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Trittin (Grüne) zur Türkei
"Ein Teil des Problems und ein Teil der Lösung"

Nach Ansicht des Grünen-Politikers Jürgen Trittin ist die vom Bundesinnenministerium vorgenommene Bewertung der Türkei als Förderer bewaffneter Islamisten nicht überraschend. Dies wisse man seit langem. Neu sei nur, dass die Bundesregierung das nun offen benenne, sagte Trittin im DLF.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Politiker Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grüne
    Jürgen Trittin, Die Grünen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sieht die Türkei als "schwierigen Akteur". (imago / Metodi Popow)
    Der türkische Präsident Erdogan habe die Türkei in der Tat zu einer "Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen" gemacht, wie es in der vertraulichen Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke heiße. Der Terror könne ohne eine solche Unterstützung nicht funktionieren, sagte Trittin, der Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags ist, im Deutschlandfunk.
    Er bezeichnete die Türkei als "schwierigen Akteur". Sie sei Beides: "ein Teil des Problems und ein Teil der Lösung". Der Grünen-Politiker betonte, er habe sich immer dagegen ausgesprochen, bestimmte Länder eilfertig zu Partnerländern zu erklären. Die Türkei könne kein strategischer Partner sein, weil sie selbst in den Syrien-Konflikt eingreife und damit auch eine Mitverantwortung für das "gigantische Flüchtlingsproblem" habe. Allerdings sei sie zugleich "Hauptleidtragende", weil sie die meisten Flüchtlinge aufgenommen habe.
    Abstimmungspanne deutet auf "Zerwürfnis" in der Bundesregierung hin
    Die Abstimmungspanne zwischen Innen- und Außenministerium in der Angelegenheit sei ein "relevanter Vorgang". Solche Fragen müssten abgesprochen werden, so Trittin. Dass dies nicht geschehen sei, könne bedeuten, dass es ein Zerwürfnis innerhalb der großen Koalition gebe. Allerdings ändere das nichts an der Tatsache, dass die Einschätzung nun ausgesprochen worden sei.
    Nach Kritik an der fehlenden Beteiligung des Auswärtigen Amtes hatte das Bundesinnenministerium gestern Abend eine Kommunikationspanne eingeräumt. In dem als vertraulich eingestuften Papier heißt es, die jetzige Situation sei das Resultat der schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras. Die Rede ist von "Unterstützungshandlungen" für die bewaffnete islamistische Opposition in Syrien, die ägyptische Muslimbruderschaft und die Palästinenserorganisation Hamas.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Eine Verfassungsänderung nach der anderen, zugunsten des Präsidenten, angestoßen vom selbigen Präsidenten. Dann die nahezu flächendeckende Verhaftungs- und Entlassungswelle in der Türkei infolge des Putschversuches gegen Recep Tayyip Erdogan. Der Krieg, die Gewalt gegen die Kurden, die Repressionen gegenüber Journalisten und Oppositionspolitikern. Die Anklagen gegen Regimekritiker, gegen Kritiker des Präsidenten. Und jetzt auch noch das: Nach jüngsten Medienberichten geht die Bundesregierung davon aus, dass die türkischen Sicherheitsbehörden nicht nur jahrelang gewaltbereiten Extremisten erlaubt haben, die Türkei in Richtung Syrien zu passieren, sondern darüber hinaus soll Ankara Terrororganisationen aktiv unterstützen. Terrororganisationen wie die Hamas beispielsweise oder andere islamistische Gruppierungen, die jetzt auch in Syrien kämpfen. Auch soll es eine klare Affinität zu den Muslimbrüdern in Ägypten geben, festgehalten in einem Geheimpapier, das der ARD vorliegt. Darin heißt es: Die Türkei fungiert als zentrale Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen.
    Die Türkei, der Islamismus, der Terrorismus – unser Thema jetzt mit dem grünen Außenpolitiker Jürgen Trittin. Guten Morgen!
    Jürgen Trittin: Guten Morgen!
    Müller: Herr Trittin, wird die Türkei allmählich zum Feind?
    Trittin: Man kann natürlich, wie Herr Meyer, das, was man schon immer gefordert hat, auch angesichts der neuen Aussagen der Bundesregierung erneut fordern, im Kern würde ich sagen, das, was in der vertraulichen Antwort drin steht, ist nicht wirklich überraschend und neu. Neu ist nur, dass die Bundesregierung das jetzt ausspricht. Wir haben seit Jahren Erfahrungen gemacht zum Beispiel in der Zusammenarbeit der Türkei mit der Hamas, das hat zu einem großen Konflikt mit Israel geführt. Inzwischen hat sich die Türkei wieder darum bemüht, das Verhältnis mit Israel etwas zu stabilisieren. Wir wissen, dass die Muslimbrüder in Ägypten von der Türkei unterstützt worden sind, und wir erfahren bei den Bemühungen für eine politische Lösung in Libyen, dass selbstverständlich bestimmte den Muslimbrüdern nahestehende Milizen von der Türkei unterstützt werden, und das macht die Lösung dieses Konflikts und damit einen Teil der Behebung des Flüchtlingsproblems nicht einfacher, sondern sehr viel schwieriger. Wie gesagt, neu ist es, dass die Bundesregierung dies offen ausspricht.
    Müller: Ich möchte das trotzdem noch mal fragen: Wenn man das jetzt alles hört, und Sie sagen ja, haben im Grunde alle schon gewusst, zumindest auch vermutet, vielleicht nicht klar belegbar, beweisbar. Ist die Türkei ein Feind?
    Trittin: Die Türkei ist ein schwieriger Akteur in diesem Raum, ein Akteur, der, wenn wir uns mit dem Problem rumschlagen und versuchen, es zu lösen, nämlich eine Minderung von Fluchtursachen hinzubekommen – beides ist: ein Teil des Problems und ein Teil der Lösung.
    Müller: Ein schwieriger Akteur sagen Sie, Jürgen Trittin, das hört sich fast an wie Frank-Walter Steinmeier, der diplomatisch formuliert. Ein schwieriger Akteur wissen ja alle, aber ein Land, was offen, wie auch immer, Terrorismus und damit Mord und Totschlag und Bombenattentate und so weiter unterstützt, mit den Gruppierungen aktiv zusammenarbeitet, kann das ein Partner sein?
    Türkei mitverantwortlich für Flüchtlingsproblem
    Trittin: Wir haben uns oder ich habe mich immer dagegen gewandt, bestimmte Länder eilfertig zu Partnern zu erklären, da hatten wir früher schon Probleme, als das mit Russland geschah, und wir sind auch nicht der Auffassung, dass die Türkei ein strategischer Partner für Deutschland ist, genauso wie es Saudi-Arabien sein kann. All diese – sowohl die Türkei wie Saudi-Arabien – sind zum Beispiel in dem Konflikt in Syrien involviert, sie unterstützen dort Kräfte, die sich, wenn man das sehr höflich formuliert, nicht konstruktiv verhalten, im Gegenteil: Die Türkei war lange Zeit zumindest logistisches Hinterland, Durchgangsland für Waffen- und Ölschmuggel in jeweils unterschiedlichen Richtungen für islamistische Gruppierungen in Syrien. Sie haben also eine Mitverantwortung dafür, dass wir dieses gigantische Flüchtlingsproblem aus Syrien und dem Irak haben, wo übrigens die Türkei die Hauptleidtragenden sind, sie haben die Masse der Flüchtlinge aufnehmen müssen.
    Müller: Ich erinnere mich auch daran, dass Sie das auch schon einmal hier im Deutschlandfunk… also nicht aufgedeckt haben, aber ja auch so argumentiert haben, dass diese Verstrickungen der Türkei an irgendeinem Punkt dann doch offensichtlich sind. Aber wie kann es sein, dass wir dann in Europa, dass wir in Brüssel, in Berlin und sonst wo, auch in Paris, ernsthaft noch darüber diskutieren, ernsthaft uns noch fragen, ob die Türkei Mitglied Europas oder der EU sein könnte?
    Trittin: Wir haben der Türkei ein Angebot an dieser Stelle gemacht, und dieses Angebot ist an Bedingungen geknüpft. Es ist an die Bedingung zum Beispiel geknüpft, dass solche Praktiken abgestellt werden, es ist an die Bedingung geknüpft, dass man im Inneren für demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse sorgt. Diese Bedingungen erfüllt die Türkei zurzeit nicht, und sie will sie zurzeit offensichtlich nicht erfüllen. Das ist der Grund, warum es richtig ist, dass die Beitrittsverhandlungen da auf Eis gelegt worden sind. Auf der anderen Seite muss man sehr genau wissen, es wird mit dem Krieg in Syrien kein Ende geben, ohne die Türkei genauso wenig, wie es kein Ende geben wird ohne den syrischen Machthaber Assad, ohne den Irak und ohne andere Regionalmächte wie Saudi-Arabien. Das ist die bittere Realität.
    Müller: Es ist ganz knallharte Realpolitik, Jürgen Trittin, wie Sie es jetzt hier formulieren, das heißt, wir müssen mit dem Saulus weiterhin im Geschäft bleiben.
    Trittin: Wir müssen versuchen, uns hier zu verständigen, aber wir sollten uns über den Charakter derjenigen, mit denen wir diesen bitteren Versuch der Verständigung machen, keine Illusionen machen. Insofern würde ich sagen, die Antwort auf die Kleine Anfrage, die die Bundesregierung gegeben hat, war, ein Stück sich ehrlich zu machen im Verhältnis zur Türkei. Dass sie jetzt ganz verschreckt über dieses Maß an Ehrlichkeit ist, verstehe ich, aber es sollte sie nicht erschrecken.
