Adalbert Siniawski: Eine deutsche Agentur bereitet ihre neue Imagekampagne vor. Sie soll Afrika als Markt der Zukunft bewerben. Die Idee: Ein Portrait Kinshasas als aufstrebende Modehauptstadt. Das Filmteam reist also in den Kongo. Dann zu den Einkäufern auf den Textilgroßmärkten in China. Und schließlich nach Deutschland, wo eine große Fashion-Show des Labels "Kinshasa Collection” steigen soll.
"Kinshasa Collection" - so heißt auch ein Dokumentarfilmprojekt, das diese halb-fiktive Film-im-Film-Geschichte und das globale Vertriebsgeflecht im Textilhandel als fünfteilige Webserie zeigen will, mit Mode- und Filmleuten aus dem Kongo, China und Europa. Leiterin und Regisseurin ist Dorothee Wenner – willkommen zum Corsogespräch!
"Die sehen einfach fantastisch aus"
Dorothee Wenner: Hallo!
Adalbert Siniawski: Was macht die Modeszene von Kinshasa für Sie als Regisseurin zum spannenden Stoff für einen Dokumentarfilm?
Dorothee Wenner: Mode ist etwas, was ich für ganz ungewöhnlich halte, wenn man sich mit Afrika beschäftigt, da kommt man vielleicht als letztes drauf. Als ich das erste Mal da war, sind mir die Augen übergegangen, wenn man es so sagen darf, vor der Art und Weise, wie die Leute sich dort kleiden, wie viel wert man zeitlich und finanziell investiert, um toll auszusehen. Das ist wirklich so der totale Kontrast zu - sagen wir mal - Kreuzberg, wo man auch mal so im ollen Trainingsanzug zum Späti schlappt.
Sowas machen die Leute in Kinshasa nicht, die sehen einfach fantastisch aus. Und wie sie das machen, der Stil, das Styling, was da zusammenkommt, war für mich ein ganz zentral interessanter Moment, sowohl Projektionen von uns auf Afrika, von Afrika auf uns, und um das neue Verhältnis zu China zu thematisieren. Alles hoffentlich auf eine Art und Weise, die Leute, dich sich sonst nicht unbedingt für den Kongo interessieren, da mal in die Richtung gucken zu lassen.
Adalbert Siniawski: Die chinesische Seite dürfte bei dem Projekt vielleicht nicht gut wegkommen: In der Pressemappe wird auf den so genannten Jahrhundertdeal von 2007 zwischen China und Kongo verwiesen, der das afrikanische Land am Ende auf vielen Ebenen in eine große Abhängigkeit gebracht hat. Zum Beispiel werden - wenn wir zum Thema Mode kommen - Stoffe und Näher verdrängt, der Handel mit Plagiaten boomt. Und Kleidung wird aus China importiert. Wo ist da der Profit für die Kongolesen?
Dorothee Wenner: Profit, finanziell, ist wahrscheinlich etwas schwierig zu benennen. Vorab muss man vielleicht sagen, dass unsere Art und Weise, wie wir unsere Altkleider nach Afrika verschicken und dabei denken, wir tun was Gutes und dabei genau so den Leuten, dem Textilmarkt im Kongo, aber auch in anderen afrikanischen Ländern, das Leben schwer macht. Da, wo ich denke, dass die Kongolesen davon profitieren: dass sie wissen, daraus einen eigenen Stil zu machen. Es gibt ein Lingala-Wort, das ist so was wie ein Leitmotiv unseres Projekts geworden: kizoba zoba - gibt es übrigens auch schon als Song zu unserer Webdokumentation. Und das heißt, ganz schnell übersetzt: Ich nehme mir alles, was mir gefällt und baue das so zusammen zu einem Stil, der meiner ist. Und das macht die Stärke glaub ich aus, die Mode in Kinshasa von anderen Städten unterscheidet.
