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Tripoli
Tummelplatz für gewaltbereite sunnitische Gruppen

Kein Monat vergeht im Libanon ohne Bombenanschläge. Ziel sind sunnitische Moscheen, schiitische Wohnviertel, die iranische Botschaft oder Niederlassungen der schiitischen Hisbollah. Längst hat sich der Libanon zu einem Nebenschauplatz des Bürgerkrieges in Syrien entwickelt.

Von Mona Naggar |
    Die Gemeindeverwaltung von Amayir liegt an der Hauptstraße. Die schmale Straße, die mitten durch das Dorf führt, ist von Gemüse- und Bekleidungsgeschäften gesäumt. Im ersten Stock wartet Ahmad as-Sayyid, der Onkel von Qutaiba. Der 19-Jährige hatte vor zwei Wochen eine Autobombe in einem schiitischen Viertel in Beirut gezündet. Er tötete sich selbst und fünf weitere Menschen.
    Der Raum ist kahl. In der Mitte steht ein Gasofen, der etwas Wärme spendet. Schwarze Sessel sind an den Wänden aufgereiht. Dazwischen stehen kleine braune Tische:
    "Für unsere Familie ist es eine Katastrophe, ein Schock, aus dem wir noch nicht aufgewacht sind. Wir können nicht glauben was passiert ist."
    Der große, schlanke Mann mit den kurzen braunen Haaren ist der einzige aus der Familie des Attentäters, der bereit ist, mit Journalisten zu sprechen. Der 30-Jährige wiederholt immer wieder, dass er und seine Verwandten den Angehörigen der Opfer ihr Beileid ausdrücken und diese Tat verurteilen.
    "Qutaiba war ein ruhiger junger Mann. Er hat zwei Jahre Ingenieurwissenschaften an der Uni in Tripoli studiert. Wir haben zusammen Wasserpfeife geraucht. In seiner Freizeit spielte er Fußball. Genau wie ich, war er ein Fan von Bayern München. Er ist regelmäßig in die Moschee gegangen, aber er war nicht fanatisch und hatte keine terroristischen Ideen. Er war ein normaler Mensch. Alle, die Qutaiba kannten, fragen sich, wie er so etwas machen konnte."
    Amayir und das Nachbardorf Hnaidir aus dem Qutaiba stammt, liegen in Wadi Khaled, einer Region im Nordosten des Libanon, ungefähr 140 km von der Hauptstadt Beirut entfernt. Die Landschaft ist hügelig, mit hellen Felsen übersät. Auf den Hängen stehen vereinzelt Bäume. Syrien ist in Sichtweite. Die Menschen hier leben von der Viehzucht und vom Schmuggel mit dem Nachbarland. Seit dem Ausbruch des Aufstandes gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ist aber nichts mehr wie es war in Wadi Khaled. Die syrische Armee hat die Grenze vermint und patrouilliert sie häufig. Die Schmuggelgeschäfte laufen schlecht. Als die ersten Kämpfe zwischen den Rebellen und der syrischen Armee in der mittelsyrischen Stadt Homs im Sommer 2011 ausbrachen, flüchteten Tausende in die Dörfer von Wadi Khaled. Viele Menschen auf beiden Seiten der Grenze gehören den gleichen Stämmen an:
    "Wir sind für die syrische Revolution. Durch die Ereignisse in Syrien, die wir durch unsere Verwandten hautnah miterleben, entstand bei uns eine Solidarität. Genauso wie Christen sich mit Christen solidarisieren würden, helfen wir den Sunniten. Das Engagement der Hisbollah auf der Seite des syrischen Regimes, hat bei uns Sunniten zu Unruhe geführt."
    Ungefähr 2000 Menschen leben in Hnaidar, Qutaibas Heimatdorf. Zwei- und dreistöckige Häuser liegen am Hang, dazwischen eine Moschee mit einem kleinen Minarett. Talal al-Ali ist der Gemeindevertreter in Hnaider. Der 42-Jährige, groß gewachsene Mann mit dem schwarzen Schnurbart kannte den jungen Attentäter:
    "Seit einiger Zeit stellen wir fest, dass junge Männer aus unseren Familien mit radikalen Ideen nach Hause kommen. Sie benutzen einen islamischen Wortschatz den wir vorher nicht kannten. Sie sprechen vom Kampf gegen Ungläubige und verherrlichen jihadistische syrische Gruppen. Wir, die Stämme von Wadi Khaled, kennen so etwas nicht. Als Qutaibas Vater bei seinem Sohn diesen Einfluss beobachtete, hat er ihn von der Universität in Tripoli abgemeldet, und an einer Berufsschule hier in der Gegend in seiner Nähe untergebracht."
    Der Bürgerkrieg in Syrien hat die libanesische Gesellschaft tief gespalten. Die schiitische Hisbollah gehört zu den wichtigsten politischen und militärischen Verbündeten Assads. Viele Sunniten dagegen stehen auf der Seite der Aufständischen. Die Gewalt, die der Libanon seit Monaten erlebt, fügt sich in das Muster dieser Loyalitäten. Im nordlibanesischen Tripoli, die als Hochburg der Assad-Gegner gilt, explodierten Ende August Autobomben vor sunnitischen Moscheen. 45 Menschen wurden getötet. Anschläge trafen auch schiitische Wohnviertel, wie das Attentat, das Qutaiba Anfang Januar im Beiruter Stadtteil Harat Hreik verübte. Die Autobombe vor zwei Tagen (16.1.) in der schiitischen Kleinstadt Hermel im Osten des Libanon explodierte, ist der letzte Anschlag in dieser Reihe. Vier Menschen starben.
    Hazim Al-Amin ist Journalist bei der überregionalen arabischen Tageszeitung Al-Hayat in Beirut. Er beschäftigt sich seit Jahren mit salafitischen Gruppen im arabischen Raum und ist von der Gewaltbereitschaft libanesischer Sunniten nicht überrascht:
    "Das Klima der gegenseitigen sunnitischen-schiitischen Hetze und das militärische Engagement der Hisbollah in Syrien, bieten einen Nährboden für viele Entwicklungen. Hinzu kommt, dass sich die Sunniten im Libanon in der Defensive fühlen. Sie können sich nicht auf eine starke politische Führung stützen und haben den Eindruck, dass sie von einer Niederlage in die nächste stolpern. Das alles kann zu einer Radikalisierung, bis hin zu Selbstmordattentaten führen. Aber ich glaube nicht, dass die Radikalisierung von Qutaiba in Wadi Khaled stattgefunden hat. Ich kenne die Region und habe mit dortigen Imamen und Stammesvertretern gesprochen. Sie sind nicht Anhänger von jihadistischen Ideen."
    Journalist Al-Amin vermutet, dass Qutaiba sich während seines Studiums in Tripoli radikalisiert haben könnte. Die Stadt, 50 Kilometer von Wadi Khaled entfernt, ist seit dem Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzung in Syrien zu einem Tummelplatz für gewaltbereite sunnitische Gruppen geworden.