Schon vor der Kabinettsentscheidung hatte es Kritik an den Plänen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gegeben, trotzdem stimmten die Regierungsmitglieder dem Entwurf zu. Er soll die finanziellen Hilfen für Menschen mit Behinderung neu regeln. Sie dürfen künftig deutlich mehr von ihrem Ersparten und ihrem Einkommen behalten, um ihr Leben besser nach den eigenen Vorstellungen gestalten zu können. Die Freibeträge für Barvermögen sollen ab dem kommenden Jahr in einer ersten Stufe von 2.600 Euro auf 27.600 Euro steigen, ab 2020 dann auf 50.000 Euro. Anders als bisher wird Einkommen und Vermögen des Partners nicht mehr angerechnet.
Außerdem sollen Behinderte künftig nicht mehr mehrere Ämter, Sozialkassen und Behörden aufsuchen müssen, um staatliche Leistungen zu bekommen, ein Antrag soll ausreichen. Firmen könnten Lohnkostenzuschüsse von bis zu 75 Prozent erhalten, wenn sie Behinderte einstellen. Das Ziel: Betroffene sollen künftig weniger in Werkstätten arbeiten und mehr in regulären Jobs.
"Es soll niemandem schlechter gehen"
Menschen mit Behinderungen erhielten mehr Chancen zur Selbstverwirklichung, sagte Nahles. Und versprach: "Mit unserem Gesetz soll es niemandem schlechter gehen, aber den meisten besser." Behinderten- und Sozialverbände, Das Deutsche Rote Kreuz und der Deutsche Gewerkschaftsbund sehen das allerdings anders. Sie befürchten, dass sich die Situation gegenüber dem geltenden Recht verschlechtert, und hoffen, dass der Bundestag in seinen Beratungen nachbessert.
Am Berliner Hauptbahnhof protestierten heute früh zahlreiche Menschen gegen das Gesetz: Etwa 20 Menschen im Rollstuhl ließen sich vor dem Gebäude in Käfige sperren, um symbloisch zu zeigen, dass der Entwurf ihrer Ansicht nach die Selbstbestimmung eher einschränkt. Ottmar Miles-Paul, Koordinator der "Kampagne für ein gutes Teilhabegesetz", kritisierte: "Für viele behinderte Menschen, die sich ihren Weg in die eigene Wohnung erkämpft haben, ist dieses Gesetz ein Rückschritt." Es könne passieren, dass den Betroffenen die eigene Wohnung nur noch erstattet werde, wenn diese nicht teurer sei als ein Platz im Heim.
In Deutschland leben mehr als zehn Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Behinderung, davon 7,5 Millionen Schwerbehinderte.
Reformen bei Pflege und Bundesnachrichtendienst
In einer weiteren Entscheidung brachte das Kabinett strengere Kontrollen bei der Pflege auf den Weg. Damit reagiert es auf Betrugsfälle, die im Frühjahr bekannt geworden waren. Der Medizinische Dienst der gesetzlichen Krankenkassen soll künftig bei Pflegediensten in häuslicher Pflege systematisch Qualität und Abrechnungen überprüfen. Zudem ist eine bessere Beratung für Pflegebedürftige und Angehörige vorgesehen.
Außerdem verabschiedete das Kabinett einen Gesetzentwurf zur Reform des Bundesnachrichtendienstes, den Kanzleramtsminister Peter Altmaier mit den Fraktionen ausgehandelt hat. Die Kontrolle des Geheimdienstes soll nach den Affären der letzten Jahre auf eine neue rechtliche Grundlage gesetellt werden. Die Kommunikation von Einrichtungen der Europäischen Union (EU), öffentlicher Stellen von EU-Staaten und einzelner EU-Bürger dürfen nur noch in Ausnahmefällen überwacht werden, zum Beispiel, wenn es terroristische Bedrohungen gibt. Wirtschaftsspionage soll dem Dienst ausdrücklich verboten werden.
Der BND war im Zusammenhang mit der Affäre um den US-Geheimdienst NSA und wegen eigener Abhöraktionen in die Kritik geraten.
(jasi/ach)