Wir haben noch länger mit Dorothee Wenner gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
"Eine Form von Upcycling"
Adalbert Siniawski: Das heißt, das ist so eine Art von Upcycling, Recycling, wie will man's sagen? Also eigentlich eine Kombination von chinesischen Produkten, die dann auf dem afrikanischen Markt da zusammengefügt werden.
Dorothee Wenner: Genau. Das ist ja bei uns hier auch im Moment so ein Riesenthema in der Modebranche, und genau das passiert auch auf den Märkten in Kinshasa. Also wenn man da hingeht und Secondhand-Kleidung kauft, dann wird die upgecycled - und zwar schneiden die das oder drucken noch so ein Versace-Logo drauf oder besticken was. Das ist ja auch eine Form von Upcycling, mit der dann die T-Shirts von uns teurer verkauft werden, als man sie aus diesen "balance frip", sagt man in Kinshasa, wie man die dann bekommt. Und diese Aufbereitungsform, die gibt es dort, wie auch bei uns, in Kinshasa - und das ist auch ein Teil der Modenschau, die wir präsentieren wollen, wo Upcycling auf eine ganz andere Weise funktioniert, aber eigentlich die gleiche Motivation hat.
Adalbert Siniawski: Aber können den diese Kleinunternehmer im Kongo gegenüber den Importen aus China bestehen?
Dorothee Wenner: Naja, da hat sich unterhalb der offiziellen Regierungsebene - die Krankenhäuser und Schulen, Eisenbahnlinien, alles mögliche bauen - unten drunter hat sich etwas entwickelt wie ein Ameisenverkehr und der funktioniert allerdings ziemlich toll. Unheimlich viele Kleinunternehmer, die gehen mit sehr großem Abenteuertum und leeren Koffern zum Beispiel von Kinshasa aus nach Guangzhou, füllen diese Koffer, verkaufen die Sachen mit ziemlich großem Gewinn und fahren das nächste Mal vielleicht schon hin und haben ein paar Quadratmeter Container, die sie rüberschaffen in den Kongo. Dieser Ameisenverkehr, heißt so in der Literatur inzwischen, "Grassroot Globalization". Also es tut sich unten drunter was. Wer davon an welchen Stellen profitiert, ist nicht immer ganz einfach herauszufinden.
Adalbert Siniawski: Welche Rolle spielt Europa in diesem Geflecht in der Textilbranche?
Dorothee Wenner: Das ist natürlich interessant: Die europäischen Marken sind sowas wie ein Referenzmodell. Es ist auch interessant zu überlegen, warum und wieso sind die europäischen Marken - also besonders Versace ist sehr, sehr beliebt im Kongo - warum sind die so beliebt und was macht man damit und wie eignet man sich die an? Und zwar sowohl kreativ, modisch, finanziell, aber auch faktisch. Wo kommt das Zeugs her, diese ganzen Kopien? Das ist das eine. Und auf der anderen Seite finde ich es spannend, dass die großen Marken irgendwie im Moment Afrika wahrscheinlich beobachten, also wenn man sich zum Beispiel die neue Gucci-Kollektion anguckt, da hatte ich den Eindruck, die Designer da sind erstmal nach Kinshasa geflogen und haben sich da inspirieren lassen.
"Wir versuchen, das Publikum zu piratieren"
Auf der anderen Seite ist es so, dass selbst über die Markenpiratierie eine Reputation erzeugt wird. Dass die Marken nur davon Verluste machen, dass im großen Stil an dieser Reputation gearbeitet wird, insbesondere in Ländern wie zum Beispiel Kongo, wo es durchaus eine ganze Menge Leute gibt, die in der Lage sind, sich auch die Originale zu kaufen, aber sehr viel mehr andere kaufen sich eben auf den Märkten die Kopien. Das ist ja nicht so, dass das ganz ohne Nebeneffekt ist. Ich glaube, dass es viele Marken gibt, die sich wahnsinng darüber freuen würden, wenn sie piratiert würden. Und das haben wir eben auch versucht, in unserem Web-Dokumentarfilm uns zu Nutze zu machen, weil wir versuchen ja auch, das Publikum zu piratieren.
