Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte ein "neues Kapitel" in den türkisch-russischen Beziehungen angekündigt, aber zunächst mal muss ins alte Kapitel zurückgeblättert werden. Nach mehr als dreistündigen Gesprächen teilte Wladimir Putin bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit, beide Seiten hätten den politischen Willen geäußert, ihre bilateralen Beziehungen wieder auf das Niveau vor der Krise zu heben.
"In nur fünf Monaten dieses Jahres ist das russisch-türkische Handelsvolumen um 43 Prozent zurückgegangen. Uns steht eine mühsame Arbeit bevor, um die Wirtschafts-und Handelsbeziehungen zu reanimieren. Der Prozess ist angeschoben, er braucht aber Zeit."
Der Verweis auf die Zeit, er klang oft an. Russland wolle seine Strafmaßnahmen gegen die Türkei schrittweise wieder aufheben, so Putin nach dem Treffen: Die Importverbote für türkische Lebensmittel, das Beschäftigungsverbot für türkische Arbeitnehmer, die Visapflicht. Pauschalreisen russischer Urlauber in die Türkei wurden bereits wieder gestattet. Es sei eine technische Frage, auch Charterflüge wieder zuzulassen.
"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Zahl der Touristen wieder auf dem Niveau vor der Krise ist. Das Wichtigste sind Sicherheitsgarantien der türkischen Seite für die russischen Bürger. Solche Garantien haben wir von unseren Partnern erhalten."
Grünes Licht für ein Atomkraftwerk
Zu den wenigen halbwegs konkreten Ergebnissen des Treffens in St. Petersburg zählt: Es gibt offenbar grünes Licht für den Bau des Atomkraftwerkes durch den russischen Staatskonzern Rosatom in der Südosttürkei. Das wurde möglich, weil Erdogan dem Projekt strategischen Charakter und damit bestimmte Sonderbedingungen zusicherte. Außerdem bekannten sich beide Seiten in St. Petersburg zu Turk Stream, der geplanten Gaspipeline aus Russland über den Boden des Schwarzen Meeres in die Türkei. Das Projekt war bereits totgesagt. Allerdings ist vorerst nur der Bau einer Röhre gesichert. Putin:
"Sie ist ausschließlich für den innertürkischen Markt mit seinem wachsenden Bedarf gedacht. Darüber haben wir heute geredet. Und dieser Teil steht außer Zweifel, der Bau kann schon in allernächster Zeit beginnen. Die zweite Röhre, für den Transit unserer Energieträger nach Europa, hängt natürlich von der Zustimmung der Europäer ab. Wir müssen das mit den europäischen Ländern und der Europäischen Kommission durchsprechen. Wir sind mit unseren türkischen Freunden und Partnern dazu bereit."
"Ihr Anruf hat mich sehr gefreut"
Insgesamt verlief das Treffen zwischen Erdogan und Putin ein wenig steif. Von Herzlichkeit war nichts zu spüren. Während der türkische Präsident den Gastgeber wiederholt als "geschätzten Freund" und "lieben Wladimir" umwarb, blieb Putin dem Gast gegenüber distanziert. Allerdings versicherte er ihm gleich zu Beginn des Treffens seine Solidarität im Hinblick auf den Putschversuch. Er habe Erdogan nach dem gescheiterten Staatsstreich als erster angerufen. Russland sei prinzipiell gegen verfassungswidrige Aktionen, und er, Putin, sei sich sicher, dass es dem türkischen Volk unter Erdogans Führung gelingen werde, Ordnung und Gesetz wieder herzustellen. Erdogan zeigte sich erfreut.
"Ihr Anruf gleich nach dem Versuch des Staatsstreichs hat mich persönlich und unser Volk sehr gefreut.
Ich glaube, dass unsere Zusammenarbeit einen großen Beitrag zur Lösung vieler Probleme in der Region leisten kann."
Dazu aber müsste noch viel geschehen. Beim Thema Syrien liegen die Positionen der Türkei und Russlands weit auseinander, so etwa in der Bewertung der Rolle Assads oder der sogenannten Al-Nusra-Front. Das hatte Erdogan vor seiner Abreise nach Russland in Interviews deutlich gemacht. Im Bewusstsein dieser Differenzen klammerten die Präsidenten das Thema Syrien in St. Petersburg kurzerhand aus und vertagten es auf die Zeit nach der Pressekonferenz.