Silvia Engels: Seit etlichen Jahren wird über ein mögliches Endlager im Salzstock Gorleben erbittert gestritten. Eine echte Alternative zur Lagerung des Atommülls ist nach wie vor nicht in Sicht und das, obwohl von 1998 bis 2005 immerhin ein Grüner Bundesumweltminister war, nämlich Jürgen Trittin. Und im Jahr 2002 klangen Umweltminister Trittin und die damaligen Castor-Gegner ziemlich genau so:
O-Ton Jürgen Trittin: Gegen diese Transporte sollten Grüne in keiner Form, sitzend, stehend, singend, tanzend, demonstrieren.
O-Töne: "Ich kann mich noch genau erinnern: beim letzten Castor vor dem Breser Verladekran habe ich schön neben Herrn Trittin gestanden und habe gesehen, wie er weggetragen wurde, und er hat das genauso mitgemacht wie wir alle."
"Er ist einfach hart, weil die Leute offensichtlich dann lieber an ihrer Macht kleben, statt an ihren ehemaligen Überzeugungen festzuhalten."
Engels: Und am Telefon begrüße ich nun Jürgen Trittin. Er ist mittlerweile Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Was denken Sie, wenn Sie diese Stimmen von damals hören, Ihre eigene dazu?
Trittin: Die sind in einer anderen Situation entstanden, in der Situation, als wir erstens das verboten haben, dass weiterhin Atommüll nach Frankreich und damit nach Gorleben geschickt wird, dass wir verboten hatten, dass es innerdeutsche Atomtransporte gibt, dass wir eingerichtet haben – so viel zum Thema Untätigkeit – dezentrale Zwischenlager, die die Grundlage dafür gewesen sind, und dass wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Laufzeiten begrenzt haben und damit die Menge des Atommülls limitiert.
Und heute demonstrieren die Menschen in einer Situation, wo Hunderte von Tonnen zusätzlicher Atommüll produziert werden soll, damit RWE und Co. rund 100 Milliarden Euro Zusatzgewinne machen, und wo der Bundesumweltminister anordnet, erneut in Gorleben ohne ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren den Schwarzbau zur Errichtung eines Endlagers weiterzubauen, genau jenen Bau, den ich gestoppt habe. Das ist die Situation, dagegen gehen mehr Leute auf die Straße als je zuvor, und das ist auch das Echo, was Frau Merkel für ihre Politik der Laufzeitverlängerung bekommen hat, und mit diesem Echo werden CDU/CSU offensichtlich nur fertig um den Preis von Beleidigung und Diffamierung, wenn ich Herrn Dobrindt da gestern richtig gehört habe.
Engels: Er hat in der Tat gesagt, Herr Dobrindt, heute in der Opposition würde Jürgen Trittin, der damals für Castor-Transporte war, sich selbst unter die Blockierer mischen. – Aber schauen wir doch mal auf die Fakten. Auch in den jetzigen Castoren, gegen die demonstriert wird, steckt Atommüll, der unabhängig von jeder AKW-Laufzeitverlängerung bereits angefallen ist und zu dessen Rücknahme sich Deutschland verpflichtet hat. Warum haben Sie doch Verständnis für die Blockade?
Trittin: Sehen Sie, das war die letzten Jahre auch so. Dennoch haben damals sehr, sehr viel weniger Menschen gegen diese Geschichte demonstriert, weil sie das Empfinden hatten, hier ginge es um die Abwicklung eines abgeschlossenen Kapitels. Das was Schwarz-Gelb jetzt mit unglaublichen Diffamierungen aufmacht – Sie müssen sich mal vorstellen: Wenn dort 50.-, 60.000 Menschen demonstrieren, die Grünen sich daran beteiligen, also von einem demokratischen Grundrecht Gebrauch machen, dann spricht Herr Dobrindt davon, wir seien der politische Arm von Aufrührern, Brandstiftern und Steinewerfern. Das ist sozusagen die geistige Verfassung, die Notstandsverfassung, in der sich die Koalition aufgrund dieses demokratischen Protestes befindet, und sie befindet sich deswegen in dieser Situation, weil sie mit ihrer Energiepolitik völlig gegen die Wand läuft in dieser Gesellschaft, weil die Menschen es nicht akzeptieren, dass ein Problem, was man in einem schwierigen Kompromiss, in einem Konsens gelöst hat, dieses Problem wieder aufgemacht wird, nur weil vier Unternehmen die Kasse gefüllt werden soll.
