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Treuhandanstalt
Transformation einer Volkswirtschaft

45 Kilometer Akten hat die Treuhandanstalt hinterlassen, die für Sanierung, Privatisierung oder Schließung von rund 8.500 DDR-Betrieben zuständig war. Ein Forschungsprojekt des Institut für Zeitgeschichte stellt die Akteure der Privatisierungspolitik in den Mittelpunkt.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger |
    1992 brachten Aktivisten in Thüringen ein Schild an: Treuhand-Mitarbeiter unerwünscht!
    1992 brachten Aktivisten in Thüringen ein Schild an. Die Botschaft: Treuhand-Mitarbeiter unerwünscht (Zentralbild / dpa)
    "Es hat ja eine neue Debatte um die Treuhandanstalt begonnen. Die einen, wahrscheinlich eher die, die auch selbst in der Treuhandanstalt tätig waren, sagen, wir haben alles richtig gemacht. Und dann gibt es Menschen, die haben ihren Arbeitsplatz verloren. Die sagen, daran war die Treuhandanstalt schuld. Wir wissen eigentlich noch viel zu wenig über die Treuhand-Tätigkeit und ihre Langfrist-Folgen."
    Fast 30 Jahre nach ihrer Gründung gegen Ende der DDR-Zeit haftet der Treuhandanstalt immer noch ein negatives Image an, sagen Wissenschaftler wie Dr. Gerhard Heimpold vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Das hat auch mit einem ihrer Akteure zu tun, den vielen Beratern, deren Knowhow damals benötigt wurde.
    Unternehmensberater unterstützten die Behörde
    Beim Aufbau der zunächst kleinen Behörde etwa holte Detlev Karsten Rohwedder, ab August 1990 ihr erster Präsident, den Unternehmensberater Roland Berger sowie professionelle Headhunter ins Haus. Dabei entstand die Idee, Treuhandmanager für schnelle, umfassende Privatisierungen finanziell zu belohnen. Beraterteams spielten aber auch bei der praktischen Arbeit eine Schlüsselrolle und unterstützten die Behörde dabei, die früheren DDR-Betriebe zu bewerten, sagt der promovierte Historiker Marcus Böick von der Ruhruniversität Bochum.
    "Und das ist eigentlich auch das wichtigste Feld meiner Meinung nach: gerade die Bewertung der Unternehmenskonzepte im Leitungsausschuss, die durch die Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater passiert. Das ist eine wichtige Weichenstellung, die man nicht unterschätzen soll. Weil hier wird auch mit darüber entschieden: Ist ein Unternehmen privatisierungsfähig oder muss es abgewickelt werden? Und das ist bis heute so ein Feld, das ein bisschen im Halbschatten liegt, aber sehr wichtig für die Praxis ist."
    Der unabhängige Leitungsausschuss umfasste mehrere 100 Wirtschaftsprüfer, Finanzmanager und Bankexperten. Sie entschieden im Auftrag des Bundesfinanzministeriums auf der Grundlage betrieblicher Kennziffern über das Schicksal der Unternehmen. Gerade in der frühen Phase der Treuhandanstalt sei ein Großteil der Prozesse informell, über Telefonate und auf Zuruf erfolgt, sagt der Experte in Sachen Treuhand, Marcus Böick.
    "Man sitzt quasi überall mit am Verhandlungstisch. Und das gab natürlich auch den Anlass zu öffentlichen und politischen Debatten über mögliche Loyalitätskonflikte, über Interessenkollisionen, weil man an allen Tischen gleichzeitig saß."
    Viele andere staatliche Akteure
    Zweifellos hat die Behörde bis Ende 1994 die entscheidende Rolle beim Umbau der ostdeutschen Wirtschaft gespielt. Viele andere Akteure müssen jedoch stärker in den Blick genommen werden, betont Prof. Dierck Hoffmann, Projektleiter am Institut für Zeitgeschichte:
    "Das sind zum einen die Landesregierungen, die nach ihrer Gründung dann Anfang 91, nach den Landtagswahlen im Herbst 1990, sehr stark die eigenen Länderinteressen vorgebracht haben und versucht haben, auch politische Einflussnahme auszuüben. Weil sie waren vor Ort betroffen von ansteigender Massenarbeitslosigkeit. Wichtig sind natürlich auch die Bundesministerien, das Bundeskanzleramt, das Bundesfinanzministerium als aufsichtsführende Behörde und das Bundeswirtschaftsministerium. Also welche Ideen standen hinter der Privatisierung der Volkseigenen Betriebe, hier kommt langsam Licht auch ins Dunkel."
