Auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz sammelt eine Organisation für die ukrainische Armee: "Lieber Kiewer, lieber Gäste, helft unseren Jungs, damit der Sieg schneller kommt", ruft die Frau am Mikrofon. Wer Geld gibt, bekommt einen Kühlschrankaufkleber.
Die Menschen reihen sich ein in die Schlange der Spender - und das ist auch ein Verdienst von Präsident Petro Poroschenko. Er hat gerade ganz in der Nähe eine flammende Rede gehalten - zum ukrainischen Unabhängigkeitstag - und den Kampf im Osten als entscheidend für die Zukunft des Landes dargestellt.
"Wir müssen unsere Armee unbedingt stärken. Wer an seiner Armee spart, wird später diejenige eines anderen ernähren. Nur durch einen kolossalen Kraftakt der ganzen Nation können wir unsere Unabhängigkeit verteidigen."
Poroschenko verfolgt seit seinem Amtsantritt eine harte Linie. Mit den Separatisten im Donezk-Becken setzt er sich nicht an einen Tisch. Sein Friedensplan besteht im Wesentlichen darin, dass die Kämpfer aufgeben sollen. Das einzige Angebot, das er ihnen macht: ein Amnestiegesetz, das auch nicht für alle gelten soll.
Die ukrainische Armee konnte Erfolge erzielen, seit Poroschenko im Amt ist. Das von den Separatisten beherrschte Gebiet schrumpfte auf ein Viertel der ursprünglichen Fläche.
Poroschenko erhält nicht von allen Ukrainern Rückhalt
Dennoch überzeugt der Kurs des Präsidenten nur einen Teil der Ukrainer. Gerade einmal 36 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden, wie eine Umfrage zeigt. Ebenso viele beurteilen seine Politik als schlecht. Das ukrainische Staatsoberhaupt hat also deutlich weniger Rückhalt als sein russischer Widerpart Wladimir Putin, den er heute treffen soll.
Auch in einem Stehcafé am Unabhängigkeitsplatz wird Poroschenkos Politik kontrovers diskutiert. Alexandra, die junge Mitarbeiterin:
"Ich schaue und höre keine Nachrichten mehr. Einmal, weil mich das alles psychisch zu stark mitnimmt. Und dann, weil da ja doch nur gelogen wird. Ich habe Bekannte, die aus dem Kampf zurückkamen und alles ganz anders dargestellt haben. Sie haben viel zu wenig Waffen und Munition, nichts zum Anziehen und nicht einmal genug zu essen. Ich frage mich, wo das ganze Geld hingeht, das wir unserer Armee geben."
Poroschenko will den Anschein vermeiden, dass er geschäftliche und politische Interessen vermischt. Im vergangenen Jahr plante er noch, mit einer seiner Fabriken in die Rüstungsproduktion einzusteigen. Nun kündigte er den Verkauf aller seiner Unternehmen an, mit Ausnahme einer Mediengesellschaft.
Die Gäste, die gerade ins Stehcafé gekommen sind, überzeugt er damit - und auch mit seiner Politik. Zur Anti-Terror-Operation gebe es keine Alternative, sagt Oleh. Der Staat müsse sich gegen die Separatisten wehren, meint der Soziologe.
"Zu 70 Prozent bin ich zufrieden mit der Arbeit von Poroschenko. Ich hätte nur gern, dass das Militär im Osten effektiver vorgeht. In der Innenpolitik, bei der Korruption zum Beispiel, konnte er noch nicht viel ausrichten. Aber der Präsident setzt auch hier Zeichen: Er hat den Ukraine-Chef einer internationalen Software-Firma in die Präsidialverwaltung geholt. Er verabschiedet sich also von den korrupten Kadern und setzt auf junge Leute."
Keine feste Regierungskoalition, auf die sich Poroschenko stützen kann
Poroschenkos Macht ist allerdings dadurch eingeschränkt, dass er sich im Parlament nicht auf eine feste Regierungskoalition stützen kann. Deshalb hat er das Parlament gestern aufgelöst. Die vorgezogene Neuwahl wird Ende Oktober stattfinden. Will Poroschenko danach seine Politik durchsetzen, muss er nun eine eigene Partei aufbauen oder ein Bündnis eingehen. Auch hier hat er es schwerer als Vladimir Putin in Moskau, der sich über Parteienbündnisse und die Opposition so gut wie keine Gedanken machen muss.
Oleh, der Soziologe meint, alle Ukrainer müssten Poroschenko jetzt unterstützen. Er selbst hat einige der geplanten Reformen für sich schon vorweggenommen.
"Das Entscheidende ist, dass sich die Menschen geändert haben. Ich habe keinem Verkehrspolizisten mehr Schmiergeld gezahlt seit den Demonstrationen im Winter. Ich sage ihnen: Diese Zeiten sind vorbei. Und sie sehen das ein."