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Trifonov spielt Rachmaninow
Jugendliche Kraft und zarte Poesie

Der russische Pianist Daniil Trifonov und das Philadelphia Orchestra hegen eine enge Beziehung zum Schaffen von Sergej Rachmaninow. Davon profitiert auch das neue Album mit den Klavierkonzerten Nummer eins und drei. Am Dirigentenpult steht Yannick Nézet-Séguin.

Am Mikrofon: Marcus Stäbler |
    Der Pianist Daniil Trifonov, neuerdings mit Bart.
    Der gefeierte Pianist Daniil Trifonov. (Deutsche Grammophon)
    Musik: Sergej Rachmaninow, 1. Klavierkonzert, 1. Satz
    Hier lässt ein junger Komponist seine Muskeln spielen. Und es macht ihm spürbar Spaß. 17 Jahre war Sergej Rachmaninow, als er sein erstes Klavierkonzert schrieb. Mit kernigen Blechbläsern und vollgriffigen Akkordkaskaden, die er sich selbst in die Hände legte. Mit dem ersten Satz absolvierte Rachmaninow damals sein Pianistenexamen am Konservatorium in Moskau. Er dürfte seine Prüfer beeindruckt haben.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 1. Klavierkonzert, 1. Satz
    Daniil Trifonov, Yannick Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra verbinden die kraftstrotzende Energie, die diese Musik von ihren Interpreten fordert, mit Sentiment und Süße. Schon hier, im Kopfsatz des ersten Rachmaninow-Konzerts, demonstriert Trifonov seine außergewöhnliche Virtuosität, die das ganze Album prägt und die sich nicht allein auf die Geläufigkeit seiner Finger beschränkt. Sie umfasst auch eine Fülle an Farben und dynamischen Nuancen. Trifonov reizt die Möglichkeiten des Instruments effektsicher aus. Er entfacht ein mächtiges Klangvolumen wie gegen Ende des ersten Satzes, wo Rachmaninow den Flügel in ein zweites Orchester zu verwandeln scheint.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 1. Klavierkonzert, 1. Satz
    Solche Momente sind eindrucksvoll inszeniert und interpretiert. Aber sie entfalten ihre Wirkung auch deshalb, weil Sergej Rachmaninow ein Gespür für die richtige Dosis beweist und den Hörer nicht mit Dauer-Power erschlagen will. Im langsamen Satz seines ersten Klavierkonzerts offenbart der Komponist eine andere, weichere Seite, einen Hang zur Schwermut, die ja auch zu den Markenzeichen seiner Klangsprache gehört.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 1. Klavierkonzert, 2. Satz
    Im Andante verströmen die weit gespannten Melodien eine Atmosphäre von romantischer Melancholie. Sie sind oft den Bläsern anvertraut, deren Linien das Klavier aufnimmt und in seinem Solo fortspinnt. Da muss der Pianist sensibel zuhören und reagieren und mitunter auch die Rolle des Begleiters einnehmen. Für Daniil Trifonov ist das kein Problem, im Gegenteil. Hier profitiert der 28-jährige Pianist von seiner bereits sehr reichen Erfahrung als Kammermusiker, die er etwa im Zusammenspiel mit Gidon Kremer erworben hat. Hellwach und aufmerksam passt sich Trifonov seiner Umgebung und dem Gegenüber an, etwa wenn er in einen Dialog mit dem Fagott tritt.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 1. Klavierkonzert, 2. Satz
    Rachmaninow in der Orchester-DNA
    Beim Komponieren höre er den Klang des Philadelphia Orchestra vor dem inneren Ohr, hat Sergej Rachmaninow einmal gesagt und das Orchester als das beste der Welt gelobt. Mit dem renommierten Klangkörper verband ihn eine besondere Beziehung. Sie entstand schon 1909, während seiner ersten Amerika-Tournee und wurde 1919 noch weiter vertieft, nachdem Rachmaninow vor der Russischen Revolution geflohen und in die USA emigriert war. Auch wenn das jetzt schon hundert Jahre her ist, so gehört die enge Verbindung doch zur DNA des Philadelphia Orchestra.
    Die aktuelle Aufnahme zeugt von dieser Nähe, aber auch vom technischen Topniveau des Klangkörpers. Das Philadelphia Orchestra gilt nicht umsonst als eines der so genannten "Big Five", der fünf führenden Orchester in den USA. Es ist von den Streichern bis in die Solobläser hinein exzellent besetzt und vereint unter Leitung seines Chefs Yannick Nézet-Séguin Brillanz und Temperament mit feinem Sinn für seine wechselnden Aufgaben. In der Rachmaninow-Einspielung ist das Orchester Dialogpartner, Begleiter und manchmal auch Impulsgeber des Solisten und formt den Nuancenreichtum der Interpretation mit. Auch im Hauptwerk des Programms, dem dritten Klavierkonzert.
