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Trisomie-Test als Kassenleistung
"Down-Syndrom ist keine Krankheit"

Krankenkassen dürfen künftig die Kosten für Bluttests auf ein Down-Syndrom ungeborener Kinder übernehmen. Nun müsse im Bundestag zügig über gesetzliche Grundlagen debattiert werden, die verhindern, dass dies zu einer "Aussonderung von Menschen mit Down-Syndrom führt", forderte Ulla Schmidt (SPD) im Dlf.

Ulla Schmidt im Gespräch mit Silvia Engels |
Die ehemalige SPD-Gesundheitsministerin und Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe Ulla Schmidt
Ulla Schmidt fordert Beratungsangebote für Eltern, die den Bluttest auf das Down-Syndrom durchführen lassen (Geisler-Fotopress / dpa)
Silvia Engels: Der gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen setzt sich aus Vertretern von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen zusammen. Er entscheidet regelmäßig darüber, welche medizinischen Neuentwicklungen so sinnvoll sind, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten dafür als Regel bezahlen. Normalerweise sind das unstrittige technische Entscheidungen, die sich streng nach dem Forschungsstand richten. Doch in den letzten Monaten ging es um eine sehr heikle Frage: Sollen die Kassen bezahlen, wenn eine schwangere Frau einen Bluttest vornehmen lässt, mit dem sich mögliche Trisomien im Erbgut nachweisen lassen – ein Hinweis auf das Down-Syndrom?
Die Nachrichtenagentur dpa meldet unter Berufung auf Teilnehmerkreise, unter engen Bedingungen solle der Bluttest auf Kassenkosten möglich sein. Doch die ethische Dimension des Themas ist tiefer. Befürworter loben, dass auf diesem Weg werdende Eltern wichtige Informationen bekommen. Gegner treibt dagegen die Sorge um, dass so der Druck auf Eltern wächst, sich gegen ein Kind mit Trisomie oder der Wahrscheinlichkeit des Down-Syndroms zu entscheiden.
Am Telefon ist nun Ulla Schmidt von der SPD. Sie ist Gegnerin gewesen, diesen Bluttest als Kassenleistung zahlen zu lassen, und sie war früher Bundesgesundheitsministerin. Guten Tag, Frau Schmidt.
Einschränkungen sind positiv
Ulla Schmidt: Guten Tag, Frau Engels.
Engels: Nun sieht es so aus, als ob bei Risikoschwangerschaften der Bluttest Kassenleistung wird. Wie ist Ihre Reaktion?
Schmidt: Ich hätte mir erst mal gewünscht, dass auch der GBA noch gewartet hätte mit dem Beschluss, bis wir im Bundestag die endgültige Debatte beendet hätten. Aber der Beschluss heute sieht ja nicht einfach nur vor bei Risikoschwangerschaften, sondern heute gilt schon eine Frage, wie auch eben in Ihrem Vorbeitrag deutlich wurde, dass schon das Alter als Risiko gilt. Der GBA hat in seinem Beschluss gesagt, dass es in begründeten Einzelfällen zu einer Kostenübernahme kommen kann und das Risiko mehr sein muss als nur ein allgemeines Risiko.
Ich glaube, da ist schon mal positiv zu sehen, dass es eine Einschränkung gibt, denn wir haben uns auch immer dagegen gewehrt, dass dieser Bluttest als Reihenuntersuchung durchgeführt wird und praktisch jede Schwangere mit anderen Ergebnissen auch ein Ergebnis bekommt, ist die Möglichkeit gegeben, dass sie ein Kind mit einer Trisomie erwartet. Das ist schon mal ein positiver Fortschritt.
"Menschen mit Down-Syndrom leben gerne"
Engels: Um wie viele Fälle geht es da nach Ihrer Erfahrung ungefähr, die eben nicht nur das Alter der Schwangerschaft als Risiko haben, sondern wo es wirklich begründete Fälle gibt, wo das Risiko höher ist?
Schmidt: Wo zum Beispiel in der Familie schon Fälle von Kindern mit Down-Syndrom oder andere Behinderungen da waren und Eltern sagen: Ich will jetzt wissen. Ich habe ja Verständnis dafür, dass Eltern manchmal sagen, ich will das wissen. Aber Down-Syndrom ist keine Krankheit. Down-Syndrom gehört zur Vielfalt des menschlichen Lebens wie auch andere Dinge, die nicht immer alle gleich sind, Gott sei Dank, bei uns im Leben. Und Menschen mit Down-Syndrom leben gerne.
Was wir brauchen – und da hat die Diskussion jetzt auch mit diesem Beschluss schon vieles mit dazu beigetragen – sind wirklich Diskussionen darum: Welche Beratung brauchen Eltern? Wie können wir ihnen ein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom ermöglichen? Welche Unterstützungsmöglichkeiten sind da, dass hier mehr geschehen wird? Und was gut ist an dem Beschluss, den der GBA jetzt vorgelegt hat, ist ja, dass wirklich nach dem Gendiagnostik-Gesetz auch nur der Einsatz stattfinden kann, dass es eine Beratung vorher und nachher gibt von qualifizierten Ärzten und dass es eine umfassende soziale Beratung geben muss.