    Fehlende Abstimmung ändert nichts an den Tatsachen
    Müller: Jetzt wollen wir das nicht zu kompliziert machen, aber es ist gestern in der ersten Berichterstattung ja mehrfach erwähnt worden, es war heute Morgen auch im Internet in den Tageszeitungen zu lesen, das kommt vom Innenministerium, gestützt von Analysen des Bundesnachrichtendienstes, die ja vielleicht nicht immer "zuträfen", in Anführung, und das Auswärtige Amt, also das zuständige Außenministerium hat nichts davon gewusst. Ist das ein relevanter Vorgang oder kann man darüber hinwegsehen und sagen, na ja, gut?
    Trittin: Das ist in der Bundesregierung ein relevanter Vorgang, das verstößt gegen die Geschäftsordnung, solche Anfragen müssen zwischen den Ressorts abgestimmt werden – nur es ändert nichts an den Tatsachen. Das, was dort ausgesprochen worden ist, ist ja vielfältig in Presseberichten, in Berichten von Thinktanks und Ähnlichem nachzulesen, da muss man ja sich nicht nur auf den Bundesnachrichtendienst verlassen, was ja nicht immer eine verlässliche Quelle ist.
    Müller: Aber vielleicht hat Thomas de Maizière ja auch gedacht, wenn dieses Papier jetzt Steinmeier in die Hände fällt, dann erfährt es wieder keiner.
    Trittin: Es kann sein, dass es diesen Konflikt innerhalb der Bundesregierung gibt, und dass wir hier es zu tun haben tatsächlich mit einem schweren Zerwürfnis. Das wäre allerdings für deutsche Politik insgesamt und für deutsche Außenpolitik gerade gegenüber der Türkei ein ganz großes Problem, wenn die Zerstrittenheit innerhalb der Großen Koalition dazu führt, dass man in einer solche essenziellen Frage, die unsere äußere wie innere Sicherheit berührt, es nicht mehr schafft, Innen- und Außenministerium abzustimmen.
    Müller: Wenn die Kanzlerin demnächst wieder nach Ankara reist oder nach Istanbul oder umgekehrt sich irgendwo mit Präsident Erdogan trifft, könnte, müsste die Kanzlerin dann sagen, lieber Herr Erdogan, Sie unterstützen den Terrorismus und damit weltweit Morde?
    Trittin: Ich finde, die Kanzlerin muss deutlich machen, dass beispielsweise auch die von der Türkei unterstützten Milizen in Libyen sich dem von uns und den Vereinten Nationen unterstützten Friedens- und Verständigungsprozess zu unterstellen haben. Das ist das, was zurzeit nottut, weil alles andere dazu führt, dass Libyen weiter im Bürgerkrieg versinkt und wir dann weitere Probleme mit zusätzlichen Flüchtlingen haben werden.
    Unterstützung des Terrors
    Müller: Ich will’s noch mal versuchen: Sind diejenigen, die Terror offen unterstützen – finanziell, logistisch, organisatorisch – selbst Teil des Terrorsystems?
    Trittin: Jedenfalls kann dieser Terror ohne eine solche Unterstützung in dieser Form nicht existieren.
    Müller: Und dann ist Erdogan Teil des Terrorsystems?
    Trittin: Erdogan – so hat die Bundesregierung es formuliert, und das finde ich sehr treffend – hat die Türkei zum Teil zu einer Aktionsplattform für islamistische Kräfte gemacht.
    Müller: Also so weit sind wir doch noch nicht gewesen jetzt in den letzten Jahren, weil Sie sagen, ja, gut, haben wir alle gewusst – also ich hab’s jetzt so noch nicht gewusst, was nichts heißen soll, aber…
    Trittin: Ich hab bewusst sowohl abgehoben auf den logistischen Hintergrund innerhalb Syriens und dem Irak, und ich hab bewusst abgehoben auf das, was wir tagtäglich bei den Bemühungen erleben, in Libyen zu einem Verständigungsprozess zu kommen. Hier gibt es Kräfte, die sind nicht konstruktiv, und das sind Kräfte, die in einer Allianz mit der Türkei stehen.
    Müller: Wir haben gestern Abend hier im Deutschlandfunk mit Rolf Mützenich gesprochen, SPD-Außenpolitiker, SPD-Fraktionsvize, der gesagt hat, wenn das stimmt – also er setzt da noch ganz viele Fragezeichen dahinter –, dann müssen wir das Verhältnis völlig neu überdenken. Gehen Sie davon aus, dass überdenken heißt eine neue Türkeipolitik?
    Trittin: Ich glaube, dass wir gegenüber der Türkei aufhören müssen so zu tun, als würde die uns das Problem mit den Flüchtlingen lösen – das tut die Türkei nicht, das ist der Grundgedanke des Türkei-Deals. Die Türkei ist ein Teil des Problems, was weitere Flüchtlinge erzeugt.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der grüne Außenpolitiker Jürgen Trittin. Danke, dass Sie für uns Zeit gehabt haben, einen schönen Tag noch!
    Trittin: Einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.