    "Im Hinblick auf technische, psychologische und emotionale Komplexität ist Rachmaninows drittes Klavierkonzert vielleicht das gewaltigste Unterfangen in der gesamten Klavierliteratur."
    So formuliert Daniil Trifonov seine Ehrfurcht vor dem gut vierzigminütigen Stück, eines der bedeutendsten Werke von Rachmaninow. Über die technischen Schwierigkeiten denkt man aber eigentlich keine Sekunde lang nach, weil Trifonov den Solopart souverän im Griff hat. Das einzige, was wirklich zählt, ist der Charakter der Musik. Und da steht zu Beginn des dritten Konzerts eine kantable Melodie im Vordergrund, die sich fast eine ganze Minute lang verströmt. Der Pianist lässt den Flügel singen, aber nicht mit der Anmutung eines instrumentalen Opernstars, sondern eher wie ein Liedinterpret. Das Thema ist ganz intim und zart modelliert, die Schlusstöne sind von Trifonov so dezent abphrasiert, wie man es in diesem Stück selten erlebt.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 3. Klavierkonzert, 1. Satz
    Turbulenter Balanceakt mit Kitschgefahr
    Virtuoser Glanz und romantische Schwelgerei sind hier zu einer Einheit verschmolzen. In Rachmaninows drittem Klavierkonzert selbst, aber auch in der Interpretation von Daniil Trifonov und dem Philadelphia Orchestra, die bei allem Schmelz trotzdem beweglich bleibt und, anders als manch andere Aufnahme, der Gefahr von kitschiger Klebrigkeit entgeht. Yannick Nézet-Séguin nimmt sich zwar Zeit, besondere Harmoniewendungen und Intervallschritte mit geschmackvollen Rubati hervorzuheben, doch er hält die Musik gleichzeitig immer im Fluss. Auch im zweiten Satz, einem Intermezzo mit der Tempoangabe Adagio.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 3. Klavierkonzert, 2. Satz
    Sergej Rachmaninow beginnt das Adagio seines dritten Klavierkonzerts mit einer langen Einleitung des Orchesters, bevor das Soloinstrument einsetzt. Aus den verhangenen Melodien des Anfangs steuert der Satz nach und nach auf eine Steigerung zu und entfacht dabei in der neuen Aufnahme einen unwiderstehlichen Sog. Die kunstvoll aufgebaute Spannung entlädt sich in einem ekstatischen Höhepunkt, den Daniil Trifonov und das Orchester genüsslich auskosten.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 3. Klavierkonzert, 2. Satz
    Nach der sinnlichen Schwüle, zu der sich das Adagio verdichtet hat, dünnt Rachmaninow den Satz allmählich aus. Er lockert den Charakter mit luftigen Staccati auf, bevor das Finale noch einmal einen ganz anderen Ton anschlägt und den Hörer in einen triumphalen Rauschzustand hinein zieht. Angespornt von einem Solisten, der alle Hände voll zu tun hat und noch einmal mächtig in die Tasten langt. Auch hier stellt die Aufnahme ihr exzellentes Niveau unter Beweis. Daniil Trifonov behält selbst bei rasenden Tastenläufen die Kontrolle und wahrt gemeinsam mit dem Orchester auch in Forte-Passagen immer ein Restmaß an Transparenz, so dass man als Hörer nie im Getümmel untergeht, sondern gebannt das turbulente Geschehen verfolgt.
    Musik: Sergej Rachmaninow, 3. Klavierkonzert, 2. Satz
    Selbst wer dem Schaffen von Rachmaninow grundsätzlich eher mit skeptischer Distanz begegnet, könnte hier Feuer fangen. Weil die Aufnahme eine ideale Balance aus Emphase und Klarheit, aus Musizierlust, romantischer Glut und Sorgfalt findet. Die mitreißende Präsenz von Daniil Trifonov entspringt einer tief empfundenen Begeisterung für die Musik. Sergej Rachmaninow sei für ihn so etwas wie ein Idol, hat der Pianist bekannt. Dem huldigt er auch mit zwei eigenen Bearbeitungen, die das Album als solistische Zugaben abrunden. Trifonov hat einen Ausschnitt aus Rachmaninows "Die Glocken" und dessen Vokalise für Klavier transkribiert und demonstriert auch da, ohne Orchester, eine filigrane Anschlagskultur und sein Gespür für die gedeckten Farben und die minimalen Dehnungen des Tempos, von denen diese Musik lebt.
    Musik: Sergej Rachmaninow, Vokalise
    Destination Rachmaninov - Arrival
    Sergej Rachmaninow
    Klavierkonzerte Nr. 1 & 3
    Daniil Trifonov, Klavier
    The Philadelphia Orchestra
    Yannick Nézet-Séguin
    Deutsche Grammophon