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Trügerische Fotos aus dem Kopf

Technik. - Die Magnetresonanztomographie MRT bescherte der Medizin einen Quantensprung, denn sie lieferte, was Röntgenstrahlen bis dahin entging: faszinierende Schichtbilder von weichen Geweben wie etwa dem Gehirn. Doch die Informationen müssen auch korrekt eingeordnet werden.

Von Kristin Raabe |
    Fast in jeder Ausgabe der wissenschaftlichen Fachzeitschriften "Nature" oder "Science" finden sich dieselben Bilder: Ein graues Gehirn vor schwarzem Hintergrund, in das rote, gelbe, grüne und blaue Flecken eingetragen sind. Dieser Farbcode gibt die Stärke der Aktivierung der jeweiligen Hirnregion an. Der Leser erfährt aus den Bildunterschriften, dass die vorliegende Studie beispielsweise besagt, dass in diesem oder jenem Bereich des Gehirns die Fähigkeit für Sprachverständnis, Aufmerksamkeit oder sozialem Verhalten zu vermuten ist. Für den Laien entsteht so der Eindruck, als ließe sich das Gehirn wie eine Landkarte unterteilen, in der jeder Fleck für eine bestimmte Fähigkeit steht. Lorraine Tyler von der Cambridge Universität warnt vor einer solchen Sichtweise.

    "Es passiert relativ häufig in der Hirnforschung, dass sich jemand für einen kleinen Teil eines kognitiven Systems interessiert. Und das bedeutet, sie konzentrieren sich bei einer Aufgabenstellung nur auf einzelne Komponenten und lassen andere Verarbeitungsschritte außer Acht. Dabei interessieren sie sich oft nur für eine Region im Gehirn. Meine Forschung, und andere Leute teilen diese Meinung, führt mich aber immer mehr zu der Ansicht, dass man das gesamte Verarbeitungssystem betrachten muss, und nicht eine bestimmte Hirnregion."

    Lorraine Tyler hat selbst viel mit Kernspintomographen gearbeitet und dabei wichtige neue Erkenntnisse über die Sprachverarbeitung im menschlichen Gehirn gewonnen. In Deutschland ist Karl Zilles einer der führenden Hirnforscher. An seinem Institut im Forschungszentrum Jülich stehen die weltweit modernsten Geräte zur Untersuchung von Hirnfunktionen. Er teilt die Ansicht seiner britischen Kollegin.

    "Es ist sicher so, dass von manchen Wissenschaftlern und auch in den Medien Bilder gezeigt werden, auf denen einzelne rote Flecken zu sehen sind und dann heißt es: An dieser Stelle im Gehirn ist Aufmerksamkeit, an jener Stelle im Gehirn sind die Emotionen lokalisiert. Das ist eine verkürzte Interpretation und zum Teil auch eine falsche Interpretation. Denn die roten Flecken zeigen keinesfalls alle Hirnregionen, die während eines Aufmerksamkeitsprozesses aktiviert sind und auch nicht alle Hirnregionen, die während einer emotionalen Empfindung aktiviert sind."

    Normalerweise arbeiten Hirnforscher mit einem Kernspintomographen nämlich wie folgt: Sie machen ein Experiment, bei dem die Versuchsperson eine Aufgabe lösen muss. Dabei macht der Kernspintomograph Aufnahmen des Gehirns. Das sind aber noch nicht die Bilder, die anschließend veröffentlicht werden. Denn dazu müssen die Forscher erst noch einen Kontrollversuch machen. Dabei sind die Bedingungen identisch, nur dass diesmal die Versuchsperson nicht die Aufgabe lösen muss. Danach werden beide Aufnahmen übereinandergelegt und die Aktivierungen gelöscht, die in beiden Bildern identisch sind. Übrig bleiben dann nur die Hirnaktivitäten, die ausschließlich beim Lösen der Aufgabe aktiv waren, alle anderen Aktivierungen werden ausgeblendet. Lorraine Tyler:

    "Was diese Aktivierungen uns sagen, ist lediglich, dass diese Hirnregionen irgendwie an der Lösung dieser Aufgabenstellung beteiligt sind. Aber wie die Beziehung der einzelnen Hirnregionen untereinander ist, wie sie zusammenarbeiten, um die jeweilige Aufgabenstellung zu lösen - all das wissen wir nicht. Aber genau das müssen wir herausfinden. Wie arbeiten sie zu welchem Zeitpunkt miteinander zusammen? Für Leute, die sich in diesem Forschungsfeld nicht auskennen, muss das manchmal sehr verwirrend sein. Sie schauen in die Fachzeitschriften "Nature" oder "Science" und sehen alle diese Bildchen mit lauter bunten Flecken. Und relativ häufig sehen sie dieselben Flecken als Ergebnis von ganz verschiedenen Aufgabenstellungen."

    Das Gehirn ist eben nicht so organisiert, dass vorne links das Sprachverständnis sitzt und hinten rechts das Einfühlungsvermögen. Um die Arbeitsweise des Gehirns richtig zu verstehen, braucht es mehr:

    "Kernspintomographien sind nicht gerade geeignet solche Fragestellungen zu bearbeiten. Man kann solche Scans benutzen, um zu sehen, welche Hirnregionen zeitgleich bei einer Aufgabenstellung aktiv sind. Aber die zeitliche Auflösung ist schlecht. Wenn wir aber Kernspintomographien mit anderen Methoden kombinieren, die eine hohe zeitliche Auflösung ermöglichen, wie beispielsweise die Magnetenzephalographie, dann können wir die einzelnen Komponenten solcher komplizierten geistigen Verarbeitungsschritte viel besser untersuchen."

    Lorraine Tyler kombiniert bei ihren Studien schon lange mehrere Methoden miteinander. Außerdem arbeitet sie immer wieder gerne mit der ältesten Methode der Hirnforscher überhaupt: Sie sucht Patienten, die nach einem Schlaganfall oder einem Unfall Verletzungen im Hirngewebe aufweisen. Wenn diese Patienten Ausfälle haben, erfährt Lorraine Tyler, welche Funktion das verletzte Hirngewebe ursprünglich hatte. Und diese Patienten beweisen ihr auch immer wieder, dass auch das Gehirn eines Erwachsenen flexibel genug ist, große Verluste auszugleichen.