Adalbert Siniawski: Das heißt?
Dorothee Wenner: Wir haben ja keinen klassischen Dokumentarfilm gemacht, sondern ein Web-Dok. Und im Unterschied zu einer analogen Form des Filmemachens gibt es bei uns Abzweigungen und Möglichkeiten, so rhizomartig zu erzählen. Zum anderen haben wir aber auch mit kongolesischen und chinesischen Filmemachern zusammengearbeitet, die zum Thema eigene Filme gemacht haben, die sowas sind wie Ergänzungen, manchmal ein bisschen konträre Blicke auf das sehr, sehr große Feld. Und da kann man sich als Zuschauer oder als Web-User nach seinen eigenen Vorstellungen weiterklicken, das ist weniger ein Gaming als eine neue Form des Geschichtenerzählens, wo wir versucht haben, auch so Internet-Sehgewohnheiten ästhetisch und narrativ weiterzuentwickeln, dass wir hoffen, dass das funktioniert für neuere und jüngere Zuschauerschichten.
Adalbert Siniawski: Der Kongo ist ein von mehreren Bürgerkriegen ausgezehrtes und wirtschaftlich sehr unterentwickeltes Land. Der Osten des Landes ist immer noch im Aufruhr. Mode dürfte das letzte sein, womit sich die durchschnittliche Bevölkerung beschäftigt, oder?
Dorothee Wenner: Ja, ich glaube, das ist genau die Fehleinschätzung. Ich glaube, der Kongo ist deswegen interessant, weil im Kongo alles nochmal ein bisschen viel extremer ist, als in vielen anderen Ländern, was natürlich mit der extremen Kolonialgeschichte zutun hat. Gerade deswegen gibt es im Kongo eine Tendenz, Mode wichtig zu nehmen, weil darin immer auch so ein Statement enthalten ist, nämlich zu sagen: Ich, als Kongolese oder Kongolesin, ich möchte mich nicht dem aussetzen, dass ihr von außen denkt, das sind die armen Afrikaner, die kein Selbstbewusstsein haben. Da ist ein Akt des politischen Widerstands drin, sich gut zu kleiden.
Und zwar interessanterweise im Kongo bereits seit 1923, da war nämlich der erste Afrikaner, der sich getraut hat, sich so anzuziehen wie seine Kolonialherren, im schicken Anzug, und seither gibt es diese Bewegung La Sape oder die Sapologie, wo sich vor allem Männer so schick kleiden, dass man sich auf jeden Fall sogar in Paris oder in London nach ihnen auf der Straße umdreht - und erst recht in Kinshasa. In Kinshasa ist es eine Massenbewegung und es gibt so vorsichtigen Schätzungen nach 30.000 Leute, die sich quasi hauptberuflich mit dem Sich-Stylen für die Straße beschäftigen, und sie sprechen gerne auch davon, dass das für sie eine Religion ist.
Adalbert Siniawski: Und am Ende der Dokumentarfilm-Serie kann man sich ja auch als deutscher Besucher von Museen einen Eindruck davon verschaffen. Es entsteht nämlich eine "Kinshasa Collection", die am 11. August im Haus der Kulturen Berlin präsentiert wird. "Kinshasa-Collection" ein Dokumentarfilm, Projekt und eine Modenschau unter der Leitung von Dorothee Wenner, der Produktionsfirma Pong Film und des Goethe-Instituts Kinshasa. Am 28.7 ist die erste und dann alle zwei Wochen eine neue Episode zu sehen unter www.kinshasa-collection.com. Viel Erfolg und viel Spaß.
Dorothee Wenner: Dankeschön.
Adalbert Siniawski: Danke für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.