Es sind magische Momente vor der schwarz-weißen Kinoleinwand: Der Kapitalisten-Sohn Freder verliebt sich in die strahlend schöne Maria aus der Unterstadt von Metropolis. "Trioglyzerin" spielen dazu ihr romantisches Leitmotiv. Melodie und Film verschmelzen zu einer Einheit:
"Man kann ja zum Beispiel auch einen Film komplett ironisieren, wenn zum Beispiel eine sehr sentimentale Liebeszene da ist, dann kannst du ja so spielen, dass die Leute das lächerlich finden,"
erklärt der Pianist Ulrich van der Schoor, einer der drei Profimusiker von "Trioglyzerin". Aber genau das wollen die Musiker eben nicht: Sie nehmen die alten Stummfilme mit ihren oft überzogen wirkenden Bildern und den augenrollenden Darstellern ernst:
"Wir bedienen einmal die traditionelle Art der Stummfilmbegleitung, also sprich musikalische Melodien, Strukturen, die man durchaus auch aus der klassischen Musik kennt und das wechseln wir eben ab mit improvisatorischen Elementen. Wir haben ja Klavier, Violoncello und Oboe und dann hat jeder noch elektrische Sachen vor der Nase und die wechseln wir ab untereinander, das ist eigentlich auch das Rezept und der Erfolg von ‚Trioglyzerin‘."
Vor den Augen der Kinozuschauer entstehen so Toncollagen, Geräuschkulissen und Melodiefolgen. Die drei Musiker links und rechts neben der Leinwand lenken nicht unnötig vom Film ab.
Doch wie vertont man ein Kino-Epos wie Metropolis, in dem Fritz Lang die zweigeteilte Stadt der Zukunft zeigt? Der Stummfilm-Klassiker fiel zwar 1927 beim Premiere-Publikum in Berlin gnadenlos durch. Heute jedoch ist er ein Film-Mythos und ein UNESCO-Welterbe.
"Wir machen das eigentlich so, dass wir da so ein grobes Netz drüber werfen musikalisch. Wir schauen uns den Film an, und zwar stellen wir alles ab, was an akustischen Signalen auf diesem Film drauf ist, um nur die Bilder eben zu sehen und da eine Musik zu entwickeln."
Orgelklänge aus den Katakomben
Fast schon diskret sind die Instrumente auf der Bühne aufgebaut: Klavier, Keyboard, Oboe, Cello. Direkt vor den Augen der Zuschauer entsteht die Stummfilm-Musik zu Metropolis mit einem erstaunlich vielfältigen Klangfundus.
Sphärische Synthesizer-Klänge und Dissonanzen wabern durch das Labor von Erfinder Rotwang. Er erweckt die Maschinenfrau Maria zum Leben. Dann wieder ziehen gnadenlose Maschinen-Rhythmen die Arbeiter in die Unterwelt. Und es gibt bei Metropolis auch die schnellen Verfolgungsfahrten über die Klavier-Tastatur, die an alte Stummfilm-Begleitungen erinnern. Oder schaurige Orgelklänge aus den Katakomben:
"Eine Herausforderung ist dieses unglaublich Monumentale an diesem Film, auch das sehr expressive, die Art, wie die auch Gefühle zeigen, das wirkt auf uns sehr übertrieben, das ist gefährlich, dass man das persifliert,"
erklärt Oboist Tobias Becker. Die Musik ist durchweg selbst entwickelt und komponiert und nur von den Bildern inspiriert. Die Musik ist modern, aber degradiert den Film nicht zur Vorlage oder zum Videoclip:
"Wir haben ganz improvisiert angefangen und da wir das jetzt aber so lange machen, meinen viele Leute, wir hätten das durchkomponiert. Das sind aber oft nur Rhythmen oder bestimmte Tempi, die wir im Kopf haben. Das sind dann manchmal so Strukturen, die sind festgelegt, aber was jeder einzelne spielt, das ist eigentlich völlig frei,"
sagt Tobias Becker. Fast 120 Programmkinos haben "Trioglyzerin" in den vergangenen Jahren bundesweit schon bespielt. Oft würden die Stummfilm-Vertonungen zu einem richtigen Live-Event, erzählt Ulrich van der Schoor:
"Wir haben ja für jede Kulisse den entsprechenden Film, also zum Beispiel Ruhrgebiet Landschaftspark Nord in Duisburg, dann Phönix West in Dortmund, das ist natürlich Metropolis. Dann haben wir sehr oft den Nosferatu auf alten Burgruinen und Schlossruinen in Süddeutschland, Franken und so, haben wir ewig gespielt, ganz toll. Da gibt’s also für jede Location eigentlich den passenden Film."
Da passt es irgendwie auch, dass die Musiker von "Trioglyzerin" Geräusche sammeln und sie dann in ihre Stummfilm-Vertonungen einbauen - wie etwa bei Metropolis:
"Am Ende dann dieser Aufstand der Arbeiter, da geht’s ja dann richtig rund, da lassen wir es auch schon ordentlich krachen auch, da waren wir sogar auch in Fabriken im Ruhrgebiet, und haben Hammer gesampelt und so ein Zeug, da ist ja viel Industrie in dem Film eigentlich drin. Und wir spielen den auch extrem, wir hatten mal eine sehr gute Kritik, da stand dann 'Trioglyzerin macht Metropolis physisch erlebbar'."