Gözde Yetkin ist blass um die Nase, als sie gemeinsam mit zwei Freundinnen aus einem Istanbuler Kino stolpert. Dafür sorgt vor allem der Islambezug, der die Horrorstreifen vom Bosporus von ihren amerikanischen oder japanischen Pendants absetzt.
In Gözdes Lieblingsfilm Siccin spuken statt Geistern und Zombies "Cins" umher – Feuergeister, vor denen sich in der islamischen Welt längst nicht nur Kinder fürchten. Statt Priestern treiben muslimische Gelehrte Menschen und Tieren den Teufel aus und – schon im Koran erwähnte – schwarze Magie sorgt dafür, dass aus türkischen Hausmütterchen blutrünstige Monster werden. Kinobesucherin Gözde sagt dazu:
"In dem Film, den ich gerade gesehen habe, spricht eine Frau einen Fluch aus, um ihre große Liebe für sich zu gewinnen. Sie denkt, das würde sie glücklich machen, aber am Ende findet das Böse sie und richtet sich gegen sie selbst. Ich glaube an solche Geschichten. Natürlich nicht genau so, wie sie in den Filmen passieren. Aber ich bin sicher, dass so etwas vorkommt."
Angst vor dem Übernatürlichen
Und damit ist Gözde längst nicht allein. Allein die Zahl der traditionellen Nazar-Amulette in Istanbul zeigt, wie allgegenwärtig die Angst vor dem Übernatürlichen in der Türkei ist. Egal ob an Türschwellen oder Kinderbetten, Hochzeitsautos oder Motorrädern – überall werden die gläsernen blauen Augen befestigt, um den Träger vor dem so genannten 'Bösen Blick' zu schützen. Schon kleine Kinder lernen auch: Wer sein Essen nicht aufisst, der lockt die Feuergeister an. Filmemacher Alper Mestci beschäftigt sich seit Jahren mit den innersten Ängsten seiner Landsleute:
"Wenn du einen guten Horrorfilm machen willst, dann muss er auf die Kultur ausgerichtet sein, in der du lebst. Du musst an lokale Themen anknüpfen. Und in der Türkei ist das allen voran die schwarze Magie. Studien zeigen, dass einer von neun Türken entweder schon mal selbst einen Fluch angewendet hat oder von einem belegt wurde. Das ist eine ungeheure Zahl."
"Religiöse Details müssen stimmen"
Alper Mestcis Produktionen gehören zu den erfolgreichsten türkischen Horrorfilmen der letzten Jahre. Für seine Drehbücher unterhielt er sich mit muslimischen Imamen im ganzen Land. Denn bei aller Fiktion – die religiösen Details, so weiß er, müssen stimmen.
"Es sind vor allem die gläubigen Leute, die sich unsere Filme ansehen. Wir produzieren diese Sachen nicht etwa für die Fans von "The Fast and the Furious" oder Woody Allen, sondern genau für diejenigen, die daran glauben."
Und das sind viele: Mehr als zwanzig islamische Horrorfilme liefen allein im vergangenen Jahr in den türkischen Kinos. 2016 dürften es noch mehr werden – die Branche boomt. Kein Zufall, dass sie das ausgerechnet in einer Zeit tut, in der das Land auch von einer islamisch-konservativen Regierung regiert wird, glaubt Filmkritiker und Unidozent Kaya Özkaracalar aus Istanbul.
"In einem großen Teil dieser Filme sind es ungläubige Charaktere, die von Geistern heimgesucht und bestraft werden. Oder eine verlorene Seele findet im Laufe der Geschichte zum rechten Glauben und wird dadurch frei. Einer der Guten ist außerdem immer ein Imam. Mit all dem tragen solche Filme als einer von vielen Bausteinen dazu bei, dass die kulturelle Hegemonie des Islam in der Türkei immer stärker wird."
Tatsächlich: Im Film Büyü (Zauberei) fällt das Böse über eine Gruppe offensichtlich ungläubiger Archäologinnen her, die sich in knappen Khakishorts auf Geistersuche begeben. In Araf (Fegefeuer) trifft es ein Paar, das Jahre zuvor sein Baby abtreiben ließ. Alles Vergehen, für die man in der zunehmend religiös geprägten Türkei zwar rechtlich nicht bestraft wird. Doch der "Böse Blick", da ist sich Kinobesucherin Gözde sicher, lauert überall.
"Gerade, weil es in türkischen Horrorfilmen um Dinge aus dem echten Leben geht, machen sie einem ja solche Angst. Jeder von uns hat doch schon mal gesündigt. Besonders am ersten Abend nach dem Kinobesuch traue ich mich deswegen kaum aus dem Haus. Um von der Küche in mein Zimmer zu kommen, renne ich, als ob jemand hinter mir her wäre."