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Trippelschritte und Dauerlauf

„Le Cid“ ist eine Tragikomödie in fünf Akten von Pierre Corneille. Im Zentrum der Handlung steht die Konfliktsituation einer jungen Adligen. Corneille verstieß damit im Jahr 1637 gegen alle ästhetischen und gesellschaftlichen Regeln seiner Zeit. Regisseur Alain Ollivier inszenierte nun „Le Cid“ am in Paris neu und ließ die Schauspieler in Trippelschritten und Dauerlauf agieren.

Von Ute Nyssen |
    Der Zuschauer blickt während des ganzen Stücks auf einen Palisadenzaun nahe an der Bühnenrampe, dahinter erhob sich eine dunkle Mauer. Auf einer schmalen Straße vor der Palisade, die die volle Breite der riesigen Bühne einnimmt, lässt der Regisseur Alain Ollivier Le Cid abrollen, Pierre Corneilles Meisterwerk von 1637. Auf- und Abtritte der königlichen Familie erfolgen durch ein winziges Tor im Zaun, die aller anderen Figuren von den Seiten. Die Damen verlassen den Laufsteg mit gerafftem Rock im Trippelschritt, die Herren, auf leicht erhöhten Absätzen, bewegen sich eher staksig von rechts nach links, nur der junge Rodrigue rennt zumeist im Dauerlauf von der Bühne.

    Corneille verlegte die Handlung in das Sevilla des 11. Jahrhunderts, auf historische Genauigkeit kam es ihm dabei nur am Rande an – so wie der Kostümbildnerin, die die Figuren mit allen möglichen spanischen Kleidungsstücken aus dem Fundus des subventionierten Theaters behängte.

    Ausgangspunkt des dramatischen Konflikts ist eine Ohrfeige, die der Graf de Gormas seinem Konkurrenten in der Gunst des Königs, Don Diègue, versetzt. Dieser ruft nach Rache, sein Sohn Rodrigue verschafft sie ihm und tötet den Grafen im Duell. Doch Rodrigue liebt die ihm verlobte Tochter des gräflichen Agressors, Chimène, die ihrerseits Rodrigue in vorbehaltloser Liebe ergeben ist, und Chimène muss nun gemäß dem Ehrenkodex absoluter Vorherrschaft der Blutsbande den Kopf des Geliebten fordern – obwohl sie sein Verhalten gutheißt.

    Rodrigue stürzt sich todesmutig in eine Schlacht gegen die Mauren, aus der er jedoch siegreich zurückkehrt als deren „Cid“, deren „Herr“. Dennoch beharrt Chimène trotz leidenschaftlicher Bewunderung für den Geliebten auf der Todesforderung. Der König, der eigentlich das Leben des Kämpfers für den Staat beansprucht, stimmt schließlich einem Duell zwischen Rodrigue und Chimènes Anbeter Don Sanchez zu. Chimène verspricht dem Sieger ihre Hand. Ohne Blutvergießen überwindet Rodrigue den Gegner, mit einem letzten Machtwort besteht der König auf der Einhaltung von Chimènes Versprechen und gibt sie ihm zur Frau, verlangt jedoch ein Jahr Karenzzeit bis zur Vermählung.

    Zum Abschluss verkündet Rodrigue mit glänzenden Augen, wen noch er für Chimène bis dahin besiegen wird. Hier lässt der Regisseur den legendären „Cid“ frontal das Publikum adressieren und gestattete ihm auch eine körperlich sichtbare jugendliche Erregung, wohingegen er ansonsten die Schauspieler unbewegt wie Stöcke agieren ließ; ab und an nur durften sie die Arme in die Luft werfen, wie zum Beispiel Don Diègue, wenn er in einem berühmten Monolog die Entwürdigung durch das Alter beklagte oder wie Chimène, wenn sie ihrer Zerrissenheit Ausdruck verlieh.

    Mit viel Tremolo und Vibrato in der Stimme wurden Corneilles schwungvolle Alexandriner georgelt und geflötet, körperlich und geistig blieben die Schauspieler jedoch unberührt vom Inhalt ihrer Äußerungen. Es lässt sich nach dieser Inszenierung kaum vorstellen, dass unzählige Schauspieler mit den unvergesslichen Figuren Corneilles Theatergeschichte geschrieben haben – so beispielsweise Gérard Philipe und Maria Casarès.

    Corneille schuf mit Le Cid entgegen den strengen poetischen Regeln seiner Zeit eine „Tragikomödie“, die Mischform entspricht dem politischen und gesellschaftlichen Gehalt des Stücks, denn in der Komödie setzt sich die Vernunft durch und sie hat mit der Entscheidung des Königs das letzte Wort gegenüber der atavistischen Stimme des „Blutes“, die unaufhaltsam zur Tragödie führen würde. Immerhin lieferte der Schauspieler des Königs, John Arnold, die einzig in sich überzeugende Figur des Abends, er gab sich wie ein lockerer amerikanischer Präsident und, ob ganz freiwillig oder nicht, er sorgte jedenfalls für ein wenig
    Heiterkeit.