Engels: Herr Trittin, das ist Ihre Kritik an der Gegenwart. Aber ich möchte noch gerne zurückschauen in die Zeit, als Sie eben Umweltminister in einer rot-grünen Bundesregierung waren.
Trittin: Aber gerne!
Engels: Den von Ihnen damals angestrebten Gesetzentwurf, in dem Sie ja die Suche nach einem neuen Endlager anstoßen wollten, den konnten Sie vor dem Ende der Regierung nicht mehr umsetzen. Denken Sie manchmal zurück, ich habe nicht schnell genug gehandelt?
Trittin: Ich ärgere mich darüber, dass der damalige Bundeskanzler im Jahre 2005 nicht mehr in der Lage war, seine Partei an der Regierung zu halten, sodass wir diesen fertigen Gesetzentwurf, der darauf beruhte, dass zum ersten Mal – Sie müssen sich klar machen: Seit den 60er-Jahren produzieren in Deutschland Atomkraftwerke Atommüll; erst im Jahre 2003 hat der damalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin, gestützt durch einen Arbeitskreis unabhängiger Wissenschaftler, Kriterien für die Endlagerung dieses Atommülls vorgelegt. Wir haben 40 Jahre Atommüll produziert und niemand wusste wohin. Wir haben die Kriterien dafür entwickelt, wir haben auf der Basis dieser Kriterien einen Gesetzentwurf gemacht, der übrigens Opfer der Neuwahlen geworden ist und dann Opfer von Herrn Röttgen und seiner CDU. Wenn Sie einmal reinschauen in die Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition, die das aufnehmen wollte, was wir erarbeitet hatten, dort steht drin, wir müssen endlich ein ergebnisoffenes Endlager-Suchverfahren machen, das ist von CDU/CSU blockiert worden.
Und heute? Heute ist es so, dass Herr Röttgen sich hinstellt und behauptet, er würde in Gorleben ergebnisoffen und transparent prüfen. Der Röttgen lügt! Herr Röttgen lügt, denn dort wird gebaut auf der Basis eines Rahmenbetriebsplans aus dem Jahre 1983. Der sieht keinerlei, keinerlei Bürgerbeteiligung vor. Und wie kann man den Menschen erzählen, etwas sei ergebnisoffen, wenn man nicht mal eine Alternative hat. Jede Kreisstraße, die in irgendeinem Landkreis gebaut werden soll, muss, bevor sie bei Gericht durchgeht, mindestens drei verschiedene Trassenvarianten vorweisen in der Planung. In Gorleben wird aber auf Teufel komm raus gebaut und der Höhepunkt des Ganzen ist, dass die Sicherheit von Gorleben nun im Auftrag von Herrn Röttgen durch einen geschassten Manager von Vattenfall, Herrn Thomauske, überprüft werden soll. Dass dagegen die Leute massenhaft auf die Straße gehen, da haben wir tiefes Verständnis.
Engels: Herr Trittin, Sie waren aber immerhin sieben Jahre Bundesumweltminister und Sie haben die SPD, der Sie ja die Schuld dafür geben, dass es nicht umgesetzt wurde, bei diesem grünen Kernanliegen zu nicht mehr bewegen können. Können Sie da Herrn Röttgen nicht wenigstens zugestehen, dass die Endlagerfrage eine verdammt schwere Aufgabe ist, an der letztlich auch Sie gescheitert sind?
