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Trend zu Stabilität

Meteorologie. - Der Mai 2013 war durch ausdauernde Tiefdruckgebiete über Osteuropa geprägt, die massenweise feuchtwarme Luft aus dem Mittelmeerraum nach Deutschland transportierten. Zusammen mit der arktischen Kaltluft, die im Gegenstrom ebenfalls hier ankam, führte das zu den starken Regenfällen. Die Situation könnte künftig häufiger drohen.

Von Volker Mrasek |
    So spielte sich das Drama aus meteorologischer Sicht ab:

    "In der mittelhohen Atmosphäre, dort hatte sich eine relativ stabile Wetterlage eingestellt. Mit einem ausgeprägten Hochdruckrücken über dem Atlantik."

    Peter Krahé, Meteorologe bei der Bundesanstalt für Gewässerkunde.

    "In dem Komplex des Höhentroges haben sich dann die Tiefdruckgebiete gebildet, die den Niederschlag gemacht haben."

    Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst DWD. Der Meteorologe leitet dort auch das Weltzentrum für Niederschlagsklimatologie. Wie riesige Schaufelradbagger drehten sich die Tiefs über Osteuropa, und zwar entgegen dem Uhrzeigersinn. In einem großen Bogen schaufelten sie warme, subtropische Luft aus dem Mittelmeer-Raum um die Ostalpen herum – und von Nordosten dann nach Deutschland, vor allem in die östlichen und südlichen Landesteile. Aus Nordwesten strömte gleichzeitig kühle arktische Luft nach Deutschland, wie Peter Krahé verfolgte:

    "Und das ist dann eben bekannt: Wenn diese Luftmassen aufeinander treffen, dann erfolgen Hebungsprozesse. Die warme, feuchte Luft hebt sich über die kühle Luft. Und es kommt da schon mal zur Wolkenbildung und Niederschlagsbildung."

    Noch verschärft wurde die Situation dadurch, daß die warme Luft aus Nordosten frontal auf die Alpen und das Erzgebirge traf – das brachte zusätzlichen Steigregen. Prinzipiell ist eine solche Wetterlage aber nicht ungewöhnlich, wie DWD-Experte Becker sagt:

    "So etwa 15 Tage im Jahr haben Sie so eine Situation. Es ist allerdings schon bemerkenswert, daß wir mit dieser Art von Tiefdruckgebiet, das sich so stationär einnistet, nicht nur dieses Jahr das Problem hatten, sondern auch schon im Jahre 2010 Hochwasser generierende Niederschläge hatten. Und auch die Niederschläge, die zur Jahrhundertflut in 2002 geführt haben, waren letztendlich von einem Tiefdruckgebiet geprägt, daß sich relativ stationär über Tschechien aufgehalten hat."

    Der Deutsche Wetterdienst betreibt seit etwa zehn Jahren ein Beobachtungsnetz mit insgesamt 17 Regenradar-Geräten. Jedes von ihnen hat einen Messradius von 150 Kilometern. Zusammen decken sie Deutschland komplett ab. Andreas Becker und seine Kollegen sind gerade dabei, die Radardaten noch einmal genauer auszuwerten, in Hinblick auf stationäre, regenreiche Tiefs. Becker:

    "Allererste Ergebnisse liegen vor. Basierend auf Klima-Projektionsrechnungen stellen wir zumindest einen mäßigen Trend fest, daß es diese Situationen jetzt öfter gibt. Und wenn man das paart mit der Vorstellung, daß wir insgesamt in ein höheres Temperaturniveau laufen, so daß sozusagen die niederschlagsbildenden Prozesse an einem Tief grundsätzlich effektiver sein sollten, dann muss man in der Tat auch über die Konsequenzen nachdenken, daß solche Hochwasser generierenden Niederschläge öfter vorkommen."

    Damit berührt der Meteorologe eine Frage, die sich jetzt wieder aufdrängt: Sorgt die Klimaerwärmung dafür, daß sich solche Extremniederschläge häufen?

    "In dem 4. Sachstandsbericht des Weltklimarates ist schon darauf hingewiesen worden, daß man eigentlich erwarten sollte, daß in einem wärmeren Klima wir wärmere Luftmassen haben, die grundsätzlich in der Lage sind, mehr Luftfeuchtigkeit aufzunehmen. Pro Grad müssten so zwei bis drei Prozent mehr Niederschlag fallen. Das Paradoxon, das wir allerdings feststellen, ist, daß wir Mühe haben, einen einheitlichen Trend im Niederschlag festzustellen."

    Der Grund dafür könnte sein, daß vor allem konvektive Niederschläge zunehmen sollen, also Regen, der kleinräumig fällt, wenn die Sonne die Luft am Boden stark erwärmt und sie dadurch aufsteigt. Andreas Becker:

    "Nun haben diese kleinräumigen Niederschläge den Nachteil, daß sie nicht unbedingt dort fallen, wo gerade der Regenmesser steht. Und damit steht zumindest die Hypothese im Raum, daß eventuell ein positiver Trend von einem stationsbasierten Messnetz nicht ordentlich erfasst wird."

    Unter Umständen muss es auch noch wärmer werden, um eine Zunahme der Niederschläge tatsächlich nachweisen zu können:

    "Es gibt Arbeiten, die sagen, wir müssten so bei 1,4, 1,5 Grad global erst ankommen, bevor wir messbar auch im Niederschlag einen Trend sehen."

    Auf welche Art der Klimawandel Wetterextreme begünstigen könnte, dazu veröffentlichten Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erst kürzlich eine Studie. Weil sich die Arktis stark erwärmt, verringert sich demnach das Temperaturgefälle zwischen Polarkreis und Tropen. Dadurch gebärden sich planetarische Wellen in der Atmosphäre nicht mehr so wild. Normalerweise laufen sie mit riesigen Schlenkern um den ganzen Erdball. Doch durch die Angleichung der Temperaturen kommt dieses Schlenkern beinahe zum Stillstand - so jedenfalls die Theorie der Forscher, zu denen auch der russische Geophysiker Vladimir Petoukhov gehört:

    "Diese Wellen werden in den mittleren Breiten praktisch eingefangen. Und sie sind es, die Warmluft-Keile und Kaltluft-Tröge ausbilden und so Hoch- und Tiefdruckgebiete hervorbringen."

    Auf diese Weise könnten langlebige Tiefdruckgebiete über Zentraleuropa begünstigt werden, wie sie jetzt wieder vor dem Hochwasser auftraten. Bestätigt ist diese Theorie aber noch nicht. Für Wetterdienst-Experte Andreas Becker ist aber auf jeden Fall unstrittig, ...

    "... daß sich etwas ändert in den Extremen. Und die Frage muss vielleicht eher gestellt werden: Was denn anderes als die Klimaerwärmung kann die Ursache dafür sein? Und da fällt mir eigentlich nicht viel ein."