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Tristes politisches Hinhalte-Spiel

Eher unfreiwillig hat der frühere Spitzenfunktionär Thomas Köhler mit seiner Rechtfertigungsschrift zum DDR-Sport ein Thema wieder auf die Agenda gesetzt, das seit Jahren im Entscheidungsstau steckt: eine Rente für Dopinggeschädigte.

Von Grit Hartmann |
    Was Wolfgang Thierse, der Bundestagsvizepräsident, und die Grünen-Politikerin Viola von Cramon dem Buch von Thomas Köhler entgegensetzten, klang vernünftig. Der Altkader hatte den DDR-Medaillenapparat als sozialistischen Fürsorge-Betrieb gezeichnet, mit Jugendlichen, die Doping zustimmten. Derlei abstruse Apologien von SED-Senioren kannte man schon. Die beiden Abgeordneten nutzten den Wirbel also für den Hinweis auf ein politisches Versäumnis: Eine Rentenregelung für schwer geschädigte Zwangsdoping-Opfer müsse endlich her.

    Es folgte der Auftritt von Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes. Er avisierte für Anfang Oktober ein Gespräch im Bundesjustizministerium mit dem Ziel, die Dopingopfer in das Opferentschädigungsgesetz, kurz OEG, einzubeziehen. Vesper lavierte damit geschickt über einen Skandal hinweg: DOSB-Präsident Thomas Bach hatte soeben Köhlers Lügen belobigt - als "Beitrag zur Aufklärung". Das Manöver zog, die Show fiel nicht auf: Denn der DOSB weiß seit Jahren, dass der Weg übers OEG nicht funktioniert. Dazu später.
    Dagmar Freitag, SPD, sitzt dem Sportausschuss vor. Sie kanzelte Thierse ab und versuchte, von Cramon auszubremsen, die das Thema im Ausschuss auf die Agenda setzen will:
    "Ja, wenn ich das richtig nachgelesen habe, hat Herr Thierse wohl gesagt, wenn es nachgewiesene Schäden gegeben hat. Und das ist genau der Knackpunkt. Ich gestatte mir einen kurzen Exkurs zu dem Doping-Opfer-Hilfegesetz von 2002. Da haben wir sehr bewusst die Hürden sehr, sehr niedrig gehalten, die zu überwinden waren, um in den Genuss dieser Zahlung zu kommen. Das wird bei einer Prüfung, ob eine Rente möglich ist, nicht mehr möglich sein. Die Anforderungen an Ursache und Wirkung werden deutlich höher sein müssen, und unter dieser Prämisse wird man dann diese Forderung diskutieren müssen."
    Klaus Zöllig vom Doping-Opfer-Hilfeverein kennt den mit Abwehr gepaarten Verweis auf die Einmalzahlung von 2002 schon:
    "Das ist es zweite Mal, dass sie im Grunde indirekt die Opfer bezichtigt, eigentlich gar nicht so krank zu sein. So versteh ich das. Die Aussage, die sie macht grundsätzlich über das Entschädigungsgesetz, dass das schwierig ist, das seh ich ja ein. Aber sie droht ja immer: Also wenn sie nicht Ruhe geben, dann müssen wir doch mal genauer auf die Opfer schauen. Damit unterstellt sie uns ja was."
    Wer da längst gerichtsfest dokumentierte Gesundheitsschäden bezweifelt, ist offenkundig: Es spricht die Sportlobbyistin Freitag, Vizepräsidentin des Leichtathletik-Verbandes. Der DLV beschäftigt Trainer, die einst Anabolika verteilten an Athleten, die sich heute um eine Pension bemühen. Darüber soll Gras wachsen - eine seriöse Renten-Debatte wäre fraglos störend.
    Damit zur Sachlage und zu den Tricks der Sportkameraden: Vesper liegt die Antwort aus dem BMJ seit 2007 vor. Ministerin Zypries erörterte damals schriftlich, die Bundesregierung sei der Ansicht, das Opferentschädigungsgesetz biete die Grundlage für eine Rente. Das habe sie den Landesbehörden bereits 2004 mitgeteilt. Empfehlung hin oder her - bis heute scheiterten alle Anträge, selbst von Dopinggeschädigten, die zu 100 Prozent erwerbsunfähig sind. Der Grund: Das OEG verlangt den eineindeutigen Zusammenhang zwischen krimineller Tat und Schaden. Den können Opfer einer Messerattacke nachweisen, aber Dopingopfer nicht. Eine kaputte Wirbelsäule kann schließlich auch haben, wer als Kind zu viele Kohlen-Eimer geschleppt hat. Das ist die Hürde, mit der Dagmar Freitag in zynischer politischer Unschärfe spielt.
    Ebenfalls seit 2007 liegt der alternative Weg zur Rente auf dem Tisch: Er führt über die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze. Dafür braucht es jedoch den Bundestag und eine kleine Wortänderung im Gesetz. Denn Rente erhalten bisher nur Opfer von staatlicher Willkür im Einzelfall. An Missbrauch, der eine ganze Gruppe schädigte, ist schlicht nicht gedacht worden. Seither war von diesem Weg nicht mehr die Rede. Bleibt es dabei, wird ein tristes politisches Hinhalte-Spiel in die Verlängerung gehen.