Trittin: Jemand, der die Endlagerfrage notorisch blockiert, weil er sich einem Auswahlverfahren verweigert, wie Herr Röttgen, ist der falsche Zeuge dafür. Ich muss im Übrigen darauf hinweisen: Da schließe ich gerne die Bundeskanzlerin mit ein. Ein Teil der Zeit, meiner Zeit als Minister, durfte ich nämlich damit zubringen, dass ich das andere der drei, ohne atomrechtliches Genehmigungsverfahren in Gang gebrachten Atommülllager in der Bundesrepublik Deutschland sanieren musste: Das Endlager Morsleben, ein Salzstock, in den Wasser eingedrungen ist, der einzustürzen drohte, in den Frau Merkel noch Müll aus Westdeutschland einlagern wollte. Diesen zu sanieren, war eine der dringendsten Notaufgaben, die ich vorfand, als ich ins Amt kam. Also diejenigen, die heute die Endlagersuche blockieren, sind die gleichen, die uns das Problem beschert haben.
Engels: Herr Trittin, Sie haben sich als Umweltminister erst in Niedersachsen, später im Bund ja ganz eingehend mit der Endlagerfrage befasst.
Trittin: Das ist falsch!
Engels: Haben Sie nicht?
Trittin: Ich war in Niedersachsen nicht Umweltminister, sondern Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Engels: Entschuldigung! Dann habe ich das in dem Fall falsch in Erinnerung. Nichtsdestotrotz beschäftigen Sie sich lange mit der Endlagerfrage. Welches wäre denn von Ihnen der favorisierte alternative Standort zu Gorleben?
Trittin: Wir haben mit den Kriterien des Arbeitskreises Endlagerung ein Verfahren vorgelegt. Das geht aus von einer weißen Landkarte. Es schließt aus offensichtlich ungeeignete Standorte wie zum Beispiel Erdbebengebiete und führt dann dazu, dass in einem schrittweisen Prozess, begleitet von transparenten Kriterien, einzelne Standorte erst oberirdisch und dann auch unterirdisch miteinander verglichen werden. Dies ist ein Verfahren, wie es übrigens nach dem Vorbild meines Gesetzentwurfes in der Schweiz zurzeit praktiziert wird. Damit verträgt es sich nicht, dass Politiker öffentlich erklären, diesen oder jenen Standort finde ich wunderbar. Das ist genau die Art und Weise, wie Gorleben zustande gekommen ist, weil man sich ein bisschen Wirtschaftsförderung da verstand, weil es eine menschenleere Gegend war und weil es fast auf dem Gebiet der damaligen DDR war. Deswegen hat man sich für Gorleben entschieden, nicht weil es sicher war.
Engels: Herr Trittin, noch ein anderes Thema. Mit dem Stichwort Atommüll reißt heute die "Süddeutsche Zeitung" an. Danach soll es ein Abkommen geben zwischen der Bundesregierung und Russland über die Lieferung von Atommüll aus dem ehemaligen DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf in Richtung Süd-Ural. Wenn diese Pläne tatsächlich stimmen würden, was würden Sie dazu sagen?
Trittin: Interessant! Auf die Anfrage, die wir gestellt haben, ist die Antwort der Bundesregierung, sie könne diesen Müll nicht lagern, weil es in Deutschland kein Endlager gibt. Diese Ehrlichkeit der Bundesregierung würde ich mir bei Herrn Röttgen in jedem Interview wünschen.
Engels: Und was sagen Sie zu dem Vorgang selbst?
Trittin: Der Müll kommt aus Russland ursprünglich. Wir haben aber berechtigte Zweifel, ich finde nachdrücklich begründete Zweifel, dass im Ural eine Entsorgung so gewährleistet ist, dass dieser Müll eine Million Jahre vor der Biosphäre geschützt ist. Das ist der Grund, warum das damals nach Ahaus verbracht wurde, übrigens eine Entscheidung, die ich auch getroffen habe, übrigens gegen heftige Proteste der Anwohner von Ahaus. Nur in Ahaus gab es ein Zwischenlager, während es in Rossendorf keines gab.
Engels: Das heißt, der Rücktransport ist in Ordnung?
Trittin: Ich habe überhaupt nichts davon gesagt, dass der Rücktransport in Ordnung ist. Ich habe gesagt, die Bedingungen, unter denen in Russland damit gearbeitet werden soll, nach dem, was wir darüber wissen, entspricht nicht den Kriterien eines sicheren Endlagers. Das ist, glaube ich, das Gegenteil der Aussage.
