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Trittin nennt Griechenland-Austrittsforderung des Innenministers „Erpressung“

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) schlägt vor, dass Griechenland aus der Eurozone austritt: Damit bedient er billig den Stammtisch, kritisiert Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Heute stimmt der Bundestag über den deutschen Anteil am Schuldenschnitt für Griechenland ab.

Das Gespräch führte Peter Kapern |
    Peter Kapern: Keine leichte Sache für die Bundestagsabgeordneten: Heute stimmen sie ab über das Zweite Griechenland-Hilfspaket. 130 Milliarden an neuen Krediten soll es dem maroden Mitgliedsstaat der EU bringen und die deutschen Steuerzahler haften für einen nicht unerheblichen Teil davon. Und wieder einmal zittert die Koalition um eine Kanzlermehrheit, zumal am Wochenende erstmals ein Regierungsmitglied Zweifel äußerte an der bislang verfolgten Rettungsstrategie für Griechenland.
    Am Telefon bei uns ist nun Jürgen Trittin, der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Guten Morgen, Herr Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Trittin, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich sieht für Griechenland bessere Erfolgschancen, Erholungschancen außerhalb der Euro-Zone. Das sagte er am Wochenende in einem Interview. Wie bewerten Sie das?

    Trittin: Na ja, im Himmel ist Jahrmarkt und in Deutschland regiert Schwarz-Gelb. Es ist schon ein absurder Vorgang, dass ein Innenminister, mit dessen Ressort und dessen Ministerium der Antrag der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag abgestimmt wurde, der dem also zugestimmt hat, dann öffentlich erklärt, das wäre nicht so gemeint und der Bundestag solle doch bitte den Griechen ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können. Das kennt man aus dem Mafia-Film „Der Pate“, das ist eine höfliche Umschreibung für eine Erpressung. Ich finde, das ist ein Umgang mit ernsten europäischen Problemen, das kann man eigentlich kaum noch toppen. Ich frage mich, wie lange die Kanzlerin da dem Treiben in ihrer Koalition noch zuschauen will.

    Kapern: Man könnte die Äußerungen des Innenministers aber auch ganz anders lesen, Herr Trittin, nämlich so, dass wenn immerhin ein Kabinettsmitglied mittlerweile zweifel am bisherigen Rettungskurs hat, dann müsste die Opposition doch ihre Zustimmung auch noch mal überdenken.

    Trittin: Dann müsste vielleicht das Kabinettsmitglied die Traute haben und das Rückgrat, sich hinzustellen und zu sagen, das mache ich nicht mit, dafür nehme ich im Zweifelsfall auch meinen Hut, und ich habe die und die Gründe, warum ich das tue. Das tut er nicht, weil er genau weiß, dass er einfach nur billig den Stammtisch bedient, aber nicht ernsthaft der Auffassung ist, dass man einen Staatsbankrott Griechenlands zulassen sollte, der in seinen Wirkungen für die bundesrepublikanische Volkswirtschaft, wenn man mal nicht von Europa, sondern nur von den ganz eigenen Interessen spricht, erheblich über die Folgen der Lehman-Pleite hinausgeht, an der wir heute noch knabbern. Und das ist der Grund, warum alle ernst zu nehmenden Institutionen, eben der Internationale Währungsfonds, die Europäische Kommission, auch die Europäische Zentralbank, der Auffassung sind, es ist notwendig, Griechenland dazu zu verhelfen, durch einen Schuldenschnitt, also einen Erlass von mehr als der Hälfte der Schulden, einen Weg zu ebnen, wieder auf die Beine zu kommen. Es ist übrigens das erste Mal, dass Banken und Hedgefonds an einer solchen Rettungsaktion ernsthaft beteiligt werden, und ausgerechnet in diesem Moment erklärt dann der große Ökonom Hans-Peter Friedrich, es gäbe Alternativen. Die hat er aber offensichtlich nicht zu Ende gedacht.

    Kapern: Da sind Sie aber noch ein wenig optimistisch, Herr Trittin, denn noch ist ja längst nicht klar, ob die Beteiligung privater Gläubiger auch wirklich funktioniert. Kauft da der Bundestag heute nicht die Katze im Sack?

    Trittin: Nein. Der Bundestag beschließt unter der Maßgabe, dass wir einen Beschluss fassen, der die Voraussetzung schafft, diesen Schuldenschnitt durchzuführen. Wenn der Schuldenschnitt nicht kommt, das heißt, wenn sich nicht hinreichend Gläubiger daran beteiligen, oder wenn die restlichen dann auch nicht zu zwingen sind – darum geht es ja, die Hedgefonds am Ende auch gesetzlich zu zwingen, dieses zu tun –, dann wird das Geld nicht ausgezahlt. So einfach ist das.

