werden wir möglicherweise relativ bald dort sein. Wir hatten Anfang der 90er-Jahre ja ein ganz umfassendes System von Rüstungskontrolle auf die Beine gestellt. Der Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa ist heute praktisch tot, wird seit 2007 von Russland nicht mehr angewandt. Wir haben ein Wiener Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen, was dringend modernisiert werden müsste; auch das ist blockiert. Und wir haben noch einen Vertrag über den offenen Himmel. Das heißt, wir sehen schon zu, wir sind offenen Auges in einer Situation, wo uns die Rüstungskontrolle unter den Fingern zerrinnt, während die Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs größer wird, und von daher finde ich das außerordentlich gut, dass der Außenminister es gewagt hat, dieses Thema anzufassen, denn baldige Erfolge sind da gewiss nicht zu verzeichnen.
    "Wir brauchen wieder Obergrenzen für relevantes militärisches Gerät"
    Heinlein: Mit beiden Seiten, da meinen Sie Russland auf der einen Seite und die NATO auf der anderen Seite?
    Zellner: Ja.
    Heinlein: Und was muss konkret unternommen werden, um diesen Rüstungswettlauf zu verhindern?
    Zellner: Wir brauchen wieder Obergrenzen für relevantes militärisches Gerät. Wir brauchen möglicherweise auch Obergrenzen für Gerät, was bisher nicht in die konventionelle Rüstungskontrolle einbezogen war, wie zum Beispiel Drohnen. Wir müssen in bestimmten Regionen regionale Maßnahmen ergreifen, die besonders gefährdet sind, zum Beispiel im Baltikum. Und dann ist es natürlich eine Frage der Verifikation, und da wäre ein ganz großer Schritt nach vorne, wenn man die Verifikation nicht mehr nur allein national betreibt, so wie das heute der Fall ist, sondern ein gemeinsames Verifikationszentrum unter dem Dach der OSZE errichten würde. Auch in diese Richtung hat Steinmeier in seinem Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am vergangenen Freitag zumindest andeutungsweise einen Vorschlag gemacht.
    Heinlein: Kurz zum Schluss die Frage, Herr Zellner. Ende des Jahres endet der deutsche Vorsitz der OSZE. Kann man schon eine Bilanz ziehen? Ist es ein Erfolg gewesen?
    Zellner: Das ist noch ein bisschen früh, weil die Entwicklungen in der Ukraine bis dorthin noch nicht abzusehen sind. Wir sehen schon, wie zäh das ganze Geschäft ist. Das ist der eine Punkt.
    Der zweite Punkt ist: Wir sehen, dass es in einigen Bereichen, in Georgien, in Transnistrien, durch die Bemühungen des Vorsitzes zu kleineren Erfolgen gekommen ist. Wir sehen, dass der Vorsitz eine Menge Diskussionen angestoßen hat. Ob es der Vorsitz jetzt wirklich vermag, das Ruder auch in der Ukraine noch mal herumzureißen in dem Sinne, dass Minsk wirklich implementiert wird, das liegt aber auch nicht allein am Vorsitz.
    Heinlein: Der Hamburger Friedensforscher Wolfgang Zellner zum Treffen der OSZE-Außenminister heute in Potsdam. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.