    Industrielle Kerne sollten ostdeutsche Wirtschaft stärken
    Zum Beispiel die Idee, sogenannte industrielle Kerne zu definieren und durch ihren Erhalt die ostdeutsche Wirtschaft zu stabilisieren. Der Begriff sei damals sehr kontrovers diskutiert worden, sagt Gerhard Heimpold.
    "Die Treuhandanstalt selbst und ihre Präsidentin, Frau Breuel, sah industrielle Kerne an als die entwicklungsfähigen Potentiale eines Treuhandunternehmens – also den Kern im Kern. Und die Landesregierungen, die Gewerkschaften, sie hatten die Sorge, dass wenn die Industrie mal aus einer Region verschwindet, von einem Standort verschwindet, dass es dann ganz schwer würde, dort wieder etwas Neues aufzubauen. Deshalb haben sie sich auch so vehement eingesetzt für den Erhalt und die Modernisierung dieser industriellen Kerne."
    Zum Beispiel das frühere Kombinat Carl Zeiss Jena. Das Traditionsunternehmen gehörte ursprünglich der Carl-Zeiss-Stiftung und wurde 1948 enteignet. Leitende Mitarbeiter gründeten nach 1945 in Baden-Württemberg unter dem gleichen Namen ein weiteres Unternehmen sowie eine Stiftung. Bis zum Mauerfall konkurrierten Zeiss Ost und West um die Namens- und Warenzeichenrechte.
    Als neue Eigentümerin von Zeiss Ost musste die Treuhandanstalt entscheiden, wie der Betrieb und die noch bestehende Stiftung mit dem westlichen Pendant zusammengeführt werden konnte – ohne den Thüringer Standort zu schließen. Prof. André Steiner vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam hat als erster in den Akten der Unternehmen und der Treuhand geforscht:
    "Dieser Prozess wurde im Frühjahr 1991 bis zum Sommer 1991 abgeschlossen, in zum Teil sehr dramatischen Sitzungen offensichtlich, die dort bei der Treuhand stattgefunden haben, wo es auch um die finanziellen Konditionen letztendlich ging, die die Treuhand für Zeiss West zur Verfügung stellen sollte, damit die Jena übernehmen. Das ist nur damit zu erklären, dass Zeiss Jena natürlich ein Vorzeigeunternehmen der DDR ehemals war und von Thüringen aus einer längeren Tradition heraus, und sich das niemand leisten konnte – auch die Treuhandverantwortlichen haben selber formuliert: Das wäre für uns eine Niederlage, wenn Zeiss in Jena schließen müsste."
    Der Wirtschaftshistoriker spricht von einer politischen Entscheidung. Zwar ging in den 90er Jahren ein Großteil der ehemals rund 30.000 Arbeitsplätze verloren. Dennoch habe die Treuhandanstalt eine eher konstruktive Rolle gespielt. Aus dem Jenaer Standort gingen drei Unternehmen sowie etliche Ausgründungen hervor.
    Landesregierung im Widerspruch zur Treuhandanstalt
    Auch Kurt Biedenkopf versuchte Anfang der 1990er Jahre, eine starke Position gegenüber der Treuhandanstalt einzunehmen. Projektleiter Dierck Hoffmann untersucht die Kommunikationsstrategie des CDU-Ministerpräsidenten und zeigt sich überrascht, dass der sächsische Landesvater in Anlehnung an Helmut Kohl von einem 'blühenden Sachsen' sprach – ein Bild, das er später korrigierte.
    "Er hat öffentlich in der Anfangszeit ein betont kritisches Verhältnis zur Treuhandanstalt gehabt. Er hat schon den Konflikt mit Herrn Rohwedder, dem Präsidenten der Treuhandanstalt nicht gescheut, auch öffentlich geführt und versucht, die Position der sächsischen Landesregierung deutlich zu machen und dadurch zu punkten, um ein gewisses Wir-Gefühl zementieren zu können."