Engels: Gut, dann haben wir das verstanden, wie wir auch gelernt haben, dass in der Tat Jürgen Trittin niemals Umweltminister in Niedersachsen war, wohl aber im Bund. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Trittin: Danke Ihnen. Tschüss!
O-Ton Jürgen Trittin: Gegen diese Transporte sollten Grüne in keiner Form, sitzend, stehend, singend, tanzend, demonstrieren.
O-Töne: "Ich kann mich noch genau erinnern: beim letzten Castor vor dem Breser Verladekran habe ich schön neben Herrn Trittin gestanden und habe gesehen, wie er weggetragen wurde, und er hat das genauso mitgemacht wie wir alle."
"Er ist einfach hart, weil die Leute offensichtlich dann lieber an ihrer Macht kleben, statt an ihren ehemaligen Überzeugungen festzuhalten."
Engels: Und am Telefon begrüße ich nun Jürgen Trittin. Er ist mittlerweile Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Engels!
Engels: Was denken Sie, wenn Sie diese Stimmen von damals hören, Ihre eigene dazu?
Trittin: Die sind in einer anderen Situation entstanden, in der Situation, als wir erstens das verboten haben, dass weiterhin Atommüll nach Frankreich und damit nach Gorleben geschickt wird, dass wir verboten hatten, dass es innerdeutsche Atomtransporte gibt, dass wir eingerichtet haben – so viel zum Thema Untätigkeit – dezentrale Zwischenlager, die die Grundlage dafür gewesen sind, und dass wir zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Laufzeiten begrenzt haben und damit die Menge des Atommülls limitiert.
Und heute demonstrieren die Menschen in einer Situation, wo Hunderte von Tonnen zusätzlicher Atommüll produziert werden soll, damit RWE und Co. rund 100 Milliarden Euro Zusatzgewinne machen, und wo der Bundesumweltminister anordnet, erneut in Gorleben ohne ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren den Schwarzbau zur Errichtung eines Endlagers weiterzubauen, genau jenen Bau, den ich gestoppt habe. Das ist die Situation, dagegen gehen mehr Leute auf die Straße als je zuvor, und das ist auch das Echo, was Frau Merkel für ihre Politik der Laufzeitverlängerung bekommen hat, und mit diesem Echo werden CDU/CSU offensichtlich nur fertig um den Preis von Beleidigung und Diffamierung, wenn ich Herrn Dobrindt da gestern richtig gehört habe.
Engels: Er hat in der Tat gesagt, Herr Dobrindt, heute in der Opposition würde Jürgen Trittin, der damals für Castor-Transporte war, sich selbst unter die Blockierer mischen. – Aber schauen wir doch mal auf die Fakten. Auch in den jetzigen Castoren, gegen die demonstriert wird, steckt Atommüll, der unabhängig von jeder AKW-Laufzeitverlängerung bereits angefallen ist und zu dessen Rücknahme sich Deutschland verpflichtet hat. Warum haben Sie doch Verständnis für die Blockade?
Trittin: Sehen Sie, das war die letzten Jahre auch so. Dennoch haben damals sehr, sehr viel weniger Menschen gegen diese Geschichte demonstriert, weil sie das Empfinden hatten, hier ginge es um die Abwicklung eines abgeschlossenen Kapitels. Das was Schwarz-Gelb jetzt mit unglaublichen Diffamierungen aufmacht – Sie müssen sich mal vorstellen: Wenn dort 50.-, 60.000 Menschen demonstrieren, die Grünen sich daran beteiligen, also von einem demokratischen Grundrecht Gebrauch machen, dann spricht Herr Dobrindt davon, wir seien der politische Arm von Aufrührern, Brandstiftern und Steinewerfern. Das ist sozusagen die geistige Verfassung, die Notstandsverfassung, in der sich die Koalition aufgrund dieses demokratischen Protestes befindet, und sie befindet sich deswegen in dieser Situation, weil sie mit ihrer Energiepolitik völlig gegen die Wand läuft in dieser Gesellschaft, weil die Menschen es nicht akzeptieren, dass ein Problem, was man in einem schwierigen Kompromiss, in einem Konsens gelöst hat, dieses Problem wieder aufgemacht wird, nur weil vier Unternehmen die Kasse gefüllt werden soll.
Engels: Herr Trittin, das ist Ihre Kritik an der Gegenwart. Aber ich möchte noch gerne zurückschauen in die Zeit, als Sie eben Umweltminister in einer rot-grünen Bundesregierung waren.
Trittin: Aber gerne!
Engels: Den von Ihnen damals angestrebten Gesetzentwurf, in dem Sie ja die Suche nach einem neuen Endlager anstoßen wollten, den konnten Sie vor dem Ende der Regierung nicht mehr umsetzen. Denken Sie manchmal zurück, ich habe nicht schnell genug gehandelt?
Trittin: Ich ärgere mich darüber, dass der damalige Bundeskanzler im Jahre 2005 nicht mehr in der Lage war, seine Partei an der Regierung zu halten, sodass wir diesen fertigen Gesetzentwurf, der darauf beruhte, dass zum ersten Mal – Sie müssen sich klar machen: Seit den 60er-Jahren produzieren in Deutschland Atomkraftwerke Atommüll; erst im Jahre 2003 hat der damalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin, gestützt durch einen Arbeitskreis unabhängiger Wissenschaftler, Kriterien für die Endlagerung dieses Atommülls vorgelegt. Wir haben 40 Jahre Atommüll produziert und niemand wusste wohin. Wir haben die Kriterien dafür entwickelt, wir haben auf der Basis dieser Kriterien einen Gesetzentwurf gemacht, der übrigens Opfer der Neuwahlen geworden ist und dann Opfer von Herrn Röttgen und seiner CDU. Wenn Sie einmal reinschauen in die Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition, die das aufnehmen wollte, was wir erarbeitet hatten, dort steht drin, wir müssen endlich ein ergebnisoffenes Endlager-Suchverfahren machen, das ist von CDU/CSU blockiert worden.
Und heute? Heute ist es so, dass Herr Röttgen sich hinstellt und behauptet, er würde in Gorleben ergebnisoffen und transparent prüfen. Der Röttgen lügt! Herr Röttgen lügt, denn dort wird gebaut auf der Basis eines Rahmenbetriebsplans aus dem Jahre 1983. Der sieht keinerlei, keinerlei Bürgerbeteiligung vor. Und wie kann man den Menschen erzählen, etwas sei ergebnisoffen, wenn man nicht mal eine Alternative hat. Jede Kreisstraße, die in irgendeinem Landkreis gebaut werden soll, muss, bevor sie bei Gericht durchgeht, mindestens drei verschiedene Trassenvarianten vorweisen in der Planung. In Gorleben wird aber auf Teufel komm raus gebaut und der Höhepunkt des Ganzen ist, dass die Sicherheit von Gorleben nun im Auftrag von Herrn Röttgen durch einen geschassten Manager von Vattenfall, Herrn Thomauske, überprüft werden soll. Dass dagegen die Leute massenhaft auf die Straße gehen, da haben wir tiefes Verständnis.
Engels: Herr Trittin, Sie waren aber immerhin sieben Jahre Bundesumweltminister und Sie haben die SPD, der Sie ja die Schuld dafür geben, dass es nicht umgesetzt wurde, bei diesem grünen Kernanliegen zu nicht mehr bewegen können. Können Sie da Herrn Röttgen nicht wenigstens zugestehen, dass die Endlagerfrage eine verdammt schwere Aufgabe ist, an der letztlich auch Sie gescheitert sind?
Trittin: Jemand, der die Endlagerfrage notorisch blockiert, weil er sich einem Auswahlverfahren verweigert, wie Herr Röttgen, ist der falsche Zeuge dafür. Ich muss im Übrigen darauf hinweisen: Da schließe ich gerne die Bundeskanzlerin mit ein. Ein Teil der Zeit, meiner Zeit als Minister, durfte ich nämlich damit zubringen, dass ich das andere der drei, ohne atomrechtliches Genehmigungsverfahren in Gang gebrachten Atommülllager in der Bundesrepublik Deutschland sanieren musste: Das Endlager Morsleben, ein Salzstock, in den Wasser eingedrungen ist, der einzustürzen drohte, in den Frau Merkel noch Müll aus Westdeutschland einlagern wollte. Diesen zu sanieren, war eine der dringendsten Notaufgaben, die ich vorfand, als ich ins Amt kam. Also diejenigen, die heute die Endlagersuche blockieren, sind die gleichen, die uns das Problem beschert haben.
