Birgid Becker: Gestern der Einzug in den Élysée-Palast, heute das Treffen in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Emmanuel Macron ist neuer europäischer Hoffnungsträger und vielleicht der eine Teil einer Achse Berlin-Paris, von der sich Europas Politiker erhoffen, dass sie nach dem Brexit, nach dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte neue Impulse für Europa bringt. Aber Macron ist für Deutschland absehbar nicht nur ein wichtiger, sondern auch ein schwieriger Partner.
- Und darüber möchte ich mit Pawel Tokarski sprechen von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Hallo, Herr Tokarski.
Pawel Tokarski: Hallo! - Guten Tag.
Becker: Schwierig – das ist wahrscheinlich weniger mit Blick auf die persönliche Ebene gemeint, sondern mit Blick auf wirtschaftspolitische Vorstellungen, die traditionell ja nicht so ganz harmonisch sind zwischen Deutschen und Franzosen. Deshalb: Ist Macron schwieriger als seine Vorgänger, schwieriger zum Beispiel als Francois Hollande?
Tokarski: Ich glaube, das ist schwer zu sagen. Aber ich denke, dass die Schwierigkeit im Vergleich zu Francois Hollande vor allem auf die viel kürzere politische Erfahrung des neuen französischen Präsidenten zurückzuführen ist. Er ist auf der höchsten Ebene der französischen Politik erst seit ein paar Jahren präsent. Beispielsweise Bundeskanzlerin Merkel hat viel mehr politische Erfahrung, sodass das Risiko eines gewissen Ungleichgewichtes besteht. Deutschland muss deshalb vorsichtig sein und Macron zu einem gleichberechtigten Partner im französisch-deutschen Tandem machen.
Zweitens: Macron setzt stärker als Hollande auf die deutsch-französische Zusammenarbeit. Die vielen Deutschlandbesuche im Vorfeld und das gute Verhältnis zu vielen deutschen Politikern sind ein politisches Signal, ein sehr gutes Signal für Europa, was das deutsch-französische Tandem braucht. Macron muss in den Beziehungen zu Deutschland innenpolitisch zumindest einen symbolischen Verhandlungserfolg herausholen, aber auch Berlin hat ein Interesse am Erfolg des Präsidenten, weil Frankreich für die Stabilität der Eurozone maßgeblich ist.
Becker: Wie könnte denn so ein Symbol aussehen?
"Französische Probleme mit Wettbewerbsfähigkeit hausgemacht"
Tokarski: Das ist natürlich eine wichtige Frage. Ich glaube, dass zuerst Deutschland die Frage über den deutschen Handelsüberschuss klären muss. Sie dürfen nicht vergessen, dass der Handelsüberschuss von Deutschland vor allem im Handel mit dem Vereinigten Königreich und den USA erzielt worden ist. Und es ist zu einfach zu sagen, dass der deutsche Handelsüberschuss den Volkswirtschaften der anderen Euroländer schadet.
Zweitens ist es in der Tat im deutschen Interesse, alles Mögliche zu machen, um Macron zu helfen. Das ist quasi die letzte Chance, Frankreich zu reformieren und Europa zusammenzuhalten. Ich glaube, das wichtigste Schlachtfeld wird für Macron der Arbeitsmarkt sein. Wenn er erheblich versagt, um die Arbeitslosigkeit zu verringern, kann er es vergessen, dann weiter in 2022 wiedergewählt zu werden.
Was kann Deutschland tun? – Deutschland ist ein großer Importeur in der Eurozone. Es wäre auf jeden Fall hilfreich, eine interne Nachfrage zu steigern. Das wäre auch zum Beispiel ein nützliches Instrument für die Unterstützung der Eurozone, um die Arbeitsmarktreformen zu schaffen. Oder Verlängerung der Laufzeit des europäischen Fonds für strategische Investitionen. Das könnte auch Macron helfen. Es sollte jedoch klar gemacht werden, dass die französischen Probleme mit der Wettbewerbsfähigkeit hausgemacht sind und nur in Paris und nicht in Brüssel oder in Berlin dauerhaft gelöst werden können.
Becker: Weil Sie sagten, Deutschland, Berlin müsse Frankreich als gleichberechtigten Partner trotz der unterschiedlichen langen politischen Erfahrungen der Protagonisten im Moment akzeptieren. Da sagte gestern der Ökonom und Frankreich-Kenner Stefan Collignon, der kurz vor dem Jahr 2000 im Bundesfinanzministerium war – das war in der Phase der Euroeinführung. Collignon hat gestern in diesem Programm an einen alten Grundsatz erinnert zum deutsch-französischen Verhältnis, der allerdings in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr beherzigt wurde. Collignon sagte wörtlich:
"Es ist vielleicht nützlich, sich mal an Adenauer und Willy Brandt und Helmut Schmidt zu erinnern. Die haben immer gesagt, wir sind ein wirtschaftlicher Gigant, aber politisch müssen wir Frankreich den Vortritt lassen."
Becker: Frankreich den Vortritt lassen, kann das, Pawel Tokarski, heute wieder so ein Leitmotto sein, oder eher nicht? Es wird ja im Gegenteil über zu viele deutsche Dominanz geklagt.
Tokarski: Ich glaube, dass man das jetzt nicht so einfach schwarz und weiß einschätzen kann. In der Vergangenheit war es richtig, dass Frankreich politisch viel wichtiger war als Deutschland. Aber seit der Eurokrise ist Deutschland gezwungen, eine viel stärkere politische Rolle zu spielen und Deutschland diese Rolle nicht unbedingt spielen will, weil es mit großer Verantwortung für Europa einher geht. Nicht nur die politische Verantwortung, sondern auch die finanziellen Kosten. Jedoch um die Stabilität in der Eurozone zu verstärken, muss Deutschland diese Verantwortung auf sich nehmen.
Becker: Eines noch vielleicht zum Schluss. Am Nachmittag wurde ja bekannt, dass der Konservative Edouard Philippe Premierminister wird. Was erwarten Sie denn, welche Impulse könnten ausgehen von der Besetzung in den Ressorts Finanzen, Haushalt, Arbeit? Das wird morgen bekannt gegeben. Was erwarten Sie?
Tokarski: Das ist jetzt zu früh zu sagen. Die entscheidende Frage jetzt betrifft die Mehrheit im Parlament. Wir haben noch die sogenannte dritte Runde der Wahlen in Frankreich, die Parlamentswahlen, und von dieser Mehrheit im Parlament wird es stark abhängig sein, ob Präsident Macron diese schwierigen Reformen in Frankreich durchsetzen kann.
Becker: Danke! – Pawel Tokarski war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Einen schönen Abend.
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