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True-Crime-Boom
Faszinierende Kriminalgeschichten

Der Botschaftersohn Jens Söring soll 1985 zwei Menschen brutal umgebracht haben. Seitdem sitzt er in den USA in Haft - schuldig oder unschuldig? Nach den US-Serien "Making a Murderer" und "The Jinx" kommt mit „Das Verspechen“ nun ein deutsches True-Crime-Format ins Kino.

Von Simone Schlosser |
    Stephen Avery aus der Netflix-Serie "Making a Murderer" auf einem Polizeifoto mit einem Namensschild ("mugshot")
    Stephen Avery aus der Netflix-Serie "Making a Murderer" (DPA / Netflix)
    Die amerikanische Podcast-Reihe "Serial" ist der Ursprung des True Crime Booms. In zwölf Folgen rollt die Journalistin Sarah Koenig den Fall des verurteilten Mörders Adnan Syed auf, und Millionen hören weltweit mit. Doch neu ist dieses Genre nicht:
    "Ein Interesse an dem echten Verbrechen das gibt es schon länger." Jens Ruchatz ist Medienwissenschaftler an der Universität Marburg. Bereits im Mittelalter galt das Motto: "There's no crime like True Crime":
    "Das geht auf den Bänkelsang zurück, wo eben die Bänkelsänger schaurige Geschichten, die sich angeblich wirklich so dargestellt haben, auf öffentlichen Plätzen gegen Entgelt einem Publikum vortrugen. Im 19. Jahrhundert ist das eine gängige Rubrik in der Presse. Gerichtsreporter von Mordprozessen. Im 20. Jahrhundert wird das dann in Medien in verschiedensten Formaten genutzt. In Filmen die dann sagen 'Nach einer wahren Begebenheit.'"
    Oder eben "Aktenzeichen XY… ungelöst". Eine Sendung, die schon von Loriot parodiert wurde, zu ihrem 50. Jubiläum aber aktueller ist als jemals zuvor. Was in den letzten Jahren allerdings neu hinzugekommen ist: True Crime als Fortsetzungsgeschichte mit charismatischer Hauptfigur:
    "Man hat eigentlich zwei Genre kombiniert, die momentan sehr gut laufen: 'Crime', das Verbrechen, geht gut. Es gibt Sender in den USA, die zeigen eigentlich nur die Polizei bei der Arbeit. Und das andere ist, dass wir serielles Erzählen haben, was in den letzten Jahren sich sehr viel stärker auch komplexeren, vielschichtigeren Figuren angenommen hat, und deshalb auch Figuren zu Hauptfiguren erheben kann, die man sich früher nie getraut hätte."
    Realen Geschichten als Vorbild
    Zum Beispiel Mafiaboss Tony Soprano oder Serienmörder Dexter Morgan. Sie sind Verbrecher, die nicht eindeutig gut oder böse sind. Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren Serien wie "Making a Murderer" oder "The Jinx". Mit einem Unterschied: Die Figuren sind real. Neuester Fall in dieser Reihe ist der Deutsche Jens Söring. Hauptfigur in dem Film "Das Versprechen".
    Jens Söring ist Anfang 20, als ihn eine Jury in den USA zu lebenslanger Haft für den Mord an den Eltern seiner damaligen amerikanischen Freundin verurteilt. Grundlage für die Verurteilung ist ein Geständnis des Deutschen, das er zum Zeitpunkt des Prozesses allerdings längst widerrufen hat. Im Laufe der Jahre tauchen weitere Zweifel an seiner Schuld auf. Doch bis heute sitzt der mittlerweile 50-Jährige in Haft.
    "Ich habe mein Leben zerstört. Ich habe die Leben meiner Eltern zerstört. Ich habe so vielen Menschen so viel Unglück gebracht. Weil ich dachte, dass es sich um Liebe drehte. Aber die Liebe gab es nicht."
    Im Film wird diese Liebesgeschichte durch die Briefe erzählt, die sich Jens Söring und seine damalige Freundin schrieben, vorgetragen durch die Schauspieler Imogen Poots und Daniel Brühl. Dazwischen gibt es Interviews mit dem Verurteilten im Gefängnis. Gespräche mit ehemaligen Ermittlungsbeamten. Ein Hauch von Hollywood in einem weitgehend klassischen Dokumentarfilm. Oder wie Jens Ruchatz meint: "Reality TV für Intellektuelle".
    War er es, oder war er es nicht?
    "Der Reiz der Wirklichkeit zuzuschauen wird hier noch mal ein bisschen auf die Spitze getrieben. Aber es ist ganz klar, man versucht, von der klassischen Wackelkamera, die im Nachmittagsfernsehen, von diesem ein bisschen Dilettantischen, sich abzusetzen, aber trotzdem die Versprechen des Reality TV, in die Seele des wirklichen Lebens, ins Authentische hinein zu blicken. Dieses Versprechen eben dann mit einer Form zusammen zu bringen, die das gebildetere Publikum dann auch aus den Sendungen kennt, die es täglich im Fernsehen rezipiert."
    Daran geknüpft ist außerdem das Versprechen eines größtmöglichen Cliffhangers. True Crime Formate leben von der Frage: War er es, oder war er es nicht? Die "Serial"-Hauptfigur Adnan Syed etwa wird jetzt einen neuen Prozess bekommen. Auch der Fall Jens Söring könnte im kommenden Jahr noch einmal aufgerollt werden.
    "Es geht um die grundlegenden Emotionen, die grundlegenden Affekte: Hass. Liebe spielt in dem Film eine große Rolle. Schmerz. Leid. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit: Der machtlose Einzelne gegen die Übermacht des Gesetzes, das ist wie eine Art Cliffhanger am Schluss. Wir können dann weiter verfolgen, ob in der Realität irgendwie etwas passiert, was sich aus dieser Geschichte ableitet."
    Auch deshalb eignet sich True Crime besonders für das serielle Erzählen. Erst recht, wenn ein Fall so vielschichtig ist wie der von Jens Söring. Dessen Geschichte Liebesdrama und Kriminalverbrechen zugleich ist. Reduziert auf Filmlänge wirkt das Potential verschenkt. Aber vielleicht heißt es auch hier bald "Fortsetzung folgt..."