Anja Buchmann: Herr Bräuer, können Sie sich nun wirklich freuen? Haben die Programmkinos die Trendwende erreicht?
Christian Bräuer: Also prinzipiell sind wir in einer ganz guten Phase für die Kinos, in dem Sinn können wir uns freuen. Während noch vor ein paar Jahren viele Kinos gar nicht wussten, wie sie die Digitalisierung finanzieren können, wir ja auch ein Kinosterben - gerade in kleinen Orten - hatten, beobachten wir jetzt, dass auf einmal wieder Kinos aufmachen - gerade auch im Filmkunstbereich. Dass Betreiber ihre Kinos modernisieren oder erweitern und wir auch eine neue Generation junger Betreiber mit ganz neuen Ideen haben, wie sie die Filminhalte an das Publikum bringen.
Buchmann: Auf diesen Generationenwechsel möchte ich gleich noch mal kurz zu sprechen kommen. Zunächst mal: Wie haben sie denn - also die meisten Kinos - wie sind sie denn dann doch wiederum mit der Digitalisierung umgegangen, dass sie es dann letztlich doch scheinbar einigermaßen überlebt haben?
"Kinos können sich heute auf verschiede Publikumsschichten einlassen"
Bräuer: Also Hintergrund und Hilfe war natürlich ein sehr gut konzertiertes Förderprogramm von Bund und Ländern. Die Digitalisierung ist dermaßen teuer - auch weil die Kinos Hollywood-Standards erfüllen müssen -, dass das für viele kleine Einheiten gar nicht zu leisten war. Und er gab konkrete Förderungen vom Bund, also von der Bundesregierung, der Filmförderungsanstalt und den Bundesländern und ja, diese Filmförderungen zahlen die Filmkunstkinos jetzt praktisch zurück. Sie erweitern ihre Programme, flexibilisieren die, während früher vielleicht im Jahr um die 1000 Filme gezeigt wurden, zeigen jetzt die Kinos schon 5000 Filme im Jahr, das heißt: Sie können sich auch auf verschiede Publikumsschichten einlassen.
Buchmann: Werden dann jetzt auch mehr Blockbuster gespielt, um eben auch höhere Zahlen zu erreichen oder zumindest Blockbuster auf der zweiten Reihe?
Bräuer: Also die Filmkunstkinos hatten schon immer ein vielfältiges Programm. Wir haben auch nicht die ganz bestimmte Definition, das heißt, es gibt gerade in großen Städten Kinos, die ein sehr experimentelles Programm haben. Es gibt natürlich in der Fläche auch Kinos, die auch Crossover oder Mainstream-Filme zeigen. Generell ist es so, dass es natürlich Filme gibt wie James Bond, die interessieren natürlich auch klassische Filmkunstgänger.
Buchmann: Aber haben die zugenommen jetzt?
"Zwiespalt zwischen Wirtschaftlichkeit und kulturellem Anspruch"
Bräuer: Das ist unterschiedlich von Standort zu Standort. Wir beobachten im Gegenteil aber, dass die Kinos ihre Programme weiter flexibilisieren, dass sie auch kleinen Filmen eine Chance geben, spezielle Programme, Reihen dafür anfertigen, kleine Festivals veranstalten. Das heißt für die Kinos: Sie sind ja immer in einem Zwiespalt zwischen Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite und kulturellem Anspruch auf der anderen Seite. Und natürlich brauchen Kinos auch Filme, die Zugkraft haben. Das kann oder sind immer wieder crossover-orientierte Blockbuster, das ist aber gerade im Moment zum Beispiel "Vor der Morgenröte" oder "Toni Erdmann", herausragende deutsche Filme.
Buchmann: Sie sind sagen wir mal verhalten positiv, andererseits las man auch am Wochenende, zum Beispiel bei Spiegel Online, im ersten Halbjahr 2016 sei die Zahl der Kinogänger im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 9,3 Millionen gesunken und auch der Umsatz sank um 62 Millionen. Das bezieht sich jetzt natürlich nicht alleine auf die Programmkinos, sondern alle Kinos, dennoch: Was stimmt nun? Wie sieht es nun eigentlich aus?
Bräuer: Also wir müssen immer die aktuelle Entwicklung mit dem langfristigen Trend vergleichen und ja, im ersten Halbjahr war eine Fußball-Europameisterschaft, das wirkt sich immer aus, und dann: Die Kinos sind eben von einzelnen Filmen abhängig. Viele Kinos holen aber auch jetzt schon wieder auf, liegen jetzt schon wieder auf Vorjahreswert.
Buchmann: Sie haben auch vorhin den Generationenwechsel zum Teil bei den Kinomachern angesprochen. Wie sieht denn dann das neue Programmkino aus? Was machen die Jungen anders? Ist das Kino ein bisschen mehr Event als das früher war?
"Die Kinobetreiber insgesamt sind umtriebiger geworden"
Bräuer: Das ganz sicher. Ich glaube die Kinobetreiber insgesamt sind umtriebiger geworden und sie nutzen auch viel stärker als bisher die sozialen Medien - auch zur Interaktion mit dem Publikum. Das ist ja das, was die Filmkunstkinos, die kleinen Kinos, immer stark gemacht haben. Sie kennen ihr Publikum und sie nutzen jetzt auch diese Tools, um Publikum zu erreichen.
Buchmann: Aber apropos neue Medien: Hat dann wiederum die Etablierung von Video-Streaming-Plattformen wie Netflix, Amazon und so weiter vielleicht dann doch auch einen negativen Einfluss auf das Kinoverhalten der Menschen?
Bräuer: Das ist eine große Herausforderung für die Branche - zumal man sehen muss, dass diese Global Player oft auch eine Marktbeherrschung anzielen und damit natürlich die Kinos herausfordern, indem sie zum Beispiel den besonderen Schutz, den die Kinos haben, indem Filme eben zuerst im Kino starten und dann woanders zu sehen sind, in Frage stellen. Trotzdem: Wir lieben ein soziales Leben, wir wollen mit unseren Partnern, wie wollen mit unseren Freunden was machen - und diese Besonderheit, die hat das Kino, und damit ist es einer der verbliebenen kollektiven Räume. Und das ist denke ich auch unser Wert.
Buchmann: Christian Bräuer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Kino - Gilde deutscher Filmkunsttheater zur verhalten positiven Zukunft der Programmkinos. Mehr als 300 Kinos haben sich mittlerweile im Branchenverein Arbeitsgemeinschaft Kino - Gilde zusammengeschlossen, der übrigens im September die 16. Filmkunstmesse in Leipzig veranstaltet. Vielen Dank, Herr Bräuer.
Bräuer: Danke, Frau Buchmann.
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