Jetzt ist im nächsten Jahr die Frage, wie sieht es aus mit der Patienteninformation. Der Beschluss tritt ja erst nächstes Jahr in Kraft. Und ich hoffe, dass wir jetzt im Bundestag dann auch die Debatten darüber führen können, wie können wir im Grunde genommen die gesetzlichen Grundlagen geben, dass ein solcher Beschluss nicht zu einer Aussonderung von Menschen mit Down-Syndrom führt, und dass keine Debatte entsteht in Deutschland, dass Eltern, die Kinder haben, die behindert sind, sich fragen lassen müssen: War das denn überhaupt noch nötig, hättest Du das nicht verhindern können? Das ist ja auch eine große Sorge der Eltern, die sie heute haben, dass das Leben ihrer Kinder dann entwertet wird.
Engels: Ist es ein Anhaltspunkt dafür, dass diese Debatte nun auch mit diesem starken ethischen Anteil geführt wird, dass solche Entscheidungen, wie sie jetzt beim Bundesausschuss getroffen werden, künftig auch vom Bundestag entschieden werden sollen und das nicht einem Expertengremium überlassen sein soll?
Gefahr, dass behindertes Leben als weniger wert gesehen wird
Schmidt: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ja ein Expertengremium, das viele Entscheidungen führt. Aber ich glaube, die Entscheidung hier über die Einsetzung eines Bluttests zur Erkennung von Trisomien, und zwar eines Bluttests, der nicht praktisch eine Therapiemöglichkeit eröffnet, ist schon eine ethische Dimension, und damit hat sich ja auch der gemeinsamen Bundesausschuss so lange beschäftigt, weil genau diese ethische Dimension da reinspielt. Und weil Sie sagen: Die Frage eines Verfahrens bei einer Knieoperation oder eines Medikaments zum Einsatz bei einer Krankheit ist etwas anderes als diese Entscheidung hier, weil die Gefahr besteht, dass behindertes Leben als weniger wert gesehen wird, weil es eine Auswahlmöglichkeit gibt.
Und deswegen eine Debatte darum: Wie kann man wenn überhaupt das so begrenzen, dass Eltern, die ein berechtigtes Anliegen haben, hier auch dann die notwendige Unterstützung bekommen, dass sie die notwendige Aufklärung bekommen, dass das nicht so nebenbei durchgeführt wird, ist ein wichtiger Schritt voran. Insofern hat sich auch die lange Debatte schon gelohnt, die wir darüber führen, weil ich glaube, sie ist nicht zu Ende. Und am Ende wird sie sicher dazu führen, dass noch mehr getan wird dafür, dass die Unterstützungsmaßnahmen, die Eltern und Familien brauchen, auch wirklich geleistet werden.
"Wir müssen nicht alles machen, was möglich ist"
Engels: Viele Befürworter, diesen Bluttest zur Kassenleistung zu machen, haben ja argumentiert, dass viele Eltern, die diese Frage geklärt haben wollen, den Bluttest heute aus eigener Tasche zahlen. Ist es zu rechtfertigen, dass Eltern mit genügend Geld die Information über Trisomie risikolos bekommen, während dann die Eltern mit kleinem Geldbeutel den risikoreicheren Fruchtwassertest machen müssen?
Schmidt: Wir haben auch heute schon die Möglichkeit, da wo es begründete Annahme gab, dass der nicht invasive Test, der Bluttest, die gleichen Informationen auch geben konnte oder Informationen geben konnte, ob überhaupt eine invasive Maßnahme durchgeführt würde. Der wurde auch auf Antrag schon von Krankenkassen bezahlt. Es ist auch heute nicht alleine eine Frage nur des Geldbeutels. Wir reden hier über Kosten von 130 Euro. Und da, wo Ärzte begründete Argumente hatten, haben sie einen Antrag gestellt und es wurde auch schon von Kassen unterschiedlich auch finanziert.
Ich glaube, da dürfen auch nicht die 130 Euro am Anfang stehen, sondern die Frage: Vermittelt ein solcher Test, dass ein Leben mit Behinderung vermeidbar wäre? Vermitteln solche Verfahren, dass im Grunde genommen, wenn ich das ausschließe, ich ein gesundes Kind zur Welt bringe? Das ist alles nicht der Fall und es ist auch nicht der Fall, dass es einen therapeutischen Nutzen schon während der Schwangerschaft ermöglicht. Da gibt es ja auch Untersuchungen, dass man sagt, man kann therapieren.
Deswegen ist die Debatte darüber, was bedeutet das gesellschaftlich, was bedeutet das für das Leben mit Down-Syndrom, und auch für die Menschen mit Down-Syndrom, die leben, - wie auch Sebastian Urbanski, der das klargemacht hat, aber auch andere, die sagen: Es ist mein Leben und ich lebe dieses Leben gerne und warum wollt ihr uns das als weniger wert darstellen? Ich glaube, dass diese Debatte nötig ist, weil nicht alles, was möglich ist, müssen wir auch machen in der Gesellschaft.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen