Bewegungstherapie bei Long Covid
Die Dosis ist entscheidend

Immer noch kämpfen etwa 6-15 Prozent der Corona-Infizierten in Deutschland mit Long Covid. Das S.P.O.R.T.-Institut versucht, mit einer speziellen Bewegungstherapie den Betroffenen zu helfen. Jetzt gibt es erste Forschungs-Ergebnisse zur Wirkung.

Von Sabine Lerche |
Zwei Sportler*innen trainieren auf Radergometern. Nur die Beine sind zu sehen.
Spezielle Ergometer helfen beim Training von Long-Covid-Patienten. (Symbolbild) (imago images / Shotshop / Frank Röder via www.imago-images.de)
„Wenn wir von Sport sprechen, dann müssen wir auch darüber sprechen: Mit welcher Dosis denn überhaupt? Und das ist ein ganz großes Problem, dass es bisher noch gar keine richtige Anleitung über die Dosierung des richtigen Sports gibt“, sagt Sportwissenschaftler Björn Haiduk.
Die Teilnehmer der TRIBAL-Studie im S.P.O.R.T.-Institut in Overath bei Köln sitzen auf speziellen Ganzkörperergometern, wie auf einem Fahrrad treten sie in die Pedale. Parallel dazu haben sie bewegliche Stangen wie bei einem Stepper in der Hand. Betreut werden sie von Haiduk, dem Geschäftsführer des S.P.O.R.T.-Instituts.
Er nutzt die speziellen Ganzkörpertrainingsgeräte für die Behandlung von Long Covid-Betroffenen, weil sich damit Belastungen sehr fein steuern lassen und so vermieden werden soll, dass sich der Gesundheitszustand durch Überbelastung verschlechtert. Die Idee der TRIBAL-Studie ist: Die Long-Covid-Betroffenen trainieren immer knapp unter ihrer persönlichen Belastungsgrenze. Durch das stufenspezifische Ausdauertraining soll sich diese Belastungsgrenze Stück für Stück nach oben verschieben und damit auch die Belastungstoleranz und Leistungsfähigkeit steigen.

Steigerung über fünf Phasen

Das Ziel: Symptome wie die krankhafte Erschöpfung "Fatigue" und die Belastungsintoleranz verringern und wieder arbeitsfähig werden, erklärt Haiduk: „Arbeitsfähig bedeutet in dem Sinne einen kompletten Arbeitstag keine funktionalen Einschränkungen, keine Einteilung der Arbeit. Ohne dass sie sagen, ich brauche hier eine bestimmte Sonderbehandlung, weil ich das eben körperlich nicht schaffe.“
Mittlerweile umfasst das Programm 143 Patienten und Patientinnen, sie haben einen Long Covid-Schweregrad von zwei oder drei: „Zu gesund fürs Bett, aber noch zu schwach, um ihren Alltag zu bewältigen“, sagt Haiduk. Das Programm umfasst zwei Trainingseinheiten pro Woche und insgesamt fünf Phasen, in denen sich die Belastung mit steigender Leistungsfähigkeit erhöht.
„Ich hatte eine sehr gute Phase und hatte sehr viele Fortschritte gemacht, was dazu geführt hat, dass ich im April dann auch eine Wiedereingliederung gestartet habe. Zum ersten Mal seit über zwei Jahren selber mit dem Auto zur Arbeit fahren - das war ein total verrücktes Gefühl“, erzählt Sascha Rogosz, der an der TRIBAL-Studie teilgenommen hat. „Meine Zahlen sind immer weiter gestiegen, sodass ich dann auch in die fünfte Stufe gerutscht bin. Wo mir noch signalisiert wurde, das ist die Stufe, wo dann die meisten den Sprung zurück ins Leben schaffen.“

Im Schnitt 245 Tage für das Programm

Elf der Teilnehmer sind bisher austherapiert. Allerdings braucht das einen langen Atem: Im Schnitt benötigen die Patienten 245 Tage, bis sie das Programm nach der letzten Phase beenden. Langzeitdaten gibt es noch nicht. Es ist auch noch nicht untersucht, ob die Patienten nach dem Programm in ihrem Gesundheitszustand stabil bleiben.
Sascha Rogosz hat eine Mandelentzündung zurückgeworfen. Durch das Training in Overath ist die Entzündung immer wieder ausgebrochen, schließlich musste er die Therapie abbrechen: „Das war am Anfang unfassbar hart. So viele Dinge, die ich Anfang 2024 zurückbekommen habe, einkaufen gehen können, ein Spieleabend, ich war Trauzeuge bei meinem Trauzeugen auf der Hochzeit. Das waren so viele Dinge, die funktioniert haben, die vorher nicht funktioniert haben. Und dann bin ich schon in ein großes Loch gefangen.“ Die Bewegungstherapie hat Rogosz nicht wieder aufgenommen.
Krankheiten, aber auch die Rahmenbedingungen des Programms führen bei manchen Teilnehmern dazu, dass sie die Behandlung abbrechen. Der Zeitaufwand ist hoch und der Weg nach Overath kräfteraubend, das weiß auch Björn Haiduk: „Es ist momentan noch ein sehr sperriges System, das wissen wir auch. Aber wir haben mittlerweile sechs Partner.

Forscherin Grau: Körperliche Aktivität hilft allen Patienten

Haiduk versucht, als Multiplikator die Behandlungsmethode auch an andere Praxen weiterzugeben. Dabei hilft auch ein neu entwickeltes digitales Programm. Damit wird das Training gesteuert: Es ist mit den Gesamtkörperergometern verbunden und kann sehr genau die Trainings- und Gesundheitsdaten messen und auswerten.
Mit den Daten forschen auch Marijke Grau und ihr Team an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Mittlerweile gibt es erste Ergebnisse: „Zum einen: Dass körperliche Aktivität ein wesentlicher Bestandteil in der Therapie von Long Covid-Patienten sein sollte, weil Symptome dadurch verbessert werden können. Und dass es auch keine Rolle spielt, ob Männer oder Frauen therapiert werden, und wann die Therapie startet. Positive Veränderungen sieht man in allen Settings, sodass es nie zu früh oder zu spät ist, wirklich auch mit einer Therapie anzufangen.“
Marijke Grau untersucht aber auch die Erythrozyten, die roten Blutkörperchen der Patienten: „Die Long Covid-Probanden, die haben etwa im Schnitt 20 Prozent veränderte Erythrozyten. Und das ist wahnsinnig viel, weil man dann sagen muss, dass jeder fünfte Erythrozyt nicht die normale Form hat und damit wahrscheinlich auch nicht seine normale Funktionalität aufweist, nämlich Sauerstoff vernünftig zu den Zellen zu transportieren.“
Durch die veränderten Erythrozyten ist die Durchblutung in den Kapillaren schlechter und dadurch auch die Sauerstoffversorgung und der Gasaustausch in den Geweben. Inwiefern das mit den Long Covid-Symptomen zusammenhängt und welche Auswirkungen die Bewegungstherapie hat, soll weiter erforscht werden. Noch fehlen wissenschaftliche Daten, um Zusammenhänge zu erklären. Die Trainingsdaten zeigen aber, dass die Bewegungstherapie individuell positive Effekte bei Fatigue und auf die Leistungsfähigkeit haben kann.