    Eine schwierige Position, sagt Hoffmann: Als Landesvater musste Biedenkopf die Interessen Sachsens vertreten und zugleich im Verwaltungsrat der Treuhand die Privatisierungsentscheidungen des Vorstandes mittragen.
    Die Kommunalvertreter strukturschwacher Regionen beklagten sich über die sächsische Landesregierung:
    "Und da gibt es also einen wunderbaren Ausspruch auch von einem Landrat: 'Christus kam bis Eboli, Kurt Biedenkopf aber nur bis Dresden. Das zeigt so ein bisschen – und das ist ein Grundproblem nicht nur in Sachsen gewesen sondern in vielen anderen ostdeutschen Bundesländern auch -, dass es hier um das recht frühzeitig aufkommende Gefühl in weiten Teilen ländlicher Regionen auch geht, wirtschaftlich auch abgehängt zu werden."
    Neue Strategie: Mittelstand fördern
    Je schwieriger der Transformationsprozess sich gestaltete, um so mehr suchte die Treuhandanstalt nach neuen Strategien. Eine davon bestand darin, nach westlichem Vorbild mittelständische Betriebe zu fördern und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen, sagt der Historiker Max Trecker vom Institut für Zeitgeschichte.
    "Mittelstand ist ein integraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Sie haben hier ein sehr sozioökonomisches Experiment. Man versuchte, das Erfolgsmodell zu übertragen und eigentlich eine Schicht von Menschen überhaupt erst zu schaffen, die es eigentlich in der DDR per definitionem nicht gegeben hat. Wie machen Sie das? Welche Erwartungshaltungen verbinden Sie damit? Wie werden die Erwartungshaltungen angepasst im Laufe des Bestands der Treuhandanstalt?"
    Bis zum Ende der DDR hatte sich zwar eine kleine Anzahl privater Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen gehalten, so Max Trecker. 1972 aber seien schätzungsweise 12.000 mittelständischer Betriebe enteignet worden. Die Treuhandanstalt beteiligte sich daran, einen Teil davon an die früheren Besitzer zurück zu übertragen.
    Eine zweite Variante waren so genannte Management-Buyouts. Als die großen DDR-Kombinate zerschlagen wurden, konnten frühere leitende Angestellte Teile davon kaufen und selbst Unternehmer werden. Zwar sei diese Form der Privatisierung politisch nicht so erwünscht gewesen, weil es sich häufig um ehemalige Kader und SED-Parteimitglieder handelte. Doch entstanden auf diese Weise mehrere tausend mittelständische Betriebe.
    Erwartungen nicht erfüllt
    "Man kann aber sagen, dass sich die großen Erwartungshaltungen von 89/90 nicht erfüllt haben. Der Mittelstand in Ostdeutschland existiert natürlich heute, er ist aber bei weitem wirtschaftlich nicht so potent wie in den alten Bundesländern. Man muss aber auch sagen, das hat eine historische Abhängigkeit. Das eine bedingt das andere. Weil viele mittelständische Unternehmer schon vor 1961 abgewandert sind aus dem Thüringischen, Sächsischen und dem Berliner Raum nach West-Deutschland."
    Eine Geschichte der Treuhandanstalt kann nach Ansicht der Wissenschaftler nur geschrieben werden, wenn sie einerseits mit der Vorgeschichte der maroden DDR-Betriebe verknüpft wird, andererseits mit politischen Entscheidungen wie der Wirtschafts- und Währungsunion.
    Dabei dürften externe Faktoren wie die Krise der Stahl- und Chemiebranche ebenso wenig vergessen werden wie die Tatsache, dass die Treuhand alles andere als ein autonomer Akteur war.
    "Nach außen hin stand die Treuhandanstalt als alleinige Entscheiderin da, oder wurde so auch wahrgenommen. Und ich habe den Eindruck, das bestätigt sich auch bei vielen Forschungen, dass die anderen Akteure das auch sehr gerne in Kauf genommen haben, dass wir hier einen zentralen Akteur haben, der als Blitzableiter auch dienen konnte."