Engels: Herr Trittin, Sie haben sich als Umweltminister erst in Niedersachsen, später im Bund ja ganz eingehend mit der Endlagerfrage befasst.
Trittin: Das ist falsch!
Engels: Haben Sie nicht?
Trittin: Ich war in Niedersachsen nicht Umweltminister, sondern Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Engels: Entschuldigung! Dann habe ich das in dem Fall falsch in Erinnerung. Nichtsdestotrotz beschäftigen Sie sich lange mit der Endlagerfrage. Welches wäre denn von Ihnen der favorisierte alternative Standort zu Gorleben?
Trittin: Wir haben mit den Kriterien des Arbeitskreises Endlagerung ein Verfahren vorgelegt. Das geht aus von einer weißen Landkarte. Es schließt aus offensichtlich ungeeignete Standorte wie zum Beispiel Erdbebengebiete und führt dann dazu, dass in einem schrittweisen Prozess, begleitet von transparenten Kriterien, einzelne Standorte erst oberirdisch und dann auch unterirdisch miteinander verglichen werden. Dies ist ein Verfahren, wie es übrigens nach dem Vorbild meines Gesetzentwurfes in der Schweiz zurzeit praktiziert wird. Damit verträgt es sich nicht, dass Politiker öffentlich erklären, diesen oder jenen Standort finde ich wunderbar. Das ist genau die Art und Weise, wie Gorleben zustande gekommen ist, weil man sich ein bisschen Wirtschaftsförderung da verstand, weil es eine menschenleere Gegend war und weil es fast auf dem Gebiet der damaligen DDR war. Deswegen hat man sich für Gorleben entschieden, nicht weil es sicher war.
Engels: Herr Trittin, noch ein anderes Thema. Mit dem Stichwort Atommüll reißt heute die "Süddeutsche Zeitung" an. Danach soll es ein Abkommen geben zwischen der Bundesregierung und Russland über die Lieferung von Atommüll aus dem ehemaligen DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf in Richtung Süd-Ural. Wenn diese Pläne tatsächlich stimmen würden, was würden Sie dazu sagen?
Trittin: Interessant! Auf die Anfrage, die wir gestellt haben, ist die Antwort der Bundesregierung, sie könne diesen Müll nicht lagern, weil es in Deutschland kein Endlager gibt. Diese Ehrlichkeit der Bundesregierung würde ich mir bei Herrn Röttgen in jedem Interview wünschen.
Engels: Und was sagen Sie zu dem Vorgang selbst?
Trittin: Der Müll kommt aus Russland ursprünglich. Wir haben aber berechtigte Zweifel, ich finde nachdrücklich begründete Zweifel, dass im Ural eine Entsorgung so gewährleistet ist, dass dieser Müll eine Million Jahre vor der Biosphäre geschützt ist. Das ist der Grund, warum das damals nach Ahaus verbracht wurde, übrigens eine Entscheidung, die ich auch getroffen habe, übrigens gegen heftige Proteste der Anwohner von Ahaus. Nur in Ahaus gab es ein Zwischenlager, während es in Rossendorf keines gab.
Engels: Das heißt, der Rücktransport ist in Ordnung?
Trittin: Ich habe überhaupt nichts davon gesagt, dass der Rücktransport in Ordnung ist. Ich habe gesagt, die Bedingungen, unter denen in Russland damit gearbeitet werden soll, nach dem, was wir darüber wissen, entspricht nicht den Kriterien eines sicheren Endlagers. Das ist, glaube ich, das Gegenteil der Aussage.
Engels: Gut, dann haben wir das verstanden, wie wir auch gelernt haben, dass in der Tat Jürgen Trittin niemals Umweltminister in Niedersachsen war, wohl aber im Bund. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Trittin: Danke Ihnen. Tschüss!