    Kapern: Nun hat ja Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Ende vergangener Woche in einem Brief an den Bundestag seiner Einschätzung Ausdruck gegeben, dass möglicherweise 2014 noch mal frisches Geld nach Griechenland gepumpt werden muss. Erschüttert das Ihre Gewissheit, dass Sie da heute richtig abstimmen, wenn Sie zustimmen, überhaupt nicht?

    Trittin: Ich sehe diese Situation nicht unähnlich. Ich finde, dass Herr Schäuble, anders als die Bundeskanzlerin, in dieser Frage schlicht und ergreifend Ehrlichkeit walten lässt. Die Sache ist eine schwierige Sache, ob sie von Erfolg gekrönt ist, weiß niemand. Man weiß aber, wenn man heute diesen Schritt nicht geht, ist der Misserfolg sicher. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, lieber ein Ende mit Schrecken und dann sind wir eben bereit für unsere Volkswirtschaft und für unsere Haushalte noch mal 100 Milliarden mehr Netto zu schulden, nicht als Bürgschaften, sondern dann tatsächlich Cash bezahlt. Nur ich finde, solange hier eine Situation besteht, wo über eine gesteuerte Insolvenz die Folgen abgemindert werden können, dann ist das klüger, als in den unkontrollierten Staatsbankrott zu gehen. Das wird Ihnen jeder Betriebsrat, jeder Gewerkschafter in einem Betrieb in einer Krise gerne bestätigen.

    Kapern: Sehen Sie denn abseits vom Prinzip Hoffnung irgendwelche Anzeichen dafür, dass das Fass Griechenland jemals einen Boden bekommt?

    Trittin: Wir sind jetzt hier auf einem Weg. Ob das am Ende Erfolg hat, wird sich zeigen. Es kommt jetzt übrigens noch auf ein weiteres an: Auch da ist die Bundesregierung anders als in dem Brief von Herrn Schäuble nicht ehrlich. Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass wenn man die Folgen dieses Griechenland-Schuldenschnitts, also des Zwingens an Banken und Hedgefonds, sich an den Folgen der Krise zu beteiligen, von Spanien und Italien abwägen will, dann muss der europäische Stabilitätsmechanismus schlagkräftiger werden, er muss aufgestockt werden, oder er muss eine Banklizenz bekommen. Darüber besteht unter den Industrie- und Schwellenländern der Welt völlige Einigkeit. Nur Deutschland sperrt sich da bisher. Die sind in dieser Frage völlig isoliert. Ich prognostiziere Ihnen heute schon, am Ende des Tages wird es genau so kommen, wie die G-20-Staaten und Timothy Geithner aus den USA in Mexiko verlangt haben.

    Kapern: Es gibt aber auch Stimmen, die auf die Gefahren hinweisen, die mit diesem Weg verbunden sind, nämlich auf die Inflationsgefahren, wenn immer mehr Geld ins System gepumpt wird. Teilen Sie die überhaupt nicht?

    Trittin: Nein, die teile ich nicht, weil die einfache Logik, dass, wenn man Geld dort reinpumpt, es zur Inflation kommt, zeugt nicht von tiefer ökonomischer Kenntnis. Die Zentralbanken haben nach wie vor die Kontrolle über die Geldmenge. Das, was man da reinpumpt, muss man an anderer Stelle zurückhalten. Dann ist diese Frage nicht tatsächlich von Bedeutung. Anders gesprochen: Wenn wir jetzt da rangehen, diesen Rettungsschirm nicht aufzustocken, dann wird weiter gegen Spanien, gegen Italien gezockt werden, und eins weiß man heute, das weiß man auch aus Griechenland: Hier werden Fehler in Griechenland der Bundesregierung korrigiert. Gegen vier, fünf Prozent Zinsen auf die Staatsanleihen kann man nicht ansparen. Das ist übrigens der Grund, warum die Bundesregierung nach einem Jahr Verspätung unserer Forderung nachgegeben hat, die Zinsen für Griechenland auf das in Europa übliche Niveau zu senken. Das ist etwas, was für Spanien und Italien noch auf den Weg gebracht werden muss, und das geht nur mit einer Vergrößerung des Rettungsschirms.

    Kapern: Jürgen Trittin, der Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Trittin, danke, dass Sie sich für uns die Zeit genommen haben. Auf Wiederhören